zum Hauptinhalt

Sport: Terror am Schlag

Die Attacke auf das sri-lankische Kricketteam treibt Pakistan in die Isolation – politisch und sportlich

Das Gaddafi-Stadion im Zentrum Lahores liegt wie ausgestorben da, die Tribünen sind verwaist. Statt Jubel liegt Stille in der Luft. Es wird Monate, vielleicht Jahre dauern, bevor die Pakistaner wieder ein internationales Kricket-Match auf ihrem Boden sehen können. Seit der Terrorattacke auf das sri-lankische Nationalteam gilt das südasiatische Land als No-Go-Area. Düster wird bereits über den Niedergang des Sports in Pakistan oder ganz Südasien orakelt. Der Anschlag könne der Todesstoß für das Spiel in Pakistan gewesen sein, sagt der englische Schiedsrichter Chris Broad, einer der Überlebenden.

Dabei wollten es viele nicht wahrhaben. Nicht nur Pakistans Kricket-Legende Imran Khan war überzeugt, nie würden sich Terroristen am Kricket vergreifen. Das Spiel ist in Südasien nicht nur mindestens so populär wie Fußball in Europa, es sei fast eine „zweite Religion“, sagt Khan. Doch die Extremisten, mutmaßlich Islamisten, haben gezeigt, dass ihnen nichts mehr heilig ist.

Im Nachhinein erscheint es wie ein Wunder, dass die sri-lankischen Spieler mit dem Leben davonkamen. In Todesgefahr steuerte Fahrer Mehr Muhammad Khali den Bus durch den Kugelhagel ins rettende Gaddafi-Stadion. „Wenn der Fahrer nicht die Nerven behalten hätte, wären alle tot gewesen“, räumt Ejaz Butt von Pakistans Kricketausschuss ein. Dabei waren die Sri Lanker als Botschafter des guten Willens gekommen, nachdem Indien aus Sicherheitsgründen abgesagt hatte. Und Islamabad hatte ihnen die höchste Sicherheitsstufe garantiert.

Nur in etwa einem Dutzend Länder weltweit, meist ehemaligen britischen Kolonien, wird das komplizierte Werf- und Schlag-Spiel, das über Tage gehen kann, ernsthaft betrieben. Das Herz des Kricket schlägt in Südasien. Über alle Grenzen vereint es die Menschen – Muslime und Hindus, die armen Massen und die reichen Eliten. Die Spieler werden wie Halbgötter verehrt. Wenn die Erzrivalen Indien und Pakistan spielen, sind die Straßen leergefegt und die Menschen kleben vor dem Fernseher. Selbst Pakistans Taliban sollen – anders als ihre afghanischen Gesinnungsbrüder – gerne zum Zeitvertreib Kricket spielen.

Die Attacke wird Pakistan noch mehr in die Isolation treiben – sportlich und politisch. Die Kricket-Diplomatie ist faktisch am Ende: 2004 war das indische Nationalteam erstmals nach 15 Jahren wieder ins Nachbarland gereist. Das Match hatte den Friedensprozess zwischen den Erzfeinden mehr befördert als alle Worte. Zwar wird die Kricketwelt die pakistanischen Spieler nicht ächten. Großbritannien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben signalisiert, sie würden dort ihre Spiele austragen. Aber Pakistan selbst drohe im internationalen Kricket zum Paria zu werden, glaubt Broad.

Ausländische Teams werden Pakistan vielleicht über Jahre meiden. Die Auswahl von Neuseeland hat ihre für Dezember geplante Tour abgesagt. Auch die Weltmeisterschaft 2011 könnte dem Land entzogen werden. Eigentlich sollte Pakistan einer von vier Gastgebern sein. „In der derzeitigen Situation können wir nicht erwarten, dass ausländische Teams nach Pakistan kommen“, räumt Butt ein. Noch drastischer formuliert es die pakistanische Zeitung „The News“: „Wir sollten kein Sportteam bitten, uns zu besuchen, wenn wir nicht wollen, dass Blut an unseren Händen klebt.“

Der Internationale Kricketverband will nun prüfen, ob auch Indien, Bangladesch und Sri Lanka noch sicher genug sind, um die Weltmeisterschaft zu beherbergen. Vor allem Indien gilt als Terrorziel. Die Regierung will mehrere Spiele der Indian Premier League (IPL), die neue Kricket-Bundesliga, verschieben, weil sie mit Wahlen zusammenfallen und nicht genug Polizisten und Soldaten verfügbar sind. Auch Gastspieler geraten ins Grübeln: Er überdenke seine Teilnahme an der IPL, ließ der neuseeländische Kricketspieler Jacob Oram wissen.

Vielleicht sind die Terroristen diesmal zu weit gegangen. Die Attacke hat gleich zwei Tabus verletzt: Das Gastrecht ist in Pakistan ebenso heilig wie Kricket. „Wir haben unsere Ehre und unseren Selbstrespekt verloren“, sagt ein Pakistaner. Am Tag nach dem Anschlag strömten Menschen zu einem Mahnmal am Liberty Market, dem Tatort. Schweigend beteten sie für die sechs Polizisten, die ihr Leben gaben. Und sie salutierten den „Helden Sri Lankas“, die es gewagt hatten, dem Terror zu trotzen und in Pakistan zu spielen – einem Land, das so gerne normal sein würde, aber es schon lange nicht mehr ist.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false