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Zum Abheben. Das amerikanische Team um Christie Rampone wurde

© dpa

Sport: Streifen mit Stars

Die Amerikanerinnen begeistern in Dresden das Publikum mit unbändigem Siegeswillen, die Brasilianerinnen hingegen verspielen mit Unsportlichkeiten alle Sympathien

Deutschland läuft mit fliegenden Fähnchen über. Die Fähnchen stecken an Thunderbirds, Chevrolets und Buicks, schweren amerikanischen Autos, sie rollen auf der Albertbrücke über die Elbe, vorbei am Großen Garten zum Rudolf-Harbig-Stadion. Stars and Stripes in Dresden – keine Selbstverständlichkeit in einer Stadt, die im letzten der tausend braunen Jahre bei alliierten Luftangriffen schwer zerstört worden ist. Am Sonntag stehen die amerikanischen Fähnchen für eine andere Botschaft. Als blau-weiß-roter Hinweis dafür, dass es auch nach dem K.o. der deutschen Mannschaft eine Frauenfußball-Weltmeisterschaft gibt. In Dresden wird aus dem Event ein Fußballturnier. Mit all dem Wahnsinn, der heutzutage nun mal dazugehört, aber ohne öffentlich aufgezwungene Inszenierung.

Das Viertelfinale von Dresden ist das bisher beste Spiel dieser WM und das aufregendste dazu. Zehn US-Amerikanerinnen schaffen gegen elf Brasilianerinnen in der Nachspielzeit der Verlängerung noch das Ausgleichstor zum 2:2. Nach ihrem folgenden 5:3-Sieg im Elfmeterschießen erhebt sich das gesamte Stadion zum finalen Beifall. „Vielen Dank, liebe Dresdener“, sagt Hope Solo, die großartige Torhüterin in Diensten der USA. „Diese Leute hier verstehen etwas vom Fußball. Sie haben erkannt und honoriert, dass wir hart gearbeitet und nie aufgegeben haben.“

Niemand hat Hope Solo und ihre Kolleginnen vor der WM in enge Kostümchen gesteckt, sie haben sich nicht für Werbespots geschminkt und sind nicht instrumentalisiert worden von Politikern, die einen Platz auf der Tribüne und das Licht der Fernsehkameras suchten. Sie haben einfach nur gespielt. Fußball. Bei einer Weltmeisterschaft. Und sind dafür in Dresden mit authentischer Begeisterung gefeiert worden.

Das öffentlich inszenierte Event will es, dass brasilianische Fußballspieler immer und überall geliebt werden, dass sie adoptiert werden von einem breiten Publikum, das gelb-blaue Hemden trägt, Caipirinha trinkt und zu tanzen versucht, was es für Samba hält. In Dresden funktioniert das nicht.

Die Stimmung kippt nach gut einer Stunde, als Marta, die beste Fußballspielerin der Welt, mal wieder einen ihrer zauberhaften Tricks zeigt. Sie hebt den Ball über zwei US-Amerikanerinnen und wird dabei gewiss am Trikot gezupft, geht dabei aber so dramatisch zu Boden, als könnte sie nie mehr aufstehen. Die zupfende Verteidigerin fliegt dafür vom Platz, und Marta ist nach kurzer Pause fit genug zur Verwandlung des Elfmeters, den die Schiedsrichterin nach einem Fehlschuss Christianes hat wiederholen lassen. Die Zuschauer rasen, sie wittern einen Betrug. Niemand sitzt mehr, alle brüllen sie: „U! S! A! U! S! A!“ Und Marta wird fortan bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. „Ich weiß nicht, was die Leute hier gegen Marta haben, sie ist doch eine so wunderbare Spielerin und es müsste doch jedem Spaß machen, ihr zuzuschauen“, sagt Brasiliens Trainer Kleiton Lima und schließt daraus: „Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie keine Deutsche ist.“

Marta tut so, als sei ihr alles egal, sie huscht weiter über den Platz und schießt zum Beginn der Verlängerung ein wunderschönes Tor. Und bekommt doch nur Pfiffe. Marta muss stellvertretend büßen für all das, was ihre Kolleginnen anstellen. Für ein nicht geahndetes Handspiel von Maurine, es hätte mit einer Roten Karte bestraft werden müssen. Für all die Verzögerungen, die dreisteste leistet sich die Verteidigerin mit dem schönen deutschen Namen Erika, die sich theatralisch auf einer Trage vom Platz bringen lässt und dann blitzschnell aufspringt und zurück auf den Platz eilt. Die Brasilianerinnen weigern sich, weiter Fußball zu spielen. Und das rächt sich in der letzten Minute der Nachspielzeit. Wieder verzögert Martas Sturmpartnerin Cristiane, sie will einen Eckball provozieren oder doch wenigstens einen Einwurf. Aber sie verliert den Ball, den die Amerikanerinnen sofort nach vorn dreschen. Megan Rapinoe flankt in die Mitte, direkt auf den Kopf von Abby Wambach. Das Netz wölbt sich und das Publikum schreit seine Begeisterung hinaus, es ist wahrscheinlich noch an der Frauenkirche zu hören. Im Elfmeterschießen trifft Marta ein drittes Mal, aber zur Heldin wird Hope Solo mit ihrer Parade gegen die Brasilianerin Daiane.

Zum Abschied bilden die Verliererinnen einen Kreis auf dem Rasen, dann schleichen sie schweren Schrittes zu ihren Gegnerinnen und herzen sie. Nur Marta verlässt grußlos den Rasen, beim Fernsehinterview weint sie. In der Kabine kreischen die Siegerinnen und vor dem Stadion die Fans. Hunderte warten in der Dämmerung und winken, als der Mannschaftsbus in die Lennéstraße einbiegt. Vorbei am Großen Garten Richtung Elbe. Immer auf der Spur der Thunderbirds und Chevrolets und Buicks, in denen Deutschland mit fliegenden Fähnchen übergelaufen ist.

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