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Bundesinnenminister Thomas de Maizière spricht mit den beiden Berliner Olympiaseglern Erik Heil (rechts) und Thomas Plößel (links).

© Thilo Rückeis

Thomas de Maizière zur Sportförderung: „Man kann Medaillen nicht mit Geld herbeifördern“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière diskutiert mit dem Seglerduo Erik Heil und Thomas Plößel über Zukunft und Förderung des olympischen Sports.

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Herr Minister, Erik Heil und Thomas Plößel werden zwar nicht auf der Straße erkannt, bei Olympia in Rio gehören sie aber zu den deutschen Medaillen-Hoffnungen.

THOMAS DE MAIZIÈRE: Das ist mir bekannt. Ein bisschen kenne ich mich aus im Segelsport. Allerdings bin ich immer nur bei anderen mitgesegelt. Was mich interessiert: Wie lange mussten Sie beide zusammen segeln, um wirklich gut zu werden?

ERIK HEIL: Olympia ist ein Kindheitstraum. Wir segeln seit 15 Jahren zusammen, fünf bis sechs gemeinsame Jahre hätten wir in unserem 49er-Boot mindestens gebraucht.

THOMAS PLÖSSEL: Als wir 12 oder 13 waren, gab es bei uns im Verein einen 470er-Segler, der an Olympia teilgenommen hat. Er war unser Idol und hat uns auch gefördert.

DE MAIZIÈRE: Woran hat er denn erkannt, dass Sie als Team besser sind als Ihre Mitstreiter?

PLÖSSEL: Dass Erik und ich zusammengekommen sind, war eigentlich nur Glück.

Per Zufall zu Olympia? Das kann dem Sportminister nicht gefallen.

DE MAIZIÈRE: In der Tat ist das ein Grundproblem, um das wir wissen und welches wir im Rahmen der Neustrukturierung der Spitzensportförderung angehen werden. Im Bereich der Talentsichtung und im Übergang vom Junioren- in den Erwachsenensport wollen wir noch näher dran sein an den Athleten und Trainern. Und diese noch intensiver begleiten.

PLÖSSEL: Wir haben vor allem von einer Sache profitiert: Seit wir angefangen haben, stand nie fest, dass wir irgendwann aufhören werden. Es geht im Sport eben auch viel um das Durchhalten. Wenn du lange dabei bist, wirst du irgendwann gut.

DE MAIZIÈRE: Herr Plößel, eine Frage zu Ihrem Hintergrund: Herr Heil ist Sportsoldat, Sie sind Student. Haben Sie auch mal darüber nachgedacht zur Bundeswehr oder zur Bundespolizei zu gehen?

PLÖSSEL: Meine Eltern wollten nicht, dass ich zur Bundeswehr gehe, mein Vater ist großer Pazifist. Dabei habe ich ihm erklärt, wie gut eine Sportfördergruppe sein kann.

DE MAIZIÈRE: Warum haben Sie sich dann nicht für die Bundespolizei oder den Zoll entschieden?

PLÖSSEL: Da wusste ich nicht, dass das geht.

DE MAIZIÈRE: Da haben wir tatsächlich Nachholbedarf. Wir haben Laufbahnberater, die junge Athleten darüber informieren, welche Möglichkeiten sie bei der Bundeswehr, bei der Polizei oder beim Zoll hätten. Aber dieser Bereich der Athletenförderung muss ausgebaut werden. Da besteht Konsens bei allen Beteiligten. Das wird ein weiterer Punkt bei der Reform der Spitzensportförderung.

PLÖSSEL: Bei uns war der Werdegang auch ein bisschen verschoben. Ich habe angefangen zu studieren, da waren wir noch nicht richtig gut im 49er-Boot. Deshalb habe ich die Zeit genutzt, um zur Uni zu gehen. Seit vier Jahren pausiere ich mit dem Studium, seit dem Zeitpunkt, an dem wir so richtig mit dem Segeln durchgestartet sind. Vorher war einfach das Geld nicht da, um so viel zu segeln.

DE MAIZIÈRE: Das meine ich. Perspektivreiche Athletinnen und Athleten fördern, indem man den Laufbahnberatern von Anfang an eine entscheidende Stellung einräumt.

Herr Heil, Herr Plößel, der Minister will mehr Olympia-Medaillen für die jährlich 160 Millionen Euro Förderung. Der Segelverband hat zwei Medaillen als Ziel für Rio ausgegeben. Setzt Sie das unter Druck?

HEIL: Wir machen uns selbst den größten Druck. Unser Ziel ist eine Medaille, das ist auch nicht vermessen. Peter Burling und Blair Tuke aus Neuseeland sind kaum zu schlagen. Aber von Platz zwei bis acht ist das Feld so dicht, da ist eine Medaille realistisch.

