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Superstar Ray Lewis (r.) beendet seine Karriere mit einem zweiten Titelgewinn. Mit den Baltimore Ravens gewinnt er den 47. Super Bowl 34:31 gegen die San Francisco 49ers.

© AFP

Super Bowl 2013: Der Stromausfall gab Zeit für einen Mitternachtssnack

Zwei Brüder, die als Trainer ihrer Mannschaften gegeneinander antreten, Halbzeitbespaßung mit Beyoncé Knowles - und ein Stromausfall. Der Super Bowl war mal wieder ein großes und emotionales Spektakel. Eine Chronik.

Orange Bowl, Rose Bowl, ja sogar Military Bowl – in den USA gibt es viele Bowls, aber nur einen Super Bowl. Der Begriff bezeichnet für gewöhnlich die Endspiele im College-Football – und seit 1967 eben auch das Finale der Profis. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten zwei miteinander konkurrierende Ligen separat ihre Meister ermittelt: die traditionelle National Football League (NFL) und die jüngere American Football League (AFL). Die Fusion 1970 ebnete schließlich den Weg für das Event, das heute als größte singuläre Sportveranstaltung der Welt gilt. 2012 sahen weltweit 800 Millionen Menschen beim Sieg der New York Giants über die New England Patriots zu. 2013 lautet die Frage: Baltimore Ravens oder San Francisco 49ers? Eine Chronologie:  

20.50 Uhr: Knapp vier Stunden bis zum Kickoff. „ESPN“ berichtet seit Tagen vom Spielort in New Orleans. Und natürlich hält auch dieser Super Bowl wieder eine ganz besondere Geschichte bereit: Es ist das Duell zwischen John Harbaugh, 50, dem Cheftrainer der Baltimore Ravens – und seinem jüngeren Bruder Jim, 49, Head Coach der 49ers. Zum ersten Mal überhaupt stehen sich zwei Brüder im NFL-Endspiel gegenüber. Vater Jack und Mutter Jackie Harbaugh hatten unter der Woche sogar eine eigene Pressekonferenz abgehalten. Die US-Öffentlichkeit hat ohnehin ihren eigenen Begriff für diese außergewöhnliche Konstellation gefunden: der "Har-Bowl".

21.45 Uhr: Die Expertenrunde aus dem US-Fernsehen meldet sich zu Wort, namentlich sind das: James Brown, Steve Young, Bill Cowher und Mike Ditka. Sagt Ihnen gar nichts? Okay. Das ist ungefähr so, als würden bei einer Fußball-Übertragung in Deutschland Manni Breuckmann (Zunft: Reporterlegende), Oliver Kahn (Spielerlegende), Udo Lattek (Trainerlegende) und Franz Beckenbauer (Legendenlegende) in einem Studio sitzen. Die Definition einer Elefantenrunde.

22.26 Uhr:

Same procedure as every year: Die Amerikaner werden vorab freundlich daran erinnert, ihre Toilettengänge möglichst nicht auf die Halbzeitpause zu verschieben. Damit das Abwassersystem des Landes nicht überlastet wird. In unserer kleinen Runde klärt sich das Problem von selbst: sechs Leute in einer 45-Quadratmeter-Wohnung – da erübrigt sich die Frage nach der Anzahl der Bäder.

23.33 Uhr:

Der Kickoff rückt näher, einer der Protagonisten des Abends wird porträtiert: Colin Kaepernick, der Quarterback der 49ers, Shootingstar der Saison. Der 25-Jährige kam erst ab Mitte der Saison zum Einsatz, weil sich Stammspieler Alex Smith verletzt hatte. Führte San Francisco danach auf spektakuläre Art ins Endspiel. Könnte rein optisch in jedem Gangsterrappervideo mitspielen: schwer tätowiert, Basecap mit geradem Shirm, Zickenbärtchen. "Berliner Wurzeln", merkt ein vermeintlicher Experte aus unserer Runde an. "Ursprünglich aus Kaepernick." Der kostet.

0.10 Uhr:

Jetzt haben wir die Qual der Wahl. Sat1? Sport1 +? Oder doch "ESPN"? Sat1 bekommt zunächst eine Anstandschance, obwohl der Sender im Vorjahr das Kunststück fertig gebracht hat, bei einem Tochdown zu spät aus der Werbung zurückzuschalten. Immerhin sitzt 2013 eine Ikone auf dem Kommentatorenstuhl: Frank Buschmann. Wenig später läuft dann aber doch der englische Kommentar, so viel Anspassung muss sein. Beim Asiaten isst man ja schließlich auch mit Stäbchen.

0.22 Uhr:

Jetzt wird's pathetisch, "The Star-Spangled Banner" ertönt, die Nationalhymne, geschmettert von Alicia Keys. Kampfjets, die über dem Stadion die Nationalfarben in die Luft sprühen, gibt es in diesem Jahr allerdings nicht. Wäre auch irgendwie hohl. Der Super Dome in New Orleans, der nach dem Hurrikan Katrina als Auffang- und Sammellager fungiert hatte, ist schließlich überdacht.

