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Wie Schach vor bellenden Australiern. Die Engländer müssen sich bei ihrem Gastspiel auf wilde Wortgefechte gefasst machen.

© Patrick Hamilton/AFP

The Ashes im Cricket: Ruhm, Ehre und ein winziger Pokal

In Australien startet die legendäre Cricket-Serie gegen England. Auch Berliner bereiten sich darauf vor.

In der Nacht zu Donnerstag traf sich eine Gruppe Engländer und Australier in einer Bar an der Wiener Straße, um bis in die frühen Morgenstunden Bier zu trinken. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Im Nachtleben von Kreuzberg lassen sich mittlerweile nicht wenige anglophone Neuberliner finden. In dieser Woche in der Wiener Straße stand aber mal nicht das Trinken im Vordergrund: Es ging um Cricket.

Am Donnerstag hat in Brisbane die 65. Ashes-Series begonnen. Über die nächsten sechs Wochen bestreiten England und Australien fünf Cricket-Spiele in fünf verschiedenen australischen Städten. An Tag eins war England leicht überlegen, aber das hat nicht viel zu bedeuten. Jedes Spiel kann bis zu fünf Tage dauern – und es kann gut sein, dass nach 25 Tagen noch immer kein Sieger feststeht. Für die beiden Sportnationen geht es dabei um alles: Ruhm, Ehre – und einen Pokal, der nur elf Zentimeter hoch ist.

Angefangen hat alles im Jahr 1882, als Australien zum ersten Mal auf englischen Boden gewann. In der Zeitung war am nächsten Tag ein satirischen Nachruf zu lesen, der den Tod des englischen Crickets proklamierte. „Die Leiche wird kremiert, und die Asche nach Australien gebracht“, hieß es dort. Seitdem spielen die zwei Nationalteams abwechselnd in England und Australien um eine kleine Urne, die für eben jene Asche stehen soll.

Besonders seit 2005, als England in einer legendären Serie zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten wieder siegte, sind die Ashes wichtiger denn je. Beim vierten Spiel der bevorstehenden Serie wird der Melbourne Cricket Ground mit 100 000 Zuschauern restlos ausverkauft sein. Daheim in England werden Tausende Fans tagelang auf Schlaf verzichten, um die Serie zu verfolgen.

Für die Engländer ist die Schlaflosigkeit wohl aber die geringste Sorge an diesen Wintertagen. Zwar haben die Briten vier der letzten fünf Serien für sich entscheiden können, die meisten davon jedoch auf heimischen Boden. Seit 1987 konnten sie lediglich einmal in Australien triumphieren. In zwei der letzten drei Besuche in Down Under setzte es gar eine 0:5-Klatsche – jedes einzelne Spiel ging für die Engländer verloren.

"Auf dem Platz ist es Krieg"

Auf der Insel wird befürchtet, dass es dieses Mal ähnlich ausgehen könnte. Kurz vor der Abreise stürzte Schlüsselspieler Ben Stokes die Vorbereitung ins Chaos. Vor einem Bristoler Nachtclub geriet der 26-Jährige in eine Schlägerei und verlor daraufhin seinen Platz im Kader.

Stokes ist ein Riesenverlust für die Engländer. Nicht nur, weil er in seiner Spezialistenrolle als Allrounder – der Spieler, der als Schlagmann und Werfer brilliert – unersetzlich ist, sondern auch, weil er als größter Kämpfer in den englischen Reihen gilt. Und besonders auswärts werden die Gäste seinen Einsatz wohl schmerzlich vermissen.

Abseits des Feldes ist der Umgang beider Teams miteinander zwar durchaus freundlich, „auf dem Platz aber ist es Krieg“, wie es der Engländer Alastair Cook einmal beschrieb. Cricket ist vor allem ein psychologisches Duell, wie man es sonst nur vom Tennis oder Schach erwarten würde. Schachspieler allerdings sind nicht von tausenden bellenden Australier umringt wie im Gabba-Stadion von Brisbane, das wegen seiner imposanten Atmosphäre auch „Gabbatoir“, also Schlachthof genannt wird. Es sind aber nicht nur die Fans, sondern auch die australischen Spieler, die gnadenlos umspringen mit ihren Gästen. Die Wortgefechte auf dem Platz, das sogenannte „Sledging“, sind wesentlicher Bestandteil der Begegnung.

„Wie geht es deiner Frau und meinen Kindern?“ fragte der Australier Rod Marsh einmal den englischen Schlagmann Ian Botham. „Meiner Frau geht es gut, die Kinder sind geistig behindert“, erwiderte Botham. 2013 drohte der australische Kapitän Michael Clarke seinem Gegenspieler mit Knochenbruch.

Auch diese Wortgefechte machten die Serie einzigartig in der Cricket-Welt. Im Allgemeinen erwecken Testspiele, der traditionellen und längeren Form des Spiels, immer weniger an Interesse. Wenn Fußball Poesie ist, ist Test-Cricket ein Roman von Charles Dickens: zu langwierig für den modernen Menschen, trotzdem ein Meisterwerk. Nur die Ashes, in all seiner narrativen Pracht, kann die Massen noch begeistern.

Seit Mittwoch werden in England und Kreuzberg nun Strategien entwickelt, um die ganze Nacht wach zu bleiben. Es geht um Asche. Es geht um alles.

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