PLÖSSEL: Genau, wir haben unser eigenes Ziel. Was die vom Verband sich überlegen, ist für uns nicht entscheidend. Wir konzentrieren uns nur auf uns, das haben wir immer so getan. Und so kam dann auch die Förderung immer schrittweise hinzu. Bei uns konkret war das vielleicht ein bisschen spät. Wenn man uns früher gefördert hätte, hätten wir vielleicht zwei Jahre gespart. Aber eigentlich können wir uns über die Sportförderung in Deutschland gar nicht beklagen.

Wo besteht denn aus Sicht der Sportler noch Nachholbedarf bei der Förderung?

HEIL: Ich hatte mal überlegt, parallel zum Sport und unabhängig von der Bundeswehr Zahnmedizin zu studieren. Doch es gab ein Problem mit dem Numerus Clausus. Da hätte ich mir sehr gewünscht, dass wir als A-Kader-Athleten über einen Quotenplatz in so einen Studiengang hereinkommen. In diesem Bereich würden wir uns mehr Unterstützung wünschen. Können Sie beide sich komplett auf Olympia fokussieren, wenn Sie Spitzensport und Studium parallel meistern müssen?

HEIL: Die duale Karriere funktioniert in vielen Sportarten sicher sehr gut. Wir haben für uns aber gemerkt, dass es nicht geht, beides zu vereinbaren, weil wir uns um Material, Logistik und Reiseplanung kümmern müssen. Da machen wir lieber eine Sache richtig und konzentrieren uns voll auf das Segeln. Herr Minister, Sie haben eine Reform der Sportförderung angekündigt. Sind die Schilderungen der Segler nicht ein Zeichen dafür, dass es ohne Vollprofis im olympischen Sport einfach nicht funktioniert?

DE MAIZIÈRE: Zunächst mal: Ich teile absolut die Auffassung von Herrn Plößel, dass nicht das Fördersystem Druck erzeugt, sondern den Athleten den Rücken frei halten sollte. Die Bedingungen, um an die Spitze zu kommen, sind von Sportart zu Sportart unterschiedlich. Deswegen ist es wichtig, dass die Sportförderung auf diese Unterschiede eingeht – und zwar mehr als bisher. Wir haben bislang sehr stark in die Verbände investiert. Im neuen System sollen Athlet und Trainer mehr im Fokus stehen. Dann kann man auch auf die individuellen Situationen besser eingehen.

Wie stark lassen Sie denn die Wünsche der Athleten einfließen in die Reform, die nun im Herbst verkündet werden soll?

DE MAIZIÈRE: Man kann Medaillen im Sport nicht bestellen und auch nicht durch Geld herbeifördern. Einen gewissen Zufall wird es immer geben.

Aber...

DE MAIZIÈRE: Wir sind sehr gut bei den Junioren, doch danach geht relativ viel Potenzial verloren. Um dies zu ändern, gibt es nicht nur einen Weg. Aber hier wollen wir ansetzen und im Rahmen der Neustrukturierung systematischer als bisher Talente erkennen und fördern.

Dafür braucht man auch bessere und besser bezahlte Trainer.

DE MAIZIÈRE: Selbstverständlich nehmen wir auch die Trainer mehr als bisher in den Blick. Und konzentrieren uns darauf, wie wir einen Sportler wirklich nach vorne bringen können. Leider ist es oft so, dass Talente von Vereinen gar nicht oder nur ungern an andere Stützpunkte abgegeben werden. Das mag im Interesse des Klubs sein, aber es ist sicherlich nicht im Interesse des Athleten. Und dann gibt es auch Fälle, in denen ein Trainer ein Talent nicht loslassen möchte. Das ist menschlich verständlich, aber eben nicht im Sinne einer erfolgreichen Spitzensportförderung.

Müssen Sie gegen zu viele Widerstände aus dem Sport ankämpfen?

DE MAIZIÈRE: Nein. Ganz grundsätzlich: Wir haben eine gute Spitzensportförderung in Deutschland. Das Ausland blickt in diesem Punkt ja auch auf uns. Wir sehen aber auch, dass im Hinblick auf das eingesetzte Geld die Leistungen insgesamt stagnieren – vorsichtig ausgedrückt. Es gibt sehr erfolgreiche Sportarten und weniger erfolgreiche Sportarten. Wir analysieren, woran das liegt. Und wir wollen mit dem eingesetzten Geld besser werden. Das geht vor allem mit mehr Miteinander als Nebeneinander. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit und deutlich weniger Eifersüchteleien.

