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Fredi Bobic, 41, stürmte für Stuttgart, Dortmund, Hannover und Hertha BSC 285 Mal (108 Tore) in der Bundesliga. Seit Juli 2010 arbeitet er als VfB-Sportdirektor.

© AFP

Stuttgart vor dem Pokalfinale: Fredi Bobic: "Schwaben haben den Hang zum Nörgeln"

Der frühere Hertha-Stürmer und jetzige Manager des VfB Stuttgart, Fredi Bobic, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über schwäbische Grundstimmungen, seinen emotionalen Trainer und die Chancen im Pokalfinale gegen Bayern.

Herr Bobic, der VfB Stuttgart hat den früheren Sprinter Tobias Unger als Athletiktrainer engagiert. Soll der VfB die schnellste Mannschaft Deutschlands werden?
Tobias kommt für unsere Jugendabteilung. Er bringt unglaublich gute Voraussetzungen mit und ist sehr motiviert. Wir wollen im Nachwuchs hier und da neue Wege gehen. Auffrischung und neue Ideen sind immer gut.

Gilt das nicht auch für den gesamten Verein? Im Moment weiß man nicht, wofür der VfB eigentlich steht.
Das mögen Sie so sehen. Der Verein steht unter anderem für seine sehr gute Nachwuchsarbeit. Wir sind der Klub, der in der Ersten, Zweiten und Dritten Liga die meisten Spieler ausgebildet hat. Das ist Fakt. Natürlich definiert sich ein Verein auch über seine Erfolge. Die hat es auch gegeben, werden aber gerne mal vergessen. Wir sind in den letzten elf Jahren neun Mal international dabei gewesen, und in dieser Saison haben wir es wieder geschafft. Das ist Beständigkeit auf hohem Niveau.

Sie sind international dabei, weil Bayern München, der Gegner im Pokalfinale, schon für die Champions League qualifiziert ist.
Wie du es schaffst, ist egal. Hauptsache, du schaffst es. Aber ich geben Ihnen in einem Recht: Der wichtigste Indikator in der Wahrnehmung ist die Bundesligatabelle. Da sind wir nur Zwölfter geworden. Ein besseres Ergebnis haben wir uns zu Beginn der Rückrunde zerschossen, als wir fünf Mal verloren haben. Trotzdem ist die Freude, in Berlin dabei zu sein, sehr groß.

Im Rest des Landes wird eher das Grummeln rund um den Klub wahrgenommen.
Es wurde sehr viel von Sparen geredet, es wurde von Führungsproblemen geredet und berichtet – der sportliche Aspekt ist dabei leider ein wenig zu kurz gekommen. Dabei haben sich die Dinge beim VfB über die Jahre hinweg auch positiv entwickelt. Aber zum Teil ist der Vorwurf berechtigt. Das habe ich auch intern angemahnt.

Was meinen Sie?
Der VfB hat den Nachwuchs vielleicht ein bisschen aus den Augen verloren, als er erfolgreich war. Aber das passiert vielen Klubs in Deutschland. Die Kunst ist es, auf den eigenen Nachwuchs zu setzen, wenn du erfolgreich bist. Und sich dann nicht von außen einreden zu lassen: Wir müssen jetzt aber mal das ganz große Rad drehen. Die Mischung muss immer stimmen.

Ist das der Fluch der guten Tat?
Seitdem ich Fan des Vereins bin, ist es immer das Gleiche gewesen: Wenn die ganz großen Klubs anklopfen, wird der VfB seine Top-Spieler nicht halten können. Entscheidend ist, dass du in solchen Situationen der Versuchung widerstehst, das mit neuen Stars kompensieren zu wollen. Angenommen, man bekommt für einen Spieler 30 Millionen, kauft aber dafür fünf. Dann hast du fünf Gehälter statt einem und musst fünf Vertragslaufzeiten abschreiben. Das bläst den Ballon ziemlich auf und schiebt alles nach oben.

