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Sport: Tag der deutschen Einheit

Vier Frauen raufen sich zusammen und schwimmen Weltrekord in der Freistil-Staffel, vier Männer holen kurz darauf auch Gold

Von Frank Bachner

Berlin. Franziska van Amsick stand hinter Sandra Völker, und sie biss sich gerade auf die Lippe, weil die Spannung so enorm groß war. Sie standen alle so da, so erwartungsvoll, inmitten dieses ganzen Lärms, den Trommeln, Tröten und 4000 begeisterte Fans in der Schwimmhalle an der Landsberger Allee veranstalteten. Alle vier Frauen, die gerade den Endlauf der 4-x-100-m-Freistil-Staffel bestritten hatten, zeigten diesen angespannten Blick. Dann tauchte an der Anzeigentafel die entscheidende Botschaft auf: 3:36,00 Minuten. Deutschland hatte gerade Weltrekord geschwommen. Und Franziska van Almsick drückte ihren Kopf für drei lange Sekunden an die Schulter von Sandra Völker. Eine kleine Szene nur, die unterging im ganzen Jubel über diesen Erfolg bei der Schwimm-Europameisterschaft. Die auch unterging, weil ein paar Minuten später die deutsche 4-x-100-m-Freistilstaffel der Männer Gold holte.

Aber es war eine symbolhafte Szene. Van Almsick und Völker, die ewigen Rivalinnen, ungekünstelt vereint. Dieser Sieg, dieser Europameister-Titel, dieser Weltrekord, ist das Produkt eines Teamgeistes. Vier Frauen, zusammengeschweißt für ein Rennen, das Signalwirkung hat. Denn diese Staffel war verantwortlich für die Atmosphäre im ganzen Team. Es musste Gold werden, alles andere hätte als Enttäuschung gegolten und das Klima verschlechtert.

Aber es war mehr als ein Sieg. Gold war ja Pflicht, mit einem Europarekord hatten die Frauen auch geliebäugelt. Aber das Rennen wurde zur Demonstration des Teamgeistes der deutschen Nationalmannschaft. Bei den Olympischen Spielen 2000 wurde bei der Frauen-Staffel noch erbittert über die Reihenfolge der Aufstellung gestritten, mit dem Erfolg, dass Antje Buschschulte als Startschwimmerin versagte und Deutschland nicht mal eine Medaille gewann. Die Heimtrainer von Sandra Völker und Buschschulte hatten sich durchgesetzt. Sie rechneten mit Gold, sie dachten daran, ihre jeweilige Athletin möglichst lange im Schwenkbereich der Kameras zu haben. Und auf die erste und die letzte Athletin zoomt ein Kameramann am längsten.

Diesmal aber einigten sich die Vier einstimmig auf die Reihenfolge. Mit dem Erfolg, dass Sandra Völker das schnellste 100-m-Freistil-Rennen ihres Lebens schwamm. Selbst wenn man den Vorteil des fliegenden Wechsels abzieht, schwamm sie rund 54,3 Sekunden. Das bedeutet inoffiziell Deutschen Rekord. Und Franziska van Almsick verkündete freudestrahlend: „Diese Goldmedaille plus Weltrekord, das ist ein Traum. Das war geradezu Gänsehaut-Stimmung in der Halle.“ Für Katrin Meißner, die Startschwimmerin, ist dieser EM-Titel sogar „gleichbedeutend mit dem WM-Sieg 2001 mit der 4-x-100-m-Freistil-Staffel.“ Und Petra Dallmann, die als Zweite geschwommen ist, sagte bloß: „Ich hätte auch die Startschwimmerin gemacht." Sie hätte auch sagen können: „Seht, wie selbstbewusst ich bin.“ Die Startschwimmerin hat mit die größte Verantwortung, aber Dallmann ist das egal. Sie war ja auch schon Mitglied der Staffel, die 2001 Weltmeister über 4-x-100 m Freistil geworden war..

Als die Frauen Weltrekord schwammen, standen die Mitglieder der deutschen 4-x-100-m-Freistil-Männerstaffel noch im Aufwärmraum und „fühlten sich durch den Frauensieg unglaublich motiviert". Ein paar Minuten später standen sie auch auf dem obersten Siegertreppchen. Und ihr Sieg in 3:17,67 Minuten vor Schweden war zumindest eine Überraschung, Eine Medaille, o.k, die war erwartet worden, die Russen fehlten, die Holländer waren nicht in Bestformation. Aber der Sieg? Cheftrainer Ralf Beckmann hatte sich sogar mal kurzzeitig überlegt, ob er diese Staffel überhaupt melden sollte. Die Einzel-Ergebnisse bei der Deutschen Meisterschaft waren zu schlecht. Aber dann lieferte Stephan Kunzelmann aus Hannover ein packendes Finish. „Ihm war zum Schluss schwarz vor Augen", sagte Bundestrainer Manfred Thiesmann, der die Staffel aufgestellt hatte. „Bei einer Staffel motivieren wir uns immer", verkündete der Berliner Torsten Spanneberg, der an Position drei geschwommen war. Lars Conrad (Hannover) hatte als Startschwimmer mäßige 50,23 Sekunden vorgelegt, Stefan Herbst (Leutzsch) überzeugte dann aber mit umgerechnet 49,6 Sekunden. „Es war eine taktische Meisterleistung, in dieser Aufstellung zu starten", sagte Beckmann. Bis zum Schluss überlegten Thiesmann und der Cheftrainer, wen sie wo aufstellen sollten. Um 12 Uhr 30 dann fiel die Entscheidung. Thiesmann teilte dem Quartett das Ergebnis der Diskussion mit.

Es war sowieso der Tag der Deutschen. Andreas Wels (Halle/Saale) holte auch noch Silber im Drei-Meter-Springen hinter dem Russen Dmitri Sautin (siehe beistehenden Bericht), und Nicole Hetzer aus Magdeburg (4:42,22 Minuten) sicherte sich Bronze über 400 m Lagen.

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