PLÖSSEL: Aber unabhängig von den Fördergeldern ist es wirklich das Wichtigste, einen guten Sprung vom Junioren- in den Erwachsenenbereich zu schaffen. Wir haben uns das alles selbst erarbeitet, denn nach der Juniorenzeit kommt noch so viel mehr dazu, wenn man erfolgreich sein will. Man braucht einen Physio, einen Mentaltrainer. Wir haben auch immer einen Koch dabei. Zusätzlich wird das Material immer wichtiger.

DE MAIZIÈRE: Wer berät Sie dabei?

PLÖSSEL: Niemand, das ist das Problem. Wir hatten nie jemanden, der uns gesagt hat: Als Fahrplan zu Olympia und in die Weltspitze musst du das und das und das machen. Wir haben uns fast alles selbst überlegt – das hat uns natürlich auch selbstbewusster und selbstständiger gemacht.

"Mehr öffentliche Akzeptanz für den Spitzensport"

Herr Minister, was können Sie also tun, dass es sich für Sportler lohnt, nicht nur Fußballer zu werden?

DE MAIZIÈRE: Das ist doch von Sportler zu Sportler und von Persönlichkeit zu Persönlichkeit ganz unterschiedlich. Es gibt Athleten, die können sich vor Werbeverträgen kaum retten, und andere sind genauso erfolgreich und bekommen keinen einzigen Sponsorenvertrag. Das ist eben auch immer eine Typfrage und hängt mit der jeweiligen Sportart zusammen.

Aber sogar der Super-Selbstvermarkter Robert Harting beklagt, dass es für ihn immer schwieriger wird und blickt neidisch zu den Fußballern.

DE MAIZIÈRE: Es stimmt, dass im Fußball teilweise extreme Summen fließen. Aber wenn man sagt, dass allein Geld durch Sport die Motivation bringen soll, bin ich nicht mehr dabei. Das geht gar nicht. Der stille Triumph einer Goldmedaille, wenn dann die Hymne gespielt wird, das ist mit keinem Geld aufzuwiegen.

Das muss also reichen?

DE MAIZIÈRE: Nein, das muss nicht reichen. Die Sporthilfe gibt ja 20 000 Euro pro Goldmedaille…

Andere Nationen zahlen deutlich mehr.

DE MAIZIÈRE: Das ist aus meiner Sicht nicht das Entscheidende. Viel wichtiger ist die öffentliche Akzeptanz für den Spitzensport. Es darf dem Sportler nicht zum Nachteil gereichen, wenn beispielsweise die berufliche Ausbildung etwas länger dauert. Eine erfolgreiche Lebensplanung mit Spitzensport muss möglich sein. Ich möchte unsere Förderung nicht schlechtreden. Aber da, wo sie Schwächen hat, wollen und müssen wir diese abstellen. Wir brauchen keine Revolution. Aber mit dem gleichen Geld können wir mehr erreichen.

Heißt das, Sportarten, die mehr Medaillen versprechen, werden mehr gefördert?

DE MAIZIÈRE: So ist es. Wir haben bisher da gefördert, wo in der Vergangenheit viele Erfolge zu verzeichnen waren. In dem neuen System wollen wir mit einer Potenzialanalyse eher zukunftsperspektivisch fördern.

Was sind da die Kriterien?

DE MAIZIÈRE: An den Kriterien arbeiten wir gerade. Wir stellen verschiedene Attribute zusammen und gewichten diese: Gibt es ein Rahmenkonzept für Trainer? Gibt es eine Talentsichtung? Wie ist die Infrastruktur in der Sportart? Diese Attribute bilden zusammen einen Blick auf eine Sportart – und daraus entsteht ein Förderungskonzept.

Herr Heil, Herr Plößel, Sie haben zusätzlich zur Sportförderung auch zahlreiche Sponsoren. Wie stark sind Sie finanziell von Erfolgen abhängig?

HEIL: Als wir von Berlin nach Hamburg wechselten, vermittelte uns ein Vereinsförderer viele Kontakte in die dortige Wirtschaft. So bekamen wir unsere ersten Sponsoren. Das sind alles persönliche Kontakte anstatt Partner, die Geld für Werbewirksamkeit geben.

PLÖSSEL: Wir hatten das klare Ziel, uns von Verbänden und leistungsabhängiger Förderung unabhängig zu machen. Für uns ist es ganz wichtig, dass etwa 50 Prozent unseres Budgets aus Mitteln kommen, die nicht von unserer Leistung abhängig sind. Wir können also auch weitermachen, falls wir mal ein Jahr nicht in die Kaderstruktur kommen würden – was bisher noch nie passiert ist. Generell ist aber Sponsorenakquise und die Betreuung unserer Individualpartner ein wichtiger Teil unserer Olympiaplanung. Das müssen wir aber alles selbst machen.

