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In Südkorea sind die Shorttracker Stars. Die Wettkämpfe sind immer ausverkauft.

© AFP

Stimmung bei Olympia: Der Track der Spiele

Für keine andere Sportart können sich die Koreaner so begeistern wie für Shorttrack. Beim Biathlon oder Skispringen sind die Tribünen in Pyeongchang dagegen oft leer.

Die DJs in der Arena hatten an ihren übertrieben großen Mischpulten die Stimmung mit wummerndem Sound akustisch angefeuert, die Party kollabierte zum Höhepunkt. Als Lim Hyo-jun ins Ziel zu Gold raste, gab es kein Halten mehr. Die Menschen rasten mit, die südkoreanischen Zuschauer standen, ekstatisch wirbelten sie mit ihren Fähnchen, die Welle schwappte durch das Rund. Von Beherrschung bei den im Alltag oft so beherrschten Südkoreanern war nichts mehr zu spüren. Nach 60 Kurven auf dem 111 Meter langen Rundkurs hatte der junge Südkoreaner die Goldmedaille gewonnen. Es war bereits das 22. Gold für Südkorea in einer Sportart, die erst seit 1988 überhaupt olympisch ist. 12 000 Menschen im Gangneung Ice Center haben es miterlebt. Shorttrack ist ganz klar das größte Fanspektakel der Winterspiele von Südkorea.

Für die Südkoreaner sind die Olympischen Spiele vor allem Shorttrack-Spiele. Die Athleten sind Stars im Land. Fast 500 Euro kosten die besten Tickets für die Eislaufveranstaltungen umgerechnet. Die Arena – die größte der Spiele – ist immer gerappelt voll. Zum Vergleich: Eine Eintrittskarte für das olympische Eishockeyfinale kostet 130 Euro, in den Genuss alpiner Abfahrten kommt der Fan schon für läppische 70 Euro. Shorttrack ist im Lande das, was alpiner Skisport in Österreich und der Schweiz ist oder Eishockey in Kanada und Russland.

Beim olympischen Shorttrack bleiben die Koreaner auf den Rängen beinahe unter sich – beim Biathlon dagegen sind kaum Einheimische auf den Tribünen. Hier bleiben oft viele Plätze frei.

Diese Spiele von Pyeongchang sind nicht die einen Winterspiele, es sind viele kleine, zerklüfteten Spiele verschiedener Interessen. Hier gibt es keinen gemeinsamen Nenner. Das lässt sich fast überall beobachten. Auch die Organisatoren haben das berücksichtigt, zum Beispiel bei der Musikbeschallung. Moderner Sound beim Shorttrack und Snowboard, europäische Gassenhauer beim nordischen Skisport und die größten Europop-Hits der Achtziger und Neunziger beim Eishockey.

Auch bei den ausländischen Gästen ist die Interessenslage klar. Biathlon und Skispringen sind die unumstrittenen deutschen Größen, ein bisschen auch die Nordische Kombination. Als Eric Frenzel zu seinem olympischen Gold in der Kombination ins Stadion einlief, schallte „Hey Baby“ von DJ Ötzi durch die Arena. Es war so, als hätte man die Alpengaudi in die Berge Südkoreas importiert. Der Stadionsprecher salbaderte in seine englischen Kommentare Wortkombinationen wie „Eric, der Boy from Deutschland“ ein, auf den Tribünen dominierte Schwarz-Rot-Gold.

Der größte gemeinsame Nenner für fast alle Nationen ist der Eiskunstlauf

Auch ein paar Norweger und Österreicher saßen bei Frenzels Sieg auf den Rängen – und Mike und Carl aus San Francisco waren im Publikum. Mike sagte: „Meine Eltern kommen aus Norwegen, deshalb bin ich hier. Zu Hause halten sie mich für verrückt, diese Sportart kennt da keiner. In meiner Heimatstadt Minneapolis gibt es im Wesentlichen nur Eishockey.“

Die Fraktion der Eishockeyfans ist tatsächlich in Pyeongchang ziemlich groß. Wenn Finnland gespielt hat, zieht schon mal ein feiner Wodkageruch durch die von der Hafenstadt Gangneung ausgehenden Züge. Dort finden die olympischen Hallenwettbewerbe statt. Mika aus Helsinki ist am Freitag auch unter den vielen Reisenden im weißblauen Trikot. Sie rufen mit einem 5:1 gegen Norwegen im Rücken „Soumi“, so gut sie das zu fortgeschrittener Stunde in ihrer Verfassung noch können. „Finnland holt hier Gold. Die Schweden haben Deutschland nur 1:0 geschlagen, lächerlich. Die blöden Schweden hauen wir weg“, sagt Mika.

Das Gangneung Hockeycenter ist vor allem voll, wenn das Team der olympischen Athleten aus Russland spielt. Die vielen Fans schwenken ihren Russland-Flaggen und brüllen den Stadionsprecher nieder, wann immer er diese seltsame Wortreihung „Olympic Athletes“ ausspricht. Eine kleine Ohrfeige für das Olympische Komitee nach der halbherzigen Nicht-Aussperrung russischer Athleten und den Dopingvorwürfen. Manch Olympia-Fan hält sich allerdings nur in den Bergen auf – bei den Snowboard-Veranstaltungen etwa, wo fast nur Nordamerikaner sind. Auf den längeren Pisten tummeln sich viele Gäste aus der Schweiz. Der Bruder eines am Ende chancenlosen Abfahrtsläufers sagt am Donnerstag: „Für uns Schweizer ist das hier eine Skiveranstaltung, mit etwas Eishockey.“

Jede Nation hat ihre eigenen Sportarten, es gibt nur wenige Grenzgänger. Die meisten von ihnen tummeln sich vielleicht noch beim Biathlon. Das interessiert nicht nur den Eishockeyfan Mika aus Helsinki, sondern ist auch in Russland sehr beliebt. Auch Franzosen und Italiener sind vor Ort. Auf der Rodelbahn ist die Alpenregion quasi unter sich. Nur wenn die Skeletonis die Bahn runterrasen, wird es internationaler.

Die Frage der Popularität einer Sportart ist natürlich durch ihre Verbreitung in den Ländern begründet und den damit oft verbundenen Medaillenchancen. Und es ist eine medial-kulturelle Geschichte: Wer betreibt in Deutschland schon Biathlon, Skispringen oder Eisschnelllauf? Zusammengenommen sind es nicht einmal zehn Prozent der Menschen, die etwa Tischtennis spielen. Aber vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender haben hier in den vergangenen Jahren durch ihre vielen Liveübertragungen Aufbauarbeit geleistet. Sie haben geholfen, Stars zu schaffen, wie zum Beispiel Laura Dahlmeier. Und die zahlen das mit Medaillen zurück.

Der größte gemeinsame Nenner für fast alle Nationen ist der Eiskunstlauf. Schönheit verbindet eben. Allerdings war die große Halle bei der Traumkür von Aljona Savchenko und Bruno Massot nicht annähernd so voll wie die beim Shorttrack. Die Gastgeber geben den Takt vor. Sie machen vor Ort die Musik. Was im Rest der Welt ankommt, hat damit nichts zu tun. Da bastelt sich jede Nation ihre eigenen Olympischen Winterspiele.

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