zum Hauptinhalt
Pompöse Show. Beim Super Bowl 2007 wurde das berühmte Foto der Eroberung von Iwojima durch US-Soldaten nachgestellt.

© Imago

Super Bowl der NFL: Der größte amerikanische Traum

Der Hype um American Football und den Super Bowl hat in den USA groteske Züge angenommen – die Schattenseiten werden ausgeblendet.

Der Tankstellenbesitzer an der sechsspurigen Fruitville Avenue in Sarasota hat sich was ausgedacht. Wer Sonntag zwischen 18 und 24 Uhr für mindestens 20 Dollar tankt, bekommt eine Autowäsche gratis. „Pretty nice deal, right“, findet der hagere Angestellte im mittleren Alter an der Kasse und legt so viel Überzeugung in seinen Blick wie nur möglich. Er hat ja auch recht. Ziemlich gutes Geschäft. Eigentlich.

Trotzdem wird vermutlich kaum einer zum Tanken kommen am Sonntag zwischen 18 und 24 Uhr. Nicht hier in Florida und auch nicht in anderen Teilen des Landes, weil die meisten US-Amerikaner nicht in ihren Autos, sondern in ihren Wohnzimmern vor den Fernsehgeräten sitzen werden. Zu dieser Zeit findet in Glendale im Bundesstaat Arizona der Super Bowl statt, das Endspiel der National Football League (NFL). Experten erwarten zwischen den New England Patriots und Titelverteidiger Seattle Seahawks ein extrem knappes Ergebnis, beide Mannschaften gelten als gleich stark. Perfekt, geht es doch um den wichtigsten Pokal, den die Sportnation USA zu vergeben hat: die Vince Lombardi Trophy, benannt nach dem legendären Trainer der Green Bay Packers, dem ersten Super-Bowl-Sieger.

Die wenigen, die nichts mit American Football anfangen können, haben es dieser Tage schwer in den USA. Das Endspiel hat den öffentlichen Raum so sehr eingenommen, wie es bei keiner anderen der beliebten Sportarten so der Fall ist. Nicht beim Basketball, nicht beim Eishockey – auch nicht beim Baseball, Amerikas alter Liebe. Überall in den Städten werben Plakate für Super-Bowl-Partys, Friseure locken mit Rabatten oder Gratishaarschnitten für diejenigen, die vorher den Sieger richtig tippen. In Sarasotas zwölfter Straße fürchtet eine Kirche diesen Sonntag leere Bänke so sehr, dass auf der Reklametafel an der Straße Gott höchstpersönlich zu den Vorbeifahrenden spricht: „Dein Haus vor dem großen Spiel ist hier.“

In den Medien gibt es seit Tagen kein anderes Sportthema, Fernsehstationen berichten 24 Stunden live vor Ort und im Radio füllen Moderatoren ganze Sendungen mit der Frage, ob New Englands Quarterback Tom Brady aufgrund der Einnahme von Knoblauch so schnell von einer Erkältung genesen ist oder ob seine Frau, ein brasilianisches Supermodel, vielleicht etwas damit zu tun hat. Die mächtigste Nation der Welt wird zu Beginn des Jahres nicht von einem Präsidenten, sondern von einem eiförmigen Ball mit einer Naht in der Mitte regiert.

Dieses Mal singen Katy Perry und Lenny Kravitz in der Halbzeitshow

American Football ist mittlerweile viel tiefer in der amerikanischen Seele verankert als jede andere Sportart. In der Publikumsgunst ist die NFL der MLB, NBA oder NHL längst entwachsen. „Dazu hat auch die Inszenierung des Super Bowls als Superevent einen entscheidenden Anteil beigetragen“, sagt Ken Belson, Reporter der „New York Times“. Das laut Eigenwerbung „größte Einzelsportereignis der Welt“ wird mittlerweile in über 200 Länder gesendet, in der Halbzeitpause treten Stars aus dem Musikgeschäft auf – dieses Jahr sind Katy Perry und Lenny Kravitz dran. Vor 28 Jahren betrug der Eintrittspreis für eine Karte der mittleren Kategorie noch 75 Dollar, aktuell kostet das billigste Ticket 800 Dollar. Am Endspieltag werden bis zu 20 000 Dollar für eine Karte auf dem Schwarzmarkt geboten.

Auch in diesem Jahr ist wieder alles noch ein bisschen größer. 30 Sekunden Werbezeit kosten nun 4,5 anstatt vier Millionen Dollar, jeder Spieler des Siegerteams bekommt 2015 von der Liga 97 000 Dollar zusätzlich anstatt 92 000. Die NFL kann es sich leisten. Für 2014 erwarten die Experten eine erneute Steigerung der ohnehin schon umsatzstärksten Sportliga der Welt. 2013 beliefen sich die Umsätze auf 6,7 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Die Fußball-Bundesliga kam im gleichen Jahr auf 1,75 Milliarden. Die vermeintlichen Skandale der jüngeren Vergangenheit haben der NFL nicht geschadet.

