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Tempelhof: Ein Stück England in Berlin

Um 1900 diente das Tempelhofer Feld als Sportplatz.

„Auf dem Tempelhofer-Felde fand am letzten Sonntag ein Gesellschafts-Spiel zwischen dem Berliner Fussball-Club ‚Hellas’ und dem Berliner Thor- und Fussball-Club ‚Deutschland’ statt, aus welchem der Club ‚Deutschland’ mit 10 Goals gegen Club ‚Hellas’ 0 Goals als Sieger hervorging.“ Mit diesen Worten meldete die Berliner Zeitschrift „Spiel und Sport“ am 11. März 1893 den Ausgang eines Freundschaftsspiels. Der Ort der Partie war kein Zufall: Auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof, dessen weitere Nutzung gerade diskutiert wird, fanden vor mehr als 100 Jahren jede Woche Fußballspiele statt.

Zwischen ungefähr 1885 und dem Ersten Weltkrieg war das Tempelhofer Feld für die Entwicklung des Berliner Fußballs von zentraler Bedeutung. Als sich die ersten Klubs gründeten, gab es schlicht und einfach keine Fußballplätze, und in den Parkanlagen beschwerten sich die Bürger über die seltsam gekleideten jungen Leute. In vielen Städten fragten die Fußballer deshalb beim Militär an, um auf den Exerzierplätzen spielen zu dürfen.

Das Tempelhofer Feld hatte Friedrich Wilhelm I. 1772 zu einem Parade- und Exerzierplatz herrichten lassen. Aus dem Jahr 1889 existiert eine Vereinbarung, die der Generalstab mit dem BFC Germania traf und die beispielhaft für die damaligen Verhältnisse ist: „Dem Berliner Fußball-Club ‚Germania’ wird hierdurch die Genehmigung zur Abhaltung von Spielen an den Sonntagen auf dem Tempelhofer Felde bis zum 1. April 1890 unter der Voraussetzung erteilt, daß der Platz nicht beschädigt wird.“ Germania ist heute der älteste deutsche Fußballklub.

Torstangen und Eckfahnen mussten die Fußballer für jedes Spiel mitbringen. Viele Klubs suchten sich deshalb Stammkneipen in Tempelhof, in denen sich die Spieler umziehen und das Material deponieren konnten. Der Tor- und Fußballklub Victoria nutzte eine Kneipe Ecke Friesenstraße/Jüterboger Straße, der Klub Frankfurt das Restaurant Uhla im Paradegarten. Teilweise wohnten auch Mitspieler in der Nähe. Der Verein Sport Berlin beispielsweise traf sich vor den Spielen beim Schriftführer in der Fidicinstraße 28.

Besonders die Vereine des Deutschen Fußball- und Cricket-Bundes, des bedeutendsten DFB-Vorläufers, bestritten auf dem Tempelhofer Feld ihre Spiele: Germania, Victoria, Frankfurt, English Football-Club, Vorwärts, Stern, Concordia, Teutonia und der Tor- und Fußballklub 1890. Torball war die Bezeichnung für Cricket, was viele Vereine ebenfalls betrieben. Auch Hertha BSC kickte ab und zu in Tempelhof, obwohl die eigentliche Spielstätte des Klubs der Exerzierplatz auf dem Gelände des Jahnstadions war. Tasmania Berlin, Jahrzehnte später schlechtester Bundesligist aller Zeiten, war ebenfalls auf dem Tempelhofer Feld zu Gast.

Die Vereine hatten bereits Zuschauer, was oft zu Problemen führte. „Natürlich standen wieder eine Schar großer und kleiner Kinder auf der Linie im Mal“, hieß es 1893 beispielsweise über eine Partie – Mal lautete der damalige Ausdruck für das Tor. Daraufhin stellte der English Football-Club, dessen Vorsitzender John Bloch „Spiel und Sport“ herausgab und eine der prägenden Gestalten der Berliner Fußballbewegung war, erstmals Tornetze auf.

„Wer Gelegenheit gehabt hat, in den Herbsttagen an einem Sonntag Nachmittag einen Blick auf das Tempelhofer Feld zu werfen, wird sich beinah nach England versetzt gefühlt und auf einen von dessen stark belebten Spielplätze zu sehen geglaubt haben“, schrieb 1893 Konrad Koch, der Verfasser der ersten deutschen Fußballregeln. Heute besteht die Gelegenheit, an diese Tradition anzuknüpfen. Das Tempelhofer Feld wäre, wie „Spiel und Sport“ es einmal ausdrückte, dann wieder „der Schauplatz der allsonntäglich stattfindenden Fussballwettkämpfe“.

Malte Oberschelp

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