0.30 Uhr:

Blitzlichtgewitter. Kickoff. Die 49ers erhalten zunächst den Ball – und sind ihn nach drei Versuchen ohne nennenswerten Raumgewinn auch ganz schnell wieder los. Baltimore darf seine Offensive aufs Feld schicken. Nach der Werbung natürlich.

0.40 Uhr:

Touchdown! Ravens-Quarterback Joe Flacco bedient Passempfänger Anquan Boldin in der Endzone. 7:0 für den leichten Außenseiter aus Baltimore.

1.22 Uhr:

Die Joe-Flacco-Show geht weiter. Nachdem die 49ers per Fieldgoal auf 3:7 verkürzt haben. Dennis Pitta fängt einen weiteren Pass von Flacco. 14:3.

1.41 Uhr:

San Francisco findet offensiv kaum statt. Nichts zu sehen von der viel gelobten "Read Option"-Taktik. Bei dieser Formation entscheidet der Quarterback erst während des Spielzugs, ob er den Ball an seinen Ballträger übergibt, ihn passt – oder sogar selbst mit ihm läuft. Mit der "Read Option" trieben die 49ers ihre Gegner auf dem Weg ins Endspiel an den Rand des Wahnsinns, weil sie eben so unberechenbar und schwer u verteidigen ist. Wie ein Dinner im Dunkel-Restaurant. Man weiß nie, was kommt.

1.55 Uhr:

Den Ravens schmeckt der erste Gang jedenfalls. Sie erhöhen kurz vor der Halbzeit auf 21:3. Flacco wirft seinen dritten Touchdown-Pass, diesmal auf Jacoby Jones. Wird das der vielleicht langweiligste Super Bowl der vergangenen Jahre? Immerhin verkürzen die 49ers noch. Pause. 21:6.

Pause nach der Pause: Nach einem Stromausfall geht plötzlich nichts mehr

2:20 Uhr:

Die Bespaßung in der Halbzeitpause übernimmt in diesem Jahr Beyoncé Knowles. Wer die R&B-Sängerin so sieht, muss zwangsläufig an die Sexismus-Debatte denken, die seit Tagen durch Deutschland tobt. Beyoncé trägt: wenig mit Nichts drüber. Genau wie dutzende Tänzerinnen, die wiederum jede Bewegung der Grammy-Preisträgerin nachahmen. Starke Show.

2.37 Uhr:

Weiter geht's. Und wie! Jacoby Jones trägt das Ei nach dem Kickoff über das gesamte Feld zurück in San Franciscos Endzone. 109 Yards – Super-Bowl-Rekord. Einer von vielen an diesem Abend. 28:6. Das Ding ist durch. Oder?

2.44 Uhr:

Jetzt ruht das Spiel plötzlich. Dunkelheit legt sich über das gewaltige Stadion, 72 000 Zuschauer staunen. Millionen an den Bildschirmen ebenso. Stromausfall! Zeit für einen Mitternachtssnack. Im "NFL-Studio Lankwitz" gibt es Burger. Oder wie man in Berlin sagt: Bulette im Teigmantel. Rot-gelb natürlich.

3.20 Uhr:

Here we go again. Mit Strom. Und den 49ers in Ballbesitz. Die Unterbrechung hat der Mannschaft aus dem Bundesstaat Kalifornien offenbar gut getan. Das Spiel scheint zu kippen. Kaepernick passt zunächst auf Michael Crabtree in die Endzone, Frank Gore verkürzt wenig später mit einem Lauf auf 28:20. Merke: Footballspiele sind lang und zäh – und selten frühzeitig entschieden.

4.34 Uhr:

In Sachen Spannung kann das Endspiel jetzt mit jenen aus den Vorjahren mithalten. Kaepernick läuft selbst in die Endzone, nur noch 31:29 für Baltimore. 9:57 Minuten zu spielen. Im American Football eine Ewigkeit.

4.55 Uhr:

Nach einem weiteren Field Goal zum 34:29 müssen die 49ers jetzt punkten, ein Touchdown ist Pflicht. Vier Minuten noch. Doch die berühmt-berüchtigte Defensive um Ravens-Superstar Ray Lewis hält, erobert den Ball zurück – und lässt die Uhr auslaufen. Dass sie dabei noch einmal zwei Punkte abschenkt – egal. Baltimore gewinnt 34:31 und damit seinen zweiten Super Bowl nach 2001, die 49ers verlieren bei ihrer sechsten Teilnahme am NFL-Endspiel zum ersten Mal und verpassen die Chance, nach Titeln mit Rekordhalter Pittsburgh Steelers (6) gleichzuziehen.

5.17 Uhr:

Um Ray Lewis bildet sich eine Menschentraube. Natürlich will ihm jeder Reporter eine Frage stellen. In seinem letzten Spiel nach 17 Jahren in der NFL hat der Linebacker seine Legende gefestigt. Lewis wird in den nächsten Tagen die Titelseiten der Zeitungen und Magazine füllen, das ist sicher. "Ich bin sprachlos", sagt der 37-Jährige, "es ist der perfekte Augenblick, um meine Karriere zu beenden". Und um nach achtstündigem Marathon "Gute Nacht" zu sagen. Beziehungsweise: Guten Morgen.

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