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Der Blick ins Paradies: Das Thüringenderby zwischen Jena und Erfurt.

© Marco Betram

Thüringenderby: Das Bratwurstland kocht

Zwei Traditionsvereine und ein verbindendes Element: Hass. Wie Frank Willmann den 1:0-Derbysieg vom FC Carl Zeiss Jena gegen Rot-Weiß Erfurt erlebt hat.

Thüringenderby! Das höchste für alle, die auf ihrem Herz einen blaugelbweißen, bzw. einen rotweißen Fleck haben. An Nachtschlaf war am vergangenen Freitag für mich nicht zu denken. Ich wälzte mich unter Zuckungen im Bett und drosch mir die blaugelbweiße Nachtmütze tief über die Ohren. Die aktuelle Tabelle der 3. Bundesliga ein einziger Schmerz. Beim Lesen der Sportseiten befällt mich regelmäßig Übelkeit. Immer wieder stellte ich mir die bescheuertsten Gegentore vor. Die ganze Tragödie untermalt von tobendem Mob des Derby-Gegners, der mir bis Neujahr die Ohren klingeln lässt.

O stolzes Jena, was ist aus dir geworden? Vor dreißig Jahren demütigten wir im Europapokal Benfica Lissabon, AS Rom, den FC Valencia. Verloren schließlich im Düsseldorfer Finale gegen Dinamo Tiflis…

Heute kräpeln wir in der 3. Liga herum und verlieren gegen Krampenclubs wie Sandhausen, Heidenheim und St.Nimmerlein. Was boten die letzten Jahre für Derbyschmerz! Seit über sechs Jahren kein Heimsieg mehr gegen den verhassten Rivalen aus der Stadt ohne Namen. Wie viele Tränen kullerten zu Boden, ganze Stauseen an Pippi wurden vergossen.

Die Fahrt von Berlin nach Jena verging wie im Flug. Es brauste die Schar Jenenser-Exilanten ins Land der einzig wahren Bratwurst. Versprengte  Sachsen-Anhaltiner, Thüringer Jungs von der Fischküste, Preußen mit der blaugelbweißen Sehnsucht im Hirnkasten. Alle unterwegs im Auftrag des guten Geschmacks, ihre Lieblinge am Tag der Tage nach vorn zu peitschen. Als die wohlproportionierten Lobedaer Neubauten an der Autobahn die nahe Stätte des Heils verkündeten, brach plötzlich der wolkenverhangene Himmel auf und ein güldener Strahl senkte sich nieder aufs schöne Jena.

Das romantische Ernst-Abbe-Sportfeld, unser Stadion, gelegen im Paradies. Schmuck heben sich deine riesigen Flutlichtmasten in die Höhe. Ihr Giganten des Lichtes, hier lenkt kein Knicklichterbauer die Geschicke.

Ich schlüpfe ins wohlige Nest, am Fanprojekt wird ein Schwein gebraten, oink,oink. Die beiden Thüringer Rivalen verfügen über einen fetzigen Bestand an gegenseitigen Schimpfworten. Das gute alte Nuff-Nuff-Schweinchen spielt im kollektiven Bewusstsein der Jenenser eine fast klassische Rolle. Nicht umsonst steht eine der größten Schlachtanlagen in der Nähe der rotweißen  Landeshauptstadt. Mein umsichtiger und weiser Vater nahm mich Mitte der siebziger Jahre zum ersten Mal zum Derby mit. Selbstverständlich gewann der FCC beim kleinen Bruder. Zu DDR-Zeiten eine Selbstverständlichkeit. Die weiche DDR-Mark purzelte dank des unermüdlichen Fleißes des VEB Carl Zeiss und seines fußballirren Direktors Biermann. Wir woll'n unsern Biermann wieder haben!

Schon damals, als Blocktrennung noch nicht erfunden war, gehörte eine ordentliche Portion Mut dazu, die Höhle des Löwen zu besuchen. Gefängnis, Irrenanstalt oder der Friedhof warteten.

Die bisherige Saison erlebte ich einen lustlosen FCC. Gebremst  von unerklärlichen Teufeleien gab es in fast jedem Spiel die Hose voll. Die Gegner dominierten nach Belieben,  der FCC als willenlose Beute einer Herde von Hyänen. Hyänen sind schreckliche Tiere. In ihrer Ekelhaftigkeit nur zu überbieten von korrupten Politikern, beißwütigen Nazis und kranken chinesischen Hühnern. 

10.000 Zuschauer säumten die Ränge, getrennt von der Anzeigetafel links die Jenaer Südkurve, Heimstatt der Braven. Rechts davon der tobende Erfurter Anhang. Die Fans hassen einander bis aufs Redlichste, ungezählt sind die geschlagenen Schlachten, von denen die Legende zu berichten weiß.

„Schweine RWE, Schweine RWE“ brüllt das Stadion. „Wir scheißen auf Carl Zeiss“ antwortet das rot-weiße Echo. Sport hat immer mit Leidenschaft zu tun. Aber nicht jede Leidenschaft mit Sport.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann aus dem Erfurter Block die ersten Böller flogen. Der Gästeblock kochte über, Aggression lag in der Luft. Die Jenenser Südkurve zeigte Flagge und steht trotz des Platzes am Po der Tabelle zu ihrem Team: „Selbst wenn die Welt mal untergeht, unser Name lebt und die Fahne weht!“

Im Gästeblock wurde ordentlich gezündelt, dann hopsten einige Übermütige rot-weiße in den Pufferblock, der umgehend von der Ordnungsmacht geräumt wurde. 

Starker Applaus aus der Südkurve, anfängliches  „Auf die Fresse! Auf die Fresse!“ ertönte, abgelöst von „Bullenschweine! Bullenschweine!“

Das Spiel – ein Irrsinn zwischen den Polen Freude und Angst, wilde Leidenschaft und gewalttätigen Wutausbrüche, plötzliche Liebe und jähem Hass. Als Fan ist man immer ein Risikopatient und Sklave seiner Leidenschaft. Jena überlegen, doch der Ball wollte nicht ins Tor. Der Gegner ganz schwach, ab Minute einundsiebzig dezimiert durch eine berechtigte rote Karte. Als schon fast alle Jenenser Hoffnung vergangen, erhob sich plötzlich Herr Hähnge aus der Herde der milden Schafe und donnerte den Ball aus neun Metern ins richtige Tor!

Unser Brachiosaurus, „Monster“ Hähnge. Das förderlichste am Derby, wenn der Siegtreffer in der letzten Minute fällt und der köstliche Spott der Sieger explodiert wie ein gut geschüttelt und gerührtes Dixiklo. Jena endlich Vorletzter, die Pflanze Hoffnung sprießt.

Ab sechzehn Uhr wütete die Derbyparty im schunkelnden Jena. In den teuren Logen grillen sie die Wurst und kippen sich das teure Zeug in die Birne. Derbysieg! Das ist es! Brot und Spiele, Blut und Eingeweide auf dem Asphalt. Man muss nicht von einer Giftspinne gebissen worden zu sein, um den Zeiger rotieren zu lassen. Bis tief in die Nacht hallten die Schreie der Sieger durch Jena. Derbysieger, Derbysieger! Ich düste wie ein besengter Hirsch nach Berlin und ließ mich willenlos in die Party der Nacht gleiten. Die gute Fee erschien. Sie reichte mir Getränke, sie reichte mir so komische Substanzen, Siegestaumel bis zum Morgengrauen.

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