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Athleten müssen fit sein, gerade im Kopf. Um die maximale Leistung zu erbringen – und um gesund zu bleiben.

© yodiyim - Fotolia

Stress und Depressionen: Wie der Sport die Psyche belasten kann

Athleten müssen nicht nur körperlich, sondern auch mental stark sein. Haben sie Probleme mit ihrem Selbstvertrauen oder der Motivation, können sie ihre Leistungen nicht mehr erbringen. Und sie laufen Gefahr, psychisch krank zu werden.

Und wieder nicht. Ein Jahr lang hat die Schwimmerin Dorothea Brandt trainiert, war morgens um 7 Uhr im Wasser, Tag für Tag, bis zur Erschöpfung. Doch dann verpasste sie die Qualifikation für die Weltmeisterschaften. Nicht 2005, nicht 2006, nicht 2007 und 2009. An ihrer Fitness oder ihren Fähigkeiten lag es nicht. Es war ihr Kopf, der nicht funktionierte, der blockiert war von Selbstzweifeln. „Irgendwann habe ich dann nicht mehr nur mein Talent, sondern meine Zurechnungsfähigkeit infrage gestellt. Ich, im Hochleistungssport, das erschien mir auf einmal so lächerlich“, erzählt die 30-Jährige. Heute ist sie Deutsche Meisterin.

Funktionieren, 100 Prozent geben, herausragend sein. Bei Sportlern geht es permanent um das Maximum, um Sieg und Niederlage, um Anerkennung und Versagensängste. Selbst der talentierteste Athlet kann unter diesem Druck nur erfolgreich sein, wenn er mental gefestigt ist – und gesund. Nur zu gut erinnerte der Suizid des Fußballspielers Andreas Biermann vor einer Woche daran, dass Sportler noch so stark und kräftig erscheinen können. Ihr Inneres, ihr Gemüt ist verletzlich und dennoch in der Lage, die Leistungen und die Gesundheit eines Sportlers komplett zu kontrollieren.

Ein Sieg ist wie ein Drogenrausch

„Eine stabile Persönlichkeit ist im Sport deswegen sehr wichtig“, sagt Moritz Anderten. Er ist Sportpsychologe und koordiniert das Projekt „Mentaltalent“ der Deutschen Sporthochschule Köln. Sein Ziel ist es, Athleten schon im Jugendalter psychologisch zu stärken und ihnen zu zeigen, dass das Leben nicht nur aus dem Gewinnen von Medaillen besteht. Klar, nach einem gewonnenen Wettkampf, mit Lob und Applaus, schüttet das Gehirn eines Sportlers so viele Glückshormone aus, als sei er auf Drogen. Als befinde er sich gerade in einem Rausch der Euphorie und Unbesiegbarkeit. Doch verfehlt der Sportler beim nächsten Mal sein Ziel, kann er ebenso wütend, traurig, frustriert sein. Ein gefährlicher Moment, wenn sich jemand nur über den Sport definiert. Wenn er glaubt, nur als Sieger etwas wert zu sein.

Um einen solchen Eindruck zu vermeiden, arbeitet Moritz Anderten mit seinen Sportlern viel an ihrer menschlichen Entwicklung, empfiehlt Hobbys neben dem Sport, spricht über Familie und Freunde, plant mit seinen Klienten eine Doppelkarriere. „Wir dürfen keine Feuerwehrleute sein, die gerufen werden, wenn etwas passiert ist“, sagt er. Deswegen rät er auch Trainern dazu, aufmerksam zu sein, sensibel, empathisch – und vor allem nach Misserfolgen mit den Sportlern in Ruhe zu sprechen und sachlich zu klären: Hat der Sportler Fehler gemacht? Wenn ja, warum? Hat er sich selbst zu viel Druck gemacht oder waren die Anforderungen an ihn zu hoch?

Neue Anforderungen für die Trainer

„Niederlagen müssen vor allem deswegen reflektiert werden, damit Sportler sie abhaken können, um sich auf den nächsten Wettkampf zu konzentrieren“, sagt Anderten. Sonst gehen sie das nächste Mal gehemmt in einen Wettkampf und konzentrieren sich nicht auf den Moment, sondern blicken zurück. Zu ihrem letzten Scheitern.

Natürlich stellt die Einbeziehung der Psyche jeden Trainer vor neue Anforderungen. Ihnen hilft es daher, das Wesen ihrer Sportler zu erkennen. Ein optimistischer Reiter begründet Erfolge zum Beispiel mit den eigenen Fähigkeiten und Misserfolge mit äußeren Faktoren wie dem Wetter. Ein Pessimist hingegen begründet einen Sieg eher mit Glück oder Zufall und sieht nur die Verantwortung für Fehler bei sich selbst. Ihm muss ein Trainer verstärkt zeigen, wie gut er ist, was er erreichen kann. „Ja, ein Trainer muss ein Bild von dir als Gewinner im Kopf haben“, sagt Dorothea Brandt. „Das gibt dir enorm viel Kraft.“ Den Sportlern selbst rät Jürgen Beckmann, Sportpsychologe der Technischen Universität München: „Gute Trainingseinheiten und Ergebnisse sollten auf ihr Erfolgskonto legen. Da können sie dann bei Selbstzweifeln immer dran gehen.“

Für einen Sportler ist es aber nicht nur wichtig, seine Ängste zu kontrollieren und mit Stress und Niederlagen umzugehen. Auch seine Motivation ist wichtig, sein Antrieb, sein Wollen. Das kann in ihm selbst schlummern, oder er braucht einen Trainer, der ihn anspornt. Mit realistischen Zielen, einer ausgewogenen Balance zwischen Lob und Kritik und der Beachtung von einigen Grundbedürfnissen. Zum Beispiel nach Autonomie. So schrieb Philipp Lahm nach seinem überraschenden Rücktritt aus der Nationalmannschaft in der Wochenzeitung „Die Zeit“, er wolle sich nicht „vom Leistungssport treiben lassen“. Er wolle eigene Entscheidungen treffen, sein Leben selbst in die Hand nehmen.