Herr Minister, ist das der richtige Weg, dass die Athleten solche Marketingaufgaben auch noch selbst übernehmen müssen?

DE MAIZIÈRE: Das ist von Sportart zu Sportart unterschiedlich. Beim Segeln sind die Kosten für das Material nun mal höher als beim Diskuswerfen. Das Engagement und die Innovationen der beiden, die über die alleinige Konzentration auf ihren Sport hinausgehen, sind aber auch ein Erfolgsgrund. Denn viele Trainer sagen mir: Diejenigen Athleten, die auch etwas anderes im Kopf haben als nur ihren Sport, sind oft besser als die Sportler, für die es sonst nichts anderes gibt.

Innovation bedeutet für andere große Sportnationen aber auch Doping, wie der Fall Russland zeigt. Wie sollen deutsche Athleten da mehr Medaillen gewinnen?

DE MAIZIÈRE: Doping ist keine Innovation. Das ist eine Straftat.

Wie schützen Sie deutsche Athleten angesichts dieses Umfelds davor, sich selbst zum Dopen hinreißen zu lassen?

DE MAIZIÈRE: In Deutschland machen wir das mit einem scharfen Anti-Doping-Gesetz und strengen Dopingkontrollen. Das machen wir nicht nur, um den Sport sauber zu halten. Denn ich glaube, je mehr Doping es gibt, umso weniger Eltern werden ihren Kindern erlauben, Leistungssport in den entsprechenden Sportarten zu betreiben. Beim Thema Doping hat jeder seine Hausaufgaben zu machen. Wir müssen alle dafür kämpfen, dass die internationalen Wettbewerbsbedingungen fair bleiben. Auch wenn das schwer ist.

Aber verzweifeln Sie nicht, wenn selbst der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF Doping vertuscht?

DE MAIZIÈRE: Ihr Fazit geht mir zu weit. Richtig ist aber, dass das von oben gedeckte und systematische Doping natürlich besonders frustrierend ist. Aber ich muss auch sagen: Die Tatsache, dass alles herausgekommen ist, ist auch eine gute Nachricht.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

DE MAIZIÈRE: Ich unterstütze den Beschluss der IAAF, den russischen Leichtathletik-Verband von Olympia auszuschließen. Jetzt ist die Zeit für harte Maßnahmen. Gleichzeitig befürworte ich es, Sportlern, die beweisen können, dass sie nicht zum Doping-System gehört haben, ein Startrecht in Rio einzuräumen. Gibt es eigentlich Doping im Segeln? Würde das etwas bringen?

HEIL: Da gibt es eigentlich keine Möglichkeiten. Es ist einfach ein Erfahrungssport.

PLÖSSEL: Bei uns ist die Bandbreite an Problemen, die wir auf dem Wasser bewältigen müssen, so groß – Doping würde da nichts bringen.

Herr Heil, Herr Plößel, das Nein zu den Spielen in Hamburg zeigt: Die Deutschen brennen nicht für Olympia. Brauchen Sie mehr Rückenwind von der Bevölkerung?

PLÖSSEL: Davon wollen wir uns nicht abhängig machen. Olympia in Hamburg wäre für uns sicher cool gewesen. Die Hamburger Bürger haben aber dagegen gestimmt, warum genau, wissen wir nicht. Da kommen viele Punkte zusammen.

DE MAIZIÈRE: Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie eine Medaille in Hamburg oder in Rio gewinnen?

HEIL: Für die Veranstaltung selbst macht es vielleicht etwas aus, vor heimischem Publikum zu sein, aber nicht für die Wertigkeit der Medaille.

Für Sie, Herr Minister, wäre es aber eine große Chance gewesen, den olympischen Sport hierzulande neu zu positionieren.

DE MAIZIÈRE: Selbstverständlich sind wir enttäuscht. Aber vor Olympia wird immer gemeckert. Wenn es dann losgeht und die besondere Stimmung da ist, dann sind alle zufrieden. Auch wenn es in Hamburg nun nicht geklappt hat, setze ich darauf, dass Rio die Menschen packen wird.

Mit wie vielen Medaillen wären Sie in Rio zufrieden?

DE MAIZIÈRE: Der DOSB hat die Größenordnung von 40 bis 50 Medaillen ausgegeben. Mittelfristig darf es nach der Reform der Spitzensportförderung ruhig etwas mehr werden. Aber die Reform wird Zeit brauchen.

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