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Tennis: Ein Sieg gegen die Vergangenheit

Jelena Dokic ist in Melbourne ein grandioses Comeback gelungen – weil sie sich von ihrem schwierigen Vater gelöst hat

Jelena Dokic wedelte mit beiden Armen. „Los, feuert mich an!“, schien sie sagen zu wollen. Eine überflüssige Geste, denn die 15 000 Zuschauer in der Rod-Laver- Arena standen bereits und feierten sie. Gerade hatte Jelena Dokic einen 1:3-Rückstand im dritten Satz in ein 4:3 umgekehrt. Die Australierin kämpfte, obwohl sie am Ende kaum mehr laufen konnte. Es lohnte sich: Dokic besiegte Alisa Klejbanowa aus Russland 7:5, 5:7, 8:6 und zog ins Viertelfinale der Australian Open ein. Es war ein langer Kampf, der allerdings nichts ist im Vergleich zu jenem Kampf, den Jelena Dokics privat ausgefochten hat. Nun sieht es so aus, als habe sich die 25-Jährige endlich von ihrer Vergangenheit und ihrem gewalttätigen Vater befreit.

„Ich war körperlich am Ende“, sagte Dokic nach ihrem Achtelfinalsieg. „Es ist lange her, dass ich so viele Matches nacheinander gespielt habe.“ Als 187. der Weltrangliste ist sie in Melbourne angetreten, mit einer Wildcard und dem Ziel, die erste Runde zu überstehen – was ihr dann, wenn auch etwas wackelig, gelang. Doch Dokic siegte immer weiter: Erst gegen Anna Tschakwetadse (Russland) und dann gegen die Dänin Caroline Wozniacki. Ihre gestrige Gegnerin Alisa Klejbanowa aus Russland hatte zuvor die serbische Weltranglistenfünfte Ana Ivanovic aus dem Turnier geworfen. „Ich war auf dem Platz mental so stark“, sagte Dokic.

Dass sie nun mit 25 diese Stärke hat, dafür ist Jelena Dokic, wie sie selbst sagt, „einmal durch die Hölle und wieder zurück“ gegangen. Die in Serbin geborene Dokic hatte einen unglaublichen Karrierestart. Kurz nach ihrem 16. Geburtstag erreichte sie bei ihrem ersten Auftritt in Wimbledon das Viertelfinale, nachdem sie die damalige Weltranglistenerste Martina Hingis in der ersten Runde besiegt hatte. Ein Jahr später schaffte Dokic es an selber Stelle ins Halbfinale, 2002 stand sie als Nummer vier der Weltrangliste kurz vor dem Ziel ihrer Träume. Eine Märchenkarriere – wäre ihr Vater nicht gewesen.

Damir Dokic, ein ehemaliger Boxer, wurde zum negativen Paradebeispiel eines Tennisvaters. Der aufbrausende Dokic wurde von zahlreichen Turnieren wegen seiner cholerischen Ausbrüche ausgeschlossen. Wenn auf dem Platz nichts lief, wurde er gewalttätig, auch gegen seine Tochter. Jelena Dokic musste ihn oft verteidigen und hörte irgendwann ganz auf, den Journalisten Fragen zu ihrem Vater zu beantworten.

„Ich musste so viel aushalten mit meinem Vater“, sagt Jelena Dokic, die 2003 von ihm gezwungen wurde, mit der Familie nach Serbien zurückzukehren. „Ich war so jung und hatte keine Ahnung, was los war.“ Mit 19 Jahren wäre sie beinahe daran zerbrochen. Es dauerte lange, bis sie den Mut fand, sich von ihrem Vater zu lösen. Vor vier Jahren kehrte Dokic allein nach Australien zurück. Sie soll ihrem Vater eine Million Dollar gezahlt haben, damit er sie in Ruhe lässt. Seither hat sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen. „Ich habe meine Familie verloren“, sagt die 25-Jährige. Ihren jüngeren Bruder hat Dokic über Jahre nicht gesehen, und noch immer versucht sie, die Beziehung zu ihrer Mutter wieder aufzubauen. Lange kämpfte Jelena Dokic gegen Depressionen, gegen Übergewicht – aber vor allem gegen ihre Vergangenheit.

„Es gab Zeiten, da habe ich monatelang nicht gespielt. Ich habe auch daran gedacht, es ganz zu lassen“, sagt sie. Dokic rutschte aus den besten 600 der Weltrangliste hinaus und traf Ende 2007 die Entscheidung, es noch einmal zu versuchen. „Ich wusste nicht, ob ich mental stark genug sein würde“, sagt sie. Die Tage in Melbourne haben gezeigt: Jelena Dokic ist mental stärker als je zuvor. Wenn sie den Ball mit den Augen fixiert und dann durchzieht, wirkt es fast so, als würde sie ihre ganze Wut in jeden einzelnen Schlag legen.

Dokic ist zurück unter den besten 100. Dass sie nun gegen die Weltranglistendritte Dinara Safina spielt, interessiert sie nicht mehr. „Ich habe nichts mehr zu verlieren“, sagte sie. Viel mehr Sorgen machte sich Jelena Dokic nach dem knappen Achtelfinale um ihren Coach. „Er braucht jetzt sicher einige Bier“, sagt sie und fügt hinzu: „Und ich auch.“

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