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Sport: Teamgeist ohne Trainer

Speerwerfer Boris Henry greift den Leichtathletikverband an

Paris. Wann kommt die Frage? Das war der spannende Punkt. Wann würde einer fragen: „Jetzt mal ehrlich, Herr Henry, wie sehr hat Sie der Wirbel um Kelli White bei Ihrem Wettkampf belastet?“ US-Sprinterin White – die Doppelweltmeisterin im Sprint, in Paris als Dopingsünderin enttarnt – ist Boris Henrys Freundin. Die Frage kam ziemlich schnell. Sie kam gleich, nachdem einer wissen wollte: „Können Sie sich richtig freuen über Bronze im Speerwerfen? Die Weite war ja nicht so toll, diese 84,74 m.“ Da sagte Henry „jein, weil ich hätte weiter werfen können“. Und dann sagte er: „Zu Kelli beantworte ich keine Fragen.“

Ohnehin konnte und durfte niemand erwarten, dass Boris Henry sein Seelenleben preisgeben würde. Stattdessen rückte sehr schnell das Thema Teamgeist im Allgemeinen und im Besonderen, nämlich beim Speerwerfen, in den Mittelpunkt, und dieses Thema ist spannend. Denn im Speerwurf-Finale gab es extremen Teamgeist. Drei Deutsche im Endkampf, Christian Nicolay am Ende mit 81,77 m Sechster und Peter Blank mit seinen 41 Jahren mit 80,34 m Achter, das war mehr, als man erwarten durfte. „Wir haben uns tierisch angefeuert“, sagt Nicolay. Na ja, erwidert Henry milde, „ich habe den beiden in den Hintern getreten. Die brauchen das manchmal.“ So sieht Teamgeist aus, jedenfalls stellt sich Henry so Teamgeist vor. „So etwas wollte doch der Verband.“

Der Verband wollte im Leistungszentrum Kienbaum Teamgeist nach Plan entwickeln, deshalb zog er alle Athleten vor der WM in der idyllischen Anlage bei Berlin zusammen. Speerwerfer Henry reiste unter heftigem Protest aus Saarbrücken an, jetzt fühlt er sich bestätigt. „Teamgeist kann man nicht erzwingen. Wir Speerwerfer haben ihn einfach.“

Zumindest die Athleten. Bundestrainer Lutz Kühl ist da nicht einbezogen. „Er ist eher ein Störfaktor“, sagt Henry. „Er behindert uns. An meiner Leistung hat er null Komma null Anteil. Ich habe in diesem Jahr viermal mit ihm geredet.“ Kühl habe viele Fördergelder versprochen, seine Zusage aber nicht eingehalten, sagt Henry. „Wir hatten Auseinandersetzungen darüber, welche Athleten wie gefördert werden.“ Kühl sei „als Fachmann top, aber wenn er uns wie 15-Jährige behandelt, muss er sich nicht wundern, dass zu ihm kein gutes Verhältnis zustande kommt“. Überhaupt sind Bundestrainer beim Speerwerfen wohl ein besonderes Thema. Steffi Nerius, die WM-Dritte von Paris, verkündete: „Meine Bundestrainerin hat an meinem Erfolg keinen Anteil. Sie sieht mich ja das ganze Jahr nicht.“

Und was sagt Stabhochspringer Tim Lobinger? Der betrachtete den Paris-Aufenthalt des Bundestrainers für die Langstrecken „als Geldverschwendung“.

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