Dabei hatte die Saison nicht gut begonnen aus Sicht der Verantwortlichen. Der populäre Running Back Ray Rice würde von einer Überwachungskamera dabei gefilmt, wie er seine damalige Freundin und heutige Ehefrau brutal im Fahrstuhl zusammenschlug, kurz darauf wurde der noch prominentere Running Back Adrian Peterson verhaftet, weil er seinen vierjährigen Sohn mit einer Gerte ins Krankenhaus prügelte. Beide wurden genauso lange gesperrt wie Greg Hardy, der ebenfalls seine Freundin verprügelte. Die Liga geriet kurz in die Kritik, weil sie in allen Fällen erst zögerlich reagierte. Rice, Peterson und Hardy sind große Namen, die Einschaltquoten und Zuschauereinnahmen garantieren.

Ohnehin ist die NFL nicht für ihre drastischen Sanktionen bekannt, erst recht nicht, wenn es um das Thema Doping geht. Auch während der aktuellen Saison wurden zwar diverse Spieler gesperrt, weil sie gegen die Drogenpolitik der Liga verstoßen hatten. Meist wurde die Einnahme von Marihuana oder Kokain geahndet, Muskelaufbaupräparate oder Wachstumshormone stehen bei den Fahndern offenbar nicht so sehr auf der Liste.

Die Empörung über gedopte NFL-Spieler würde wohl ohnehin schnell abebben. So war es auch in anderen Angelegenheiten, etwa vor zwei Jahren, als die NFL von vielen ehemaligen Spielern verklagt wurde, weil die sich während ihrer aktiven Zeit nicht ausreichend geschützt fühlten. Einige hatten irreparabele Gehirnschäden davongetragen. Junior Seau, zu seiner Zeit ein beinharter Verteidiger, nahm sich daraufhin das Leben. Er hatte nichts mehr von der Milliardenkompensation die die Liga an die Spieler leistete.

Gesundheitsprobleme, häusliche Gewalt, Drogen, Mobbing unter den Spielern – trotzdem träumen viele Jungs davon, es in die NFL und in den Super Bowl zu schaffen.

Die negativen Schlagzeilen haben der Beliebtheit von Football nicht geschadet

Jungs wie die von Recharde Goodwyn. Der 32 Jahre alte Pädagoge ist Lehrer an der Booker Highschool in Sarasota – und Coach des Schul-Footballteams. Immer wieder gelang Schülern von hier der Sprung in die NFL. Der letzte war vor wenigen Jahren Sam Shields, heute Cornerback bei den Green Bay Packers. Die Schule liegt in der Nähe des Martin Luther King Boulevards. Der Glamour von Siesta Key, wo Prominente wie George W. Bush und Oprah Winfrey Villen besitzen, ist hier im Norden der Stadt nicht mehr vorhanden. Stattdessen heruntergekommene Häuser mit eingeschlagenen Scheiben, Jugendliche, die sich an den Straßenkreuzungen aufplustern, auf der Suche nach Ärger. MLK, wie die Einwohner die Straße nennen, ist ein Ghetto, 80 Prozent der Anwohner sind Afroamerikaner oder Latinos. An der Booker High kann es rau zugehen.

Wenn Goodwyn, selbst Afroamerikaner, mit seiner „Coach“-Jacke über den Schulhof läuft, grüßen auch die harten Jungs höflich. Dabei wirkt er mit seiner gedrungenen, mittelgroßen Statur nicht gerade furchteinflößend. Footballer werden eben respektiert.

Selbst der Highschool-Football, bei dem die Spieler meist nicht älter sind als 16 Jahre, wurde in den letzten Jahren medial künstlich aufgeblasen. Freitagabend, wenn traditionell die Schulen gegeneinander spielen, werden die interessantesten Paarungen live im Fernsehen gezeigt. TV-Serien wie „Friday Night Lights“ oder Filme wie „When the game stands tall“ verstärken den Hype zusätzlich.

„Für uns als Lehrer ist das ein Problem“, sagt Goodwyn, „es ist nicht leicht, die Jungs auf dem Boden zu halten, wenn sie von der Gesellschaft eingeredet bekommen, dass es nichts Besseres gibt, als Football-Profi zu werden.“ Touchdowns als Schlüssel zum Aufstieg.

In der vergangenen Saison musste er zwei Mal das Training ausfallen lassen, weil die schulischen Leistungen seiner Spieler zu schlecht waren. Sie hatten sich nur auf den Sport konzentriert. Nicht selten kommt Druck vom Elternhaus hinzu. Dass es nur die wenigsten in die NFL und zum Super Bowl schaffen, will kaum einer von ihnen wahrhaben. „Sie sehen im Fernsehen die Glamourwelt der NFL-Profis, und ich muss ihnen begreiflich machen, dass Bildung das Wichtigste ist“, klagt Goodwyn. Gerade jetzt, wo der Super Bowl ansteht und die Berichterstattung rund um die Uhr läuft, ist es schwierig.

Football-Profi, NFL, Super Bowl – das ist der neue American Dream. Nicht nur in den minderbemittelten Gesellschaftsschichten. Auch Eliteunis wie Harvard und Yale verfügen inzwischen über so gute Programme, dass es Spieler in die NFL schaffen können. In der Woche vor dem Super Bowl füllte der Sportsender ESPN Sendungen damit, dass Experten rätselten, welcher talentierte Highschool-Spieler welches College auswählen könnte. „Der Hype wird immer größer“, sagt Goodwyn und meint: Football wird immer größer. Der Super Bowl wird immer größer. Er sagt das mit fester Stimme und hochgezogenen Augenbrauen. Begeisterung spricht nicht aus seinem Gesicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false