Stimmt es, dass der VfB Personalkosten von 68 Millionen Euro hatte?
Es geht in die Richtung. Als ich angefangen habe, haben die Personalkosten mehr als 50 Prozent des Budgets ausgemacht. Das ist nicht gesund. Aktuell sind wir bei 42 Prozent. Trotzdem haben wir wieder etwas Substanz aufgebaut, Europa League gespielt, das Pokalfinale erreicht. Und das mit einem Kader, von dem wir wissen, dass er eigentlich zu klein war.

Wieso wird das nicht gewürdigt? Haben Sie das nicht ausreichend kommuniziert?
Quatsch! Das haben wir oft genug gesagt. Weil wir auch oft genug darauf angesprochen worden sind. Aber das wird halt dann von dem einen oder anderen als Jammern ausgelegt. Wir haben selbst auch einen hohen Anspruch, aber eine faire Einordnung wäre wünschenswert. Von uns wird verlangt, dass wir das Pokalfinale erreichen, dass wir die Europa League nicht abschenken und in der Bundesliga konkurrenzfähig sind. Aber die Bundesliga ist ein extrem harter Wettkampf geworden. Das hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch verändert.

Inwiefern?
Zu meiner Zeit gab es Spiele, die du mit 60, 70 Prozent gewonnen hast. Du hast schnell ein Tor gemacht, da war das Ding durch. Heute müssen die Jungs immer an die Grenze gehen, immer. Das Pokalfinale wird unser 52. Spiel in dieser Saison sein. Wenn du Spieler nicht adäquat ersetzen oder ihnen mal eine Pause geben kannst, wird es schwierig. Deshalb wollen wir Quantität und Qualität erhöhen, damit wir nächstes Jahr konstanter sind.

"Erstmal fahren wir nach Berlin, um zu gewinnen."

Sie sind in Stuttgart aufgewachsen. Fällt es Ihnen leichter, mit der Bruddlermentalität, dem Hang zum Nörgeln, klar zu kommen.
Absolut. Das gehört einfach zum Schwaben. Der bruddelt – und weiß manchmal nicht, warum. Unsere Haupttribüne wird immer kritisch sein, vielleicht kritischer als alle anderen Haupttribünen der Republik. Das ist schwer zu verstehen, wenn du von außen kommst. Aber wenn du den Schwaben zum Freund hast, hast du ihn fürs ganze Leben. Der Schwabe kann auch ein angenehmer Zeitgenosse sein.

Haben Sie Bruno Labbadia die schwäbische Mentalität inzwischen nahe gebracht?
Er tut sich vielleicht etwas schwerer damit, weil er nicht hier geboren ist. Aber man muss auch mal sagen: Unter den Bedingungen, die er hier bisher hatte, machen das nicht viele mit. Viele Trainer hätten gefordert: Ich brauche neue Spieler, sonst gehe ich. Bruno Labbadia ist unseren Weg mitgegangen – obwohl er weiß, dass er der Erste wäre, der gefeuert wird, wenn es schief geht. Aber da gibt es keinen Anlass zur Sorge, solange ich sehe, dass die Mannschaft bedingungslos alles gibt. Die Mannschaft hat 51 Spiele bestritten und trotzdem die meisten Kilometer abgerissen. Das ist kein reines Qualitätsmerkmal, aber es ist ein Mentalitätsmerkmal.

Ist Labbadias Emotionalität eher Stärke oder Schwäche?
Jeder ist doch so, wie er ist. Der eine sitzt still auf der Bank. Der andere geht impulsiv an der Seitenlinie mit. Man kann das mögen oder nicht. Bruno Labbadia will sich nicht verbiegen lassen. Das müsste auch ein Schwabe schätzen: wenn jemand so akribisch arbeitet wie er, arbeitsbesessen ist, und geradlinig seinen Weg geht.

Waren Sie von der legendären Wutrede Ihres Trainers im Voraus informiert?
Er hatte sie nicht angekündigt, aber mir war klar, dass da was kommt. Von seiner Mentalität her ist Bruno Südländer. Wenn sich da einiges angestaut hat, bricht das irgendwann durch. Das kann mir auch passieren, ich bin auch Südländer.

