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Sport: Tage der offenen Tür

Weil Joachim Löw im Moment viele Stammkräfte fehlen, bekommen Spieler aus der zweiten Reihe die Chance, sich zu beweisen

Was wäre wohl, wenn es morgen gegen Russland ginge? Gegen die Überraschungsmannschaft der Europameisterschaft, die ganz Europa verzaubert hat mit ihrem Tempofußball und der wohl schwerste Gegner ist für die Deutschen auf dem Weg zur WM nach Südafrika. Joachim Löw wird froh sein, dass sich diese Frage nicht stellt. Das erste Duell mit Russland kommt früh genug, am 10. Oktober in Dortmund, und die Zeit bis dahin kann der Bundestrainer nur zur gut brauchen. Denn gut zehn Wochen nach dem verlorenen EM-Finale gegen Spanien befindet sich die deutsche Nationalmannschaft in diesen Tagen in einer Findungsphase.

Jens Lehmann ist zurückgetreten, Torsten Frings mal wieder verletzt, der ebenfalls lädierte Michael Ballack schickt aus London seine Grüße via Medien an Manager Oliver Bierhoff. Und Christoph Metzelder, auch er stand schon vor sechs Jahren im WM-Finale von Yokohama, nutzt die ersten Zusammenkünfte mit den Kollegen der Nationalmannschaft in der neuen Länderspielsaison zur aktiven Regeneration. So viel Abwesenheit etablierter Kräfte war selten. Der Bundestrainer interpretiert das ungewohnte Vakuum als Chance und nimmt eine perspektivische Bestandsaufnahme. Es ist dies ein fein austariertes Spiel, für das Löw klare Regeln definiert. Nichts ist festgefügt, aber es ist auch nichts vergessen von dem, was sich einer in der Vergangenheit an Verdiensten erworben hat.

Für Christoph Metzelder etwa plant der Bundestrainer nach wie vor eine Führungsrolle ein, obwohl der Verteidiger in seinem ersten Jahr bei Real Madrid kaum gespielt hat, bei der EM von einer Verlegenheit in die nächste stolperte und zuletzt gegen Belgien und Liechtenstein einen ungewohnten Platz auf der Reservebank hatte. „Er braucht Zeit und wird hoffentlich bald wieder richtig gesund sein“, sagt Löw und erinnert an „die großartige Rolle, die Christoph bei den Weltmeisterschaften 2002 und 2006 gespielt hat“. Metzelder lässt ausrichten, dass alles sei kein Problem, wenn er erst einmal in guter körperlicher Verfassung sei und in Madrid zu seinen Einsätzen komme. Bei Real streitet er mit Weltklassespielern wie Gabriel Heinze, Fabio Cannavaro und Pepe um einen von zwei Plätzen in der Innenverteidigung. Wer sich gegen diese Konkurrenz behauptet, muss den Vergleich mit Heiko Westermann, Serdar Tasci und Per Mertesacker nicht fürchten.

Auch bei Miroslav Klose sieht der Bundestrainer den Schlüssel zur seit langem erhofften Leistungssteigerung in einer verbesserten Physis. Der Münchner Stürmer spürt die Konkurrenz von Kevin Kuranyi, Patrick Helmes und Stefan Kießling, er hat Mühe, seinen Platz neben Lukas Podolski zu behaupten. „Unser Vertrauen in Miro ist groß, sehr groß“, sagt Löw und schwärmt von ersten Fortschritten, „wenn er mal zwei, drei Leute stehen lässt, Miro ist dabei, seine alte Dynamik wiederzugewinnen, das ist deutlich zu sehen“. Allerdings nicht im Spiel, sondern nur im Training. Aber wenn man den Bundestrainer so reden hört in diesen Tagen, dann bekommt man den Eindruck, dass ihm bei der Beurteilung ausgewählter Kräfte die täglichen Pflichteinheiten auf dem Trainingsplatz beinahe noch wichtiger sind als eine 90-minütige Kür vor Publikum.

Andreas Hinkel musste er erst gar nicht den Gefallen tun, die überraschende Rückkehr in den Kreis der Nationalmannschaft mit einem Kurzeinsatz gegen die überforderten Liechtensteiner zu garnieren. „Im Training hat er mir gezeigt, was er kann“, sagt Löw und dass er sich noch „sehr gut an seine gute Zeit beim VfB Stuttgart erinnert“ – was impliziert, dass die Phase zuletzt beim FC Sevilla keine besonders gute war. Doch nichts ist zementiert, auch keine zwischenzeitliche Ausmusterung. Der Wechsel zu Celtic Glasgow hat Hinkel so gut getan, dass er wieder ein Thema ist. Auf seiner rechten Abwehrseite fehlt der deutschen Mannschaft eine unumstrittene Führungsfigur, wie sie der Münchner Philipp Lahm auf der linken Seite verkörpert.

Im Mittelfeld ist so viel Bewegung wie lange nicht mehr. Neben dem schon etablierten Bastian Schweinsteiger drängen die kleinen Dribbler Marko Marin und Piotr Trochowski in die Mannschaft. Thomas Hitzlsperger war bei der WM 2006 noch ein besserer Ergänzungsspieler, der den besten Eindruck mit seinen klugen Sätzen vor Sönke Wortmanns Sommermärchen-Kamera machte. Zwei Jahre später zählte der Stuttgarter bei der EM schon zum erweiterten Stamm, jetzt ist er noch einen halben Schritt weiter. So stellt sich Löw die Entwicklung eines Spielers vor, es könnte vielleicht noch ein wenig schneller gehen. Zum Beispiel beim Leverkusener Simon Rolfes, dessen Ballsicherheit und Pässe in die Tiefe der Bundestrainer schätzen gelernt hat. In Abwesenheit von Ballack und Frings durften Hitzlsperger und Rolfes gegen Liechtenstein und Belgien das strategische Geschäft im zentralen Mittelfeld erledigen.Und sich für größere Aufgaben wie die Spiele gegen Russland empfehlen.

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