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Superstar Usain Bolt: „Ich will eine Legende werden“

Jamaikas Sprintstar Usain Bolt will seine Karriere bei den Olympischen Spielen in London krönen. Er ist davon überzeugt, dass er Zeiten für die Ewigkeit laufen kann – nur der ständige Trubel um seine Person nervt ihn manchmal sehr.

Der Wettkampf beginnt mit – einem Stolperer. Usain Bolt trifft die Bahn nicht richtig, er kommt nicht in Tritt und für ein paar Meter wirkt der Jamaikaner einmal wie ein gewöhnlicher Weltklasseläufer neben all den anderen im Stratford Stadium von London. Nach vierzig Metern löst er sich dann jedoch heraus und schlüpft wieder in seine Rolle, 80.000 Zuschauer jubeln, nicht schwer vorzustellen, dass sie vor allem ihn sehen wollten, selbst wenn es nur der Vorlauf ist. Als Bolt dem Ziel näher kommt, haben seine Schritte wieder die Geschmeidigkeit, die seinen Laufstil auszeichnet. 10,09 Sekunden zeigt die Uhr an, eine Zahl zum Vergessen. In der nächsten Runde wird alles wieder bei null anfangen und entscheidend ist für Bolt ohnehin nur, ob sein Körper derjenige sein wird, der an diesem Sonntag um kurz vor 23 Uhr deutscher Zeit als Erster über die Linie fliegt. Bolt hat etwas zu gewinnen, eine Goldmedaille wie jeder seiner Konkurrenten. Aber dazu noch einen Status. „Ich will eine Legende werden“, hat er als Karriereziel formuliert, und dafür möchte er seinen drei Olympiasiegen von Peking und seinen Weltrekorden noch mehr olympisches Gold hinzufügen.

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Bolt läuft nicht nur für sich, er läuft auch für Jamaika. Mit seinem gelb-grünen Shirt trägt er die Farben seines Landes, das am Montag den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feiert und schon jetzt in fiebriger Erwartung auf das Duell zwischen ihm und seinem heimischen Herausforderer Yohan Blake blickt, in rauschender Geschwindigkeit spazieren. Er tut das mit Stolz, wie er gerne mal erzählt: „Ich wusste, dass ich berühmt werden würde. In meiner Heimat hatten die Menschen mich schon vorher gefeiert.“ Bolt berichtet, dass er auf den heimischen Straßen zuweilen mit Sprechchören empfangen wurde. Als er dann weltweit bekannt wurde, mit seinen Wunderläufen bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking und bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 in Berlin, merkte er, dass die Verehrung für ihn nicht nur zu Hause überbordet. Was er dabei dachte, erzählte er etwa der britischen Sky-Journalisten Claire Bloomfield in einem Interview. Und was dachten Sie, Usain Bolt, als neuer Weltstar? „Oh, mein Gott, was ist jetzt los?“

„Ich muss aufhören, nach den Sprintern neben mir zu schielen"

Der Superstar, der in zwei Wochen 26 Jahre alt wird, gibt sich inzwischen reifer, aber manchmal, das gibt er in seltenen Momenten öffentlicher Offenheit zu, manchmal wolle er nur noch alleine sein. Nicht nur für Bolt gilt das Gesetz der Superstars: Mit der eigenen Popularität umzugehen, ist der härteste und zeitintensivste Teil des Jobs, ja, des Lebens. Als Schuljunge schwänzte er das Training schon mal und vertrieb sich die Zeit mit Videospielen. Aber heute gestatten ihm Trainer und Öffentlichkeit das nicht mehr. Aber wenn er sich in Form fühlt, nimmt er sich einen Tag und daddelt. Oder er geht aus und gibt sein Geld aus, „zumal ich heute auch viel davon verdiene“. Aber auch dabei, so versichert er zumindest in einem seiner seltenen Interviews, achtet er auf sich: „Es kommt eben auf die Balance an.“

Usain Bolt, wohin man schaut. Der Jamaikaner ist einer der Superstars der Olympischen Spiele.
Usain Bolt, wohin man schaut. Der Jamaikaner ist einer der Superstars der Olympischen Spiele.

© afp

Früher hatte er auch mal drei oder vier Tage am Stück frei. Aber diesem Früher, das er in nachdenklichen Momenten vermisst, ist er zu schnell davongerannt. Bolt hat sich verändert, zumindest kann man das denken, wenn man ihn in London unten auf der Bahn sieht. Vor dem Start belässt er es bei einigen für seine Verhältnisse sparsamen Gesten, einige Fingerzeige in den Himmel und nach vorne ins Ziel und er fährt mit seinen Händen durchs raspelkurze Haar. Das kann noch lustiger werden. Für die ganz großen Faxen ist die Zeit noch nicht gekommen.