Welche Faktoren im Sport krankmachend sind

Athleten müssen fit sein, gerade im Kopf. Um die maximale Leistung zu erbringen – und um gesund zu bleiben.
Athleten müssen fit sein, gerade im Kopf. Um die maximale Leistung zu erbringen – und um gesund zu bleiben.

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Ähnlich wie das Gefühl, fremdbestimmt zu sein, kann der Anschein, nie genug zu leisten, nie gut genug zu sein, auf die Zufriedenheit schlagen. „Bei zu viel Perfektionismus und zu wenig positivem Feedback kann Sport wahrlich krankmachend sein“, sagt Jürgen Beckmann und warnt vor einem weiteren Phänomen, das er bei vielen Sportlern sieht: zu wenig Erholung. Zu wenig Zeit, den Körper und Kopf mal vollständig zur Ruhe kommen zu lassen. Die Folgen können Ermüdung, Schlafstörungen und Antriebslosigkeit sein. Folgen, die gleichzeitig erste Symptome für eine Depression sind.

Grundsätzlich hängt es von mehreren Faktoren ab, ob jemand psychisch erkrankt oder nicht. Die genetische Veranlagung spielt dabei ebenso eine Rolle wie plötzliche Erlebnisse, Ereignisse und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. Zum Beispiel zu hohe Erwartungen an sich selbst, zu viel Ehrgeiz, zu viel Streben nach Anerkennung, zu viel Angst, zu enttäuschen. Alles Faktoren, die im Sport eine große Rolle spielen – und in diesem Umfeld aus hohen Belastungen, Stress und Druck nicht ungefährlich sind.

Ein Psychiater und Psychotherapeut, der sich sehr intensiv mit Depressionen im Sport beschäftigt und im Kuratorium der Robert-Enke-Stiftung sitzt, ist Frank Schneider. Als Hauptauslöser nennt er Verletzungen, die das Ende einer sportlichen Laufbahn einleiten können. Gefolgt vom wirklichen Karriereaus und dem Gefühl der Leere im Leben. Häufiger als in der Gesamtbevölkerung kommt die psychische Erkrankung im Sport seiner Meinung nach aber nicht vor. „Sportler sind ganz normale Leute. Sie haben kein erhöhtes, aber auch kein niedrigeres Risiko, an einer Depression zu erkranken“, sagt er.

Mental erschöpft statt depressiv erkrankt

Allerdings würden viele Betroffene nach wie vor lieber von einem Burn-out sprechen als von einer Depression. Das klingt immerhin nach Fleiß und Überarbeitung – und nicht so sehr nach einer Phase des Schwermuts, der Schwäche. Bekannte Sportler, die öffentlich von einem Burn-out gesprochen haben, waren zum Beispiel der Skispringer Sven Hannawald im Jahr 2004 sowie Fußballtrainer Ralf Rangnick und Torhüter Markus Miller sieben Jahre später. „Seit einiger Zeit habe ich immer seltener das Gefühl, dass ich der Mannschaft wirklich helfe oder etwas Wesentliches bewirke“, sagte Miller damals. Wegen einer „mentalen Erschöpfung“ werde er sich deswegen stationär behandeln lassen.

Sven Hannawald litt lange Zeit unter einem Burnout-Syndrom.
Sven Hannawald litt lange Zeit unter einem Burnout-Syndrom.

© dpa

Fragt man Frank Schneider eine Woche nach dem Suizid des Fußballspielers Andreas Biermann, was sich in den letzten Jahren – seit dem Tod von Robert Enke 2009 – im Sport getan hat, spricht er von einem Wandel. Der damalige Torhüter von Hannover 96 war damals vor einen Zug gesprungen, 40 000 Trauergäste kamen zu einer Gedenkfeier ins Stadion von Hannover, sie wurde auf fünf Fernsehprogrammen live übertragen.

Nur zwei Erstligisten haben Sportpsychologen

Seit dieser Tragödie gebe es laut Frank Schneider die Robert-Enke-Stiftung mit ihrer Telefonhotline. Es gebe Initiativen wie „Mental Gestärkt“ und „Mentaltalent“ und das Netzwerk „Sportpsychiatrie und -psychotherapie“, zu dem mit ihm 70 Experten gehören. Und speziell im Fußball? Dort schreibt der Deutsche Fußball-Bund seinen Leistungszentren vor, eine psychologische Betreuung zu gewährleisten, während es im Leistungssport allerdings nach wie vor anders aussieht. Von den Erstligisten haben nur Schalke 04 und Borussia Dortmund angegeben, dass sie einen festen Psychologen für ihre Profimannschaft haben. Die restlichen Vereine würden hin und wieder mit Psychologen aus ihren Leistungszentren oder von Universitäten zusammenarbeiten. Wenn überhaupt.

Damit Dorothea Brandt nicht noch einmal den Glauben an ihr Können verliert und sich selbst infrage stellt, macht sie mittlerweile Yoga. „Es tut so gut, weil es dabei überhaupt nicht um Konkurrenz, um Wettkampf geht“, sagt sie. Dadurch kämen selbst Perfektionisten zur Ruhe.

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