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Sport: Sturz aus den Ansprüchen

Jupp Heynckes wollte Gladbach in den Europapokal führen und steht jetzt auf einem Abstiegsplatz

Was Jupp Heynckes am Ende vortrug, hörte sich an wie die Wochenendbilanz eines Unfallkrankenhauses: Michael Delura hatte eine tiefe Fleischwunde am Fuß davongetragen, Bernd Thijs als Folge einer Risswunde über dem Auge unter Gleichgewichtsstörungen gelitten und Eugen Polanski im Nahkampf einen Zahn eingebüßt. „Im Moment kommt alles zusammen“, sagte der leitende Arzt Dr. Heynckes. Die seelischen Verletzungen hatte der Trainer von Borussia Mönchengladbach gar nicht erst erwähnt. Durch die 0:2-Niederlage beim VfL Bochum ist Heynckes mit seiner Mannschaft zum Ende der Hinrunde der Fußball-Bundesliga auf einen Abstiegsplatz gerutscht.

Die Gladbacher sind Spezialisten für hohe Ansprüche und tiefe Stürze, so groß wie in dieser Saison ist die Diskrepanz noch nie gewesen. Nachdem die Mannschaft seit dem Aufstieg fünf Jahre lang auf der Stelle getreten ist, wollte der Verein mit der internationalen Koryphäe Heynckes den nächsten Schritt einer Entwicklung tun, die in absehbarer Zeit zurück in den Europapokal führen sollte. Stattdessen überwintert die Mannschaft zum ersten Mal seit dem Aufstieg auf einem Abstiegsplatz, und inzwischen stellt sich immer drängender die Frage, ob Dr. Heynckes überhaupt noch der Arzt ist, dem die Gladbacher vertrauen.

In Bochum brüllte ein großer Teil der Gladbacher Fans Mitte der zweiten Hälfte „Heynckes raus!“; ein noch größerer überstimmte sie mit Pro-Heynckes-Rufen. Doch die Zahl der Gegner wächst. Sie werden befeuert von einer Medienkampagne gegen den Trainer, die es, ohne Bezug zur Realität, geschafft hat, die Illusion vom nahen Ende der zweiten Ära Heynckes zu nähren. Das manchmal etwas zittrige Präsidium des Vereins scheint Heynckes tatsächlich mehr Zeit zu gewähren als seinen fünf Vorgängern in den vergangenen fünf Jahren. „Wir haben dieses Thema nie angefasst“, sagte Peter Pander. „Wir haben die Diskussion in keiner Weise zugelassen. Deswegen müssen wir sie jetzt auch nicht erörtern.“ Borussias Sportdirektor, der mit seiner einfältigen Transferpolitik maßgeblich zur Krise beigetragen hat, will nun überlegen, „auf welcher Position wir uns verbessern müssen“. Die Position des Trainers gehört offenbar nicht dazu.

Dabei haben unter Präsident Rolf Königs schon weit geringere Verfehlungen zur Entlassung geführt als die, die Heynckes angelastet werden können. Bei seinem Amtsantritt hatte er offensiven Fußball angekündigt – 13 Tore haben die Gladbacher seitdem zuwege gebracht. Seine Mannschaften seien auswärts immer besonders stark gewesen, hatte Heynckes versichert – in neun Spielen auf fremdem Platz holten die Borussen zwei Punkte. Auch alle anderen Kennziffern sind erschreckend: Kein Team kommt in der Hinrunde auf mehr Niederlagen, achtmal haben die Gladbacher zu null verloren, und in den letzten acht Spielen schossen sie nur drei Tore. Es gibt verschiedene Theorien, worin die Misere begründet liegt. Es heißt, Heynckes überfordere die Spieler. Zumindest scheint er sie nicht ermutigen zu können. In Bochum kassierten die Gladbacher in der letzten Aktion vor der Pause das 0:1. Als sie auf den Platz zurückkehrten, wirkten sie fahriger als zuvor. „Wir haben es wieder nicht verstanden, uns zu sammeln“, sagte Heynckes. Der Trainer selbst macht die vielen Verletzungen für die Krise verantwortlich. Doch Heynckes potenziert die Folgen der Ausfälle immer noch durch zusätzliche Umstellungen. Gegen Bochum musste er nur Innenverteidiger Bo Svensson ersetzten, im Vergleich zur Vorwoche aber veränderte er die Mannschaft auf vier Positionen.

Heynckes wurde in Bochum gefragt, ob er an Rücktritt denke. Er werde sich erst mit „meinem Präsidenten“ zusammensetzen, antwortete er, „und das Ganze analysieren“. Königs hatte schon vor einigen Wochen gefordert, dass die Mannschaft zur Winterpause nicht auf einem Abstiegsplatz stehen dürfe und eine Stammelf gefunden haben müsse. Jupp Heynckes hat beide Vorgaben nicht erfüllt.

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