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Es ist beobachtet worden, dass Bolt ein bisschen weniger lächelt. Warum auch immer. Für Bolt, der nicht nur wegen seiner Sprints, sondern auch wegen seiner Show bewundert wird, scheint es ein eigenes Spaßbarometer zu geben. Der Jamaikaner sagt, er sei bei „95 Prozent“ seiner Fähigkeiten. Wenn er gewinnen sollte, dann sind entweder auch 95 Prozent Bolt gut genug für den spektakulärsten Titel der Olympischen Spiele. Oder er hätte sich noch einmal gesteigert, die fehlenden Prozente herausgeholt, als es wirklich darauf ankam. Nach seinem Vorlauf sagt er ein paar Sätze: „Es war ein schlechter Start. Meine Reaktion war gut, aber ich bin gestolpert. Aber meine Beine haben sich gut angefühlt.“ Dass der Start nicht seine Spezialität ist, weiß er selbst am besten. „Ich war nie ein großer Starter, und ich werde nie ein großer Starter sein. Ich hole das einfach im Rennen raus.“

Bei der WM im vorigen Sommer in Daegu wurde Bolt wegen eines Fehlstarts disqualifiziert. Im Interview mit Bloomfield sagte er: „Ich muss aufhören, nach den Sprintern neben mir zu schielen, das ist meine schlechteste Angewohnheit. Ich verliere damit Zeit, aber irgendwie kann ich das nicht lassen.“ Sein Trainer Glen Mills habe ihm gesagt, er könne das Problem augenblicklich lösen, indem er sich Scheuklappen verpasse – wie beim Pferderennen.Seine Läufe hinterlassen ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Es sieht so aus und fühlt sich so an, als würde ein Mensch durch die Schallmauer rennen. Aber kann ein Mensch das überhaupt, selbst wenn er Usain Bolt ist? Warum soll nicht auch ein Wunderläufer menschlich sein, vielleicht auch menschlich verführbar? Weltweit haben sich das Sportfans gefragt. Eine Antwort: Inzwischen hat auch Jamaika eine Nationale Anti-Doping-Agentur eingeführt.

„Meine Landsleute wollen Weltrekorde erleben und eine Show sehen“

Die 100 Meter von London – sie sollen einer der größten Momente in seiner Karriere werden. So hat er es schon vor zwei Jahren prophezeit, als er seine Autobiografie „My Story“ vorstellte. Er weiß, dass es im multikulturellen London, dem New York Europas, auch eine große Gemeinde an Jamaikanern gibt. „Meine Landsleute wollen Weltrekorde erleben und eine Show sehen“, sagte Bolt schon im Herbst 2010. Seitdem schon scheinen ihn die Spiele von London zu beschäftigen. Im Wege kann ihn allerdings sein Konkurrent Blake stehen, und vielleicht Tyson Gay aus den USA.

Als Idol seines Landes trug Usain Bolt selbstverständlich auch die Fahne Jamaikas bei der Eröffnungszeremonie.
Als Idol seines Landes trug Usain Bolt selbstverständlich auch die Fahne Jamaikas bei der Eröffnungszeremonie.

© dpa

Bolt laufen zu sehen mit seinen raumgreifenden Federschritten ist ein ästhetischer Genuss – und doch kann es einem Zuschauer passieren, dass das Hirn die Augen fragt, ob das nicht übermenschlich ist. In Peking noch hatte sich Bolt kurz vor dem Ziel nach seinen Gegnern umgeschaut, die ihm mit einem sichtbar großen Abstand hinterherliefen. Irgendwie lenkte er mit dieser Geste auch davon ab, wie phantastisch seine Zeit war, als die Uhr stoppte: 9,69 Sekunden. Inzwischen liegt sie noch einmal fabelhaft niedriger: 9,58.

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Bolt sagte in diesen Tagen in London, dass es ihm nur um Titel gehe. Und der ganze Rummel um ihn und seine Fabelzeiten setzt ihm ein bisschen zu. In der Mensa des olympischen Dorfs von London wurde er so lange von anderen Sportlern belagert, die ein Foto mit ihm haben wollten, eine Unterschrift oder einfach etwas von seiner Aura, dass er sich zu einer Schutzmaßnahme in eigener Sache entschied. Er berief einfach drei seiner Teamkameraden zu Leibwächtern. Diskuswerfer Jason Morgan, Kugelstoßer Dorian Scott und Sprinter Kemar Bailey-Cole. So viele Muskeln auf einmal geben ihm etwas mehr Ruhe.

Bolt betont, er sei lediglich ein talentierter Mensch; geboren, um den Sport zu verändern. Er hat das schon getan. Der Sprintsport, lange von Dopingskandalen geprägt, ist auch in den Augen des Publikums wieder die Königsdisziplin der Leichtathletik, 100 Meter sind die Strecke der Könige. Das Besondere an Usain Bolt ist, dass er sich wie ein Herrscher (und Beherrscher seiner Gegner) inszeniert. So könnte es sein, dass er heute wieder mit Tanzschritten ins Olympiastadion spaziert. Und nach dem Kampf geht die Show weiter. Und irgendwann, ganz gemächlich sicherlich, geht auch ein Usain Bolt ins Bett. Er sagt: „Wenn es eine Sache gibt, die ich nach einem Lauf besonders gut kann, dann ist es Schlafen.“

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