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Sport: Surreales Schauspiel mit 77 Assen

In einem Aufschlagdrama ringt Roger Federer im Wimbledon-Finale Andy Roddick in fünf Sätzen nieder

Roger Federer stand da mit seiner Beute in der Hand und einem ungläubigen Lächeln auf den Lippen. „Ich bin froh, dass es vorbei ist, bei mir im Kopf dreht es sich immer noch“, sagte der Schweizer und seufzte erleichtert. „Das war ein verrücktes Match, so surreal. Es hätte noch stundenlang so weiter gehen können.“ Dann blickte er auf die Trophäe, die er seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte und um die er fast viereinhalb Stunden so hart hatte kämpfen müssen. Nach einem unglaublichen Finale des Tennisturniers in Wimbledon gegen den Amerikaner Andy Roddick konnte er sie mit 5:7, 7:6 (8:6), 7:6 (7:5), 3:6 und 16:14 endlich wieder an sich reißen. Der 27-Jährige holte sich den Titel zurück, den er im vorigen Jahr an den nun verletzt fehlenden Rafael Nadal verloren hatte und verdrängte den Spanier von der Weltranglistenspitze. Außerdem zog er mit seinem 15. GrandSlam-Sieg an Pete Sampras vorbei, der dem Schauspiel in der Royal Box beiwohnte, und ist nun alleiniger Rekordhalter. „Das fühlt sich unglaublich an“, sagte Federer, während ihm Sampras applaudierte. „Daran hätte ich nie geglaubt, als ich als Kind mit dem Tennisspielen angefangen habe.“

Roddick dagegen verlor in seinem dritten Wimbledon-Finale zum dritten Mal gegen Federer. „Es tut mir leid Pete, ich habe versucht, ihn davon abzuhalten“, sagte er nach dem Match und blickte in Richtung Sampras. Dabei hatte er keinen Grund, sich bei irgendwem entschuldigen zu müssen. Im Gegenteil: Roddick hatte entscheidenden Anteil an dem würdigen Rahmen für Federers Krönung als erfolgreichster Tennisspieler der Geschichte geleistet und wurde mit Sprechchören von den Zuschauern gefeiert.

Es war ein wahrhaft historisches Match, das sich da am Sonntagnachmittag an der Church Road ereignete. Statt des von vielen erwarteten einseitigen Verlaufs zu Federers Gunsten entwickelte sich eine Begegnung, die schließlich in das Grand-Slam-Finale mit den meisten Punkten überhaupt mündete und an das Fünfsatzdrama erinnerte, in dem Federer vor einem Jahr bei gleicher Gelegenheit durch Nadal vom Tennisthron geschubst worden war. „Es war diesmal ein bisschen anders. Mit Rafa war es vor allem ein Grundlinienduell, heute war es klassisches RasenServe-and-volley“, sagte er. Genauer genommen war es vor allem Serve. Viereinviertel Stunden lang terrorisierten sich Federer und Roddick mit ihren Aufschlägen auf dem schnellen Rasen. Insgesamt 77 Asse knallten sie sich um die Ohren, und überraschenderweise lag Federer mit 50 dabei deutlich vor dem als Servicespezialist verrufenen Roddick. Zwar ließ der 26-Jährige seinen Gegner mit seinen konstant unfassbaren Aufschlägen von um die 230 Stundenkilometer kaum eine Chance zum Break, doch auch von der Grundlinie oder am Netz war er dem großen Federer an diesem Tag ebenbürtig. Mehr noch, ihm gelang es sogar, Federer im ersten Satz zum 7:5 zu breaken.

Im zweiten servierten sich die beiden in den Tiebreak, in dem Roddick vier Chancen zur 2:0-Satzführung hatte. Doch er vergab alle, den letzten mit einem verschlagenen, scheinbar leichten Rückhandvolley. „Da war etwas Wind“, sagte Roddick später. „Erst dachte ich, der Ball geht ins Aus, dann wollte ich doch noch rangehen. Doch ich habe den Schläger nicht mehr hoch gekriegt. Ich weiß nicht, ob sein Ball noch reingegangen wäre.“ Sein Volley ging jedenfalls ins Aus. „Das war eine Schlüsselszene“, sagte Federer, „es wäre schwer geworden, wenn ich den zweiten Satz auch verloren hätte.“ Doch so gewann er den Tiebreak doch noch, genauso wie den im dritten Satz. Erst im vierten Durchgang war wieder ein Break zu bestaunen, und wieder war es Roddick, dem es gelang.

Im tiebreaklosen fünften Satz manövrierten sich die beiden dann in eine scheinbar unauflösbare Pattsituation. „Ich habe nur versucht, meinen Aufschlag zu halten“, gestand Roddick, und weil Federer dasselbe tat, „kam ein Punkt und dann noch einer und noch einer“, sagte Roddick, „und am Ende hat es sich halt summiert.“ Doch als das Match Richtung Unendlichkeit steuerte, gelang es Federer Kurs zu nehmen in Richtung Unsterblichkeit. Er durchbrach Roddicks gewaltigen Aufschlag in dem Moment, in dem es am meisten darauf ankam. Beim Stand von 15:14 war es soweit, weil Roddick beim Matchball gegen sich die Vorhand nur mit dem Rahmen traf und der Ball im hohen Bogen ins Aus segelte.

Später hatte er Mitgefühl mit seinem Gegner, der den Tränen nahe verkündete: „Ich hoffe immer noch, dass ich eines Tages auch als Wimbledon-Sieger in der Royal Box sitzen darf.“ Federer machte ihm Mut: „Sei nicht zu traurig, ich habe auch letztes Jahr hier verloren. Ich musste mein Allerbestes geben, um heute zu gewinnen.“ Dann ging Federer, und jeder, auch Roddick, wusste: Da geht der König des Tennissports.

Christian Hönicke[London]

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