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Die zwei. Joachim Löw (links) und Guus Hiddink wollen nicht einfach nur gewinnen, sie wollen von ihren Mannschaften auch schönen Fußball sehen.

© ddp

Sport: Taktikfuchs gegen Spielversteher

Das Spiel Deutschland gegen die Türkei wird vor allem im Duell der Trainer Löw gegen Hiddink entschieden

Berlin - Guus Hiddink stammt aus dem hintersten Winkel der Niederlande, aber seine geografische Heimat hat er schon lange hinter sich gelassen: Hiddink, 63 Jahre alt, ist ein Weltbürger geworden. „Ich kann überall zu Hause sein“, sagt er. Seit dem Sommer trainiert der Holländer die türkische Fußball-Nationalmannschaft, zuvor hat er in Südkorea gearbeitet, in Russland, Spanien, England und Australien, und immer ist es ihm gelungen, sich ohne größere Probleme seiner neuen Umgebung, einer fremden Kultur und anderer Mentalität anzupassen. Vielleicht liegt der Schlüssel für diese Fähigkeit in Hiddinks Kindheit tief in der niederländischen Provinz, wo sein Großvater als Hufschmied arbeitete. Offensichtlich besaß auch der Enkel ein Talent für diesen Beruf. „Ich hatte ein natürliches Gespür für die Tiere“, hat Hiddink einmal erzählt. „Ich habe sie angeguckt. Sie haben zurückgeguckt, und dann konnte man spüren: Wir verstehen uns.“

Mehr als fünfzig Jahre sind seitdem vergangen, doch im Grunde hat Hiddink seine Arbeitsweise nicht entscheidend verändert. Auf all seinen Auslandsstationen hat er immer versucht, sich zumindest die wichtigsten Fußballvokabeln anzueignen; genauso wichtig aber ist für Hiddinks Wirken die nonverbale Kommunikation. Man muss den richtigen Blick haben und ein Gespür für sein Gegenüber entwickeln, damit am Ende das Gefühl entsteht: Wir verstehen uns. Hiddink beherrscht das perfekt: Er ist nie wie ein Kolonialherr aufgetreten, der einer Mannschaft seinen Stil aufzwingt. „Ich will dem türkischen Fußball nicht seine Seele rauben“, hat er dem „Kicker“ gesagt. „Ich will das Spielerische beibehalten, das die Türken seit jeher auszeichnet.“ Zugleich aber müssten seine Spieler verstehen, dass es ohne Arbeit und ohne eine vernünftige Organisation der Defensive nicht gehe.

An diesem Freitag trifft Hiddink zum fünften Mal in seiner Karriere auf die deutsche Nationalmannschaft. Bisher hat er immer verloren, zuletzt vor genau einem Jahr mit Russland 0:1 in der WM-Qualifikation. Trotz dieser Bilanz begegnen die Deutschen den Türken mit großem Respekt. „Sie lassen hervorragend den Ball zirkulieren, sind schnell vor dem gegnerischen Tor“, sagt Bundestrainer Joachim Löw. Dass die türkische Mannschaft inzwischen von Guus Hiddink trainiert wird, vergrößert den Respekt eher noch. „Er hat überall erfolgreich gearbeitet“, sagt Löw. „Er ist in der Lage, der Mannschaft schnell eine Handschrift zu verpassen.“

Wenn Türken und Deutsche heute im Berliner Olympiastadion aufeinander treffen, ist es in erster Linie ein vorentscheidendes Spiel um den Gruppensieg in der Qualifikation zur Europameisterschaft 2012. „Es ist kein Trainerduell“, sagt Joachim Löw. Aber genau das ist es auch: das Duell des Taktikfuchses Hiddink gegen den Spielversteher Löw. Oder umgekehrt.

Löw mag diese Vergleiche auf Augenhöhe, wenn er auf einen gleichwertigen Gegner trifft und sein taktisches Geschick besonders herausgefordert wird. Er kann sich in solche Aufgaben regelrecht verbeißen. Aber das Spiel gegen die Türkei ist ihm zu wichtig, um es auf das Duell mit Hiddink zu reduzieren. „Ich überlege mir jetzt nicht, welche Winkel- oder Schachzüge macht der gegnerische Trainer“, sagt Löw. „Jeder Trainer ist auch in irgendeiner Form berechenbar: Was lässt er für einen Fußball spielen? Was will er für Spielertypen? Welche Grundformation bevorzugt er? Das weiß man bei Guus Hiddink schon längere Zeit.“ Man kennt sich eben.

Und man schätzt sich. Löw ist kurz vor der WM in Südafrika gefragt worden, welche Mannschaften ihn in der jüngeren Vergangenheit am meisten beeindruckt hätten. Spanien hat der Bundestrainer bei dieser Gelegenheit genannt, klar, aber auch Südkorea. Kaum eine Mannschaft habe in so kurzer Zeit einen so großen Entwicklungssprung gemacht wie die Asiaten, die dank Hiddink 2002 sogar bis ins Halbfinale der WM vorstießen. „Er ist ein Trainer, der eine klare Systematik will, der technisch guten Fußball sehen möchte“, sagt Löw über Hiddink. Genau das Gleiche könnte Hiddink über Löw sagen.

In ihren Ansichten über den Fußball liegen beide nicht weit auseinander. „Ich bin jemand, der eine Fußballkultur möchte, der nicht nur irgendwie gewinnen will“, sagt Löw. Effektiv spielen und sachlich gewinnen – also das, wofür die Deutschen früher standen –, das reicht auch Hiddink nicht. Umso mehr schätzt er die Entwicklung der deutschen Nationalmannschaft unter Joachim Löw. „Es werden jetzt mehr kreative Spieler berufen, die für den leichteren, ästhetischen Fußball stehen“, sagt er. „Nicht nur das Resultat, auch die Spielweise ist wichtig geworden. Darum hat die deutsche Mannschaft so viele Sympathien gewonnen.“

Zu den Sympathisanten gehört auch Guus Hiddink.

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