Fällt es Ihnen schwer, Spieler für den VfB zu begeistern, wenn der Eindruck vorherrscht, in Stuttgart wird nur gemeckert?
Nein. Spieler musst du sportlich überzeugen. Konstantin Rausch und Daniel Schwaab haben mich Mitte April angerufen, um mir mitzuteilen, dass sie zu uns kommen. Das war ein paar Tage vor dem Pokal-Halbfinale, als noch nicht klar war, ob wir wieder international spielen. Diese Anrufe haben mich genauso gefreut wie der Sieg im Halbfinale gegen Freiburg.

Warum?
Es zeigt mir, dass sich die Spieler von dem, was wir ihnen sagen, überzeugen lassen. Wir wollen, dass Spieler gern zum VfB wechseln. Das war vor einigen Jahren sicher schwieriger, da musstest du sie vor allem mit Geld locken. Aber jetzt sehen sie, was hier entsteht.

Das hört sich kampfeslustig an.
Der Trainer hat gesagt: Er möchte gerne ernten, was wir gesät haben. Mir geht es ähnlich. Man kann sich ja angucken, welche Zwänge wir hatten. Wir mussten Transferüberschüsse erzielen, also Substanz verkaufen. Trotzdem haben wir international gespielt. Da sind wir stolz drauf. Wir haben die Mannschaft weitgehend bereinigt, der letzte Schritt kommt jetzt noch. Wir sind liquide, wir können wieder in Maßen investieren und Qualität holen, um uns breiter aufzustellen. Wir haben fünf neue Spieler verpflichtet, das gab es zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich noch nie. Ob das eine Kampfansage ist – nee, wir haben einfach Bock darauf, möglichst weit vorne dabei zu sein.

Vermutlich haben Sie auch keine Lust mehr, sich ständig rechtfertigen zu müssen.
Unser Weg ist anstrengend und schwierig, aber ich bin mir sicher, dass er richtig ist. Das misst sich nicht an Titeln, sondern an der Art, wie wir Fußball spielen. Ich möchte, dass der VfB mit dem Selbstvertrauen auftritt, das er verdient. Wir sind eine Nummer im deutschen Fußball. Und deswegen freuen wir uns auf das Finale gegen die Bayern, selbst wenn sie im Moment übermächtig erscheinen. Aber hey, das ist doch geil! 16 Klubs würden gerne mit uns tauschen.

Ist es Vor- oder Nachteil, dass die Bayern die Champions League gewonnen haben?
Vielleicht kommen sie jetzt mit breiter Brust und sagen: Die hauen wir mit links weg – und unterschätzen uns. Vielleicht sind sie auch noch fokussierter, weil sie das Triple gewinnen wollen. Das Schöne ist doch: Alle sagen, wir haben schon verloren. Also versuchen wir einfach mal, das Ding umzudrehen. Natürlich braucht man den perfekten Tag, aber Wigan hat neulich auch gegen Manchester City gewonnen.

Karl-Heinz Rummenigge glaubt, Bayern hätte auch mit 1,8 Promille eine Chance.
Das war ein emotionaler Ausrutscher, den nehme ich nicht so ernst. So etwas passiert nach einem großen Titelgewinn.

Es wäre jedenfalls nicht ehrenrührig, in dieser Saison gegen nüchterne Bayern zu verlieren. Fürchten Sie für diesen Fall trotzdem negative Auswirkungen?
Erstmal fahren wir nach Berlin, um zu gewinnen. Aber wir haben auch keine Angst vor den Folgen einer Niederlage. So oft kommt es ja nicht vor, dass der VfB im Pokalfinale steht. Der Stuttgarter weiß das zu schätzen. Es schreien ja nicht umsonst alle: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Dieses Ereignis muss man einfach positiv aufnehmen. Vor einem Jahr war ich mit meinen Töchtern beim Pokalfinale. Da hab ich mir ganz normale Karten besorgt und mir mal in Ruhe das ganze Drumherum angeschaut. Das ist Weltklasse.

Wo haben Sie denn gesessen, unter den Bayern- oder den Dortmund-Fans?
Da waren mehr Dortmunder um mich rum. Das war schon okay.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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