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Sport: THW Kiel: Maulwurf statt großer Wurf

Sieben fette Jahre lang heimste der amtierende Deutsche Handballmeister so ziemlich alle Trophäen ein, die es zu erringen gab. Sechs Meistertitel, drei DHB-Pokalsiege und der Gewinn des europäischen EHF-Pokals verschafften dem THW Kiel den Ruf als uneingeschränkter Primus der nationalen Handball-Branche.

Sieben fette Jahre lang heimste der amtierende Deutsche Handballmeister so ziemlich alle Trophäen ein, die es zu erringen gab. Sechs Meistertitel, drei DHB-Pokalsiege und der Gewinn des europäischen EHF-Pokals verschafften dem THW Kiel den Ruf als uneingeschränkter Primus der nationalen Handball-Branche. Auch wirtschaftlich schwang sich der Verein von der Waterkant zum Krösus der Liga auf. Fortan kursierten ehrfürchtige Vergleiche mit dem FC Bayern München in der Szene, vom professionellsten Management der Liga war sogar die Rede. Folglich fielen auch die Ziele vor Saisonbeginn recht unbescheiden aus. "Champions League, Meisterschaft, DHB-Pokal. Wir holen alle Titel", drohte Mannschaftskapitän Magnus Wislander. Doch in dieser Saison ist alles anders. Das frühzeitige Ausscheiden im DHB-Pokal, empfindliche Schlappen in der Bundesliga - zuletzt in Dormagen (24:26) und daheim gegen Lemgo (24:26) - sowie handfeste Querelen im Team sorgen für Chaos bei den Kielern.

"Das war mit Sicherheit die schlimmste Woche seit Beginn meiner Amtszeit", sagte Manager Uwe Schwenker - nicht ganz zu Unrecht. Sieben Zähler rangiert der THW Kiel mittlerweile in der Tabelle hinter dem Spitzenreiter SG Flensburg-Handewitt. Sollte die Partie heute Abend in Großwallstadt auch noch verloren gehen, rutscht die Mannschaft wohl endgültig ins Mittelfeld ab. Nicht zuletzt deshalb sind auch bei Uwe Schwenker die lauten Töne den feineren Klängen gewichen. "Wir müssen ganz realistisch anerkennen, dass wir keine Chance mehr auf die Meisterschaft besitzen. Jetzt gilt es, mit aller Kraft noch den dritten oder vierten Platz zu erreichen", gab der Manager missmutig zu Protokoll. Was Schwenker noch mehr wurmt: Die Malaise der Kieler ist hausgemacht und beruht weniger auf dem plötzlichen Erstarken der Konkurrenz. Zurzeit jedenfalls scheint es, als sei der Meister mehr mit sich selbst als mit den Gegnern beschäftigt. Vor allem der frühere Nationalspieler Mike Bezdicek avancierte zum Zankapfel an der Kieler Förde. Noch im Oktober hatte der THW den Defensiv-Künstler vom Liga-Konkurrenten GWD Minden ausgeliehen. Bezdicek sollte den verletzten Klaus-Dieter Petersen ersetzen. Viel Freude bereitete der Mann seinem neuen Klub jedoch nicht. Vor einer Woche wurde Bezdicek zunächst suspendiert, wenige Tage später flatterte ihm die fristlose Kündigung ins Haus. Der Hintergrund: Bezdicek soll als Mitgesellschafter der Spielervermittlungs-Agentur Elite versucht haben, seine Teamkollegen Axel Geerken und Nenad Perunicic bei anderen Vereinen unterzubringen. Der Abwehrrecke als Maulwurf einer Agentur: Das ist ein schwerer Vorwurf, doch Uwe Schwenker glaubt, Beweise zu haben. "Diese Vorgänge können wir durch eidesstattliche Versicherungen mehrerer Zeugen belegen." Derweil setzte sich der Beschuldigte gegen seine Kündigung zur Wehr und schaltete den prominenten Sportanwalt und ehemaligen Präsidenten von Borussia Dortmund, Reinhard Rauball, ein. In einer flugs verteilten Presseerklärung ließ der Jurist mitteilen, dass sein Mandant sämtliche Anschuldigungen zurückweise. "Der Vorwurf der versuchten oder vollendeten Spielerabwerbung ist absurd", heißt es in der Verlautbarung. Jetzt muss das Amtsgericht in Kiel entscheiden, ob die Demission Bezdiceks wirklich rechtens war.

Egal wie dieses Verfahren ausgehen mag, Bezdiceks Ruf in der Szene dürfte vorerst gehörig ramponiert sein. Der Ligaausschuss-Vorsitzende Heinz Jacobsen kündigte sogar weitere Konsequenzen an, falls sich die Doppeltätigkeit des Spielers beweisen lasse: "Dann werden wir uns den Fall noch einmal genau angucken." Möglicherweise, so der Liga-Chef, drohe Bezdicek ein Bußgeld oder eine Sperre. Doch auch die bisher tadellose Reputation des THW Kiel hat zuletzt ein wenig gelitten. "Es ist schon ärgerlich, dass wir wegen eines Spielers dauernd in die Schlagzeilen geraten", grummelte Schwenker, nicht ohne gleich hinzuzufügen, "dass unser Verein nach wie vor ein absolut seriös geführter Klub ist". Trotz derlei Unbill muss sich die Mannschaft auf das sportliche Geschehen konzentrieren. Obgleich es für die Kieler auf nationaler Ebene wohl keine Trophäen mehr zu ergattern gibt, reifen an der Ostsee noch zarte Titel-Träume. Denn in der Champions League ist das Team weiterhin aussichtsreich vertreten. Bisher jedoch scheiterte der THW meist knapp in der Königsklasse des europäischen Handballs. Zumindest das hat der Klub noch mit dem FC Bayern München gemein.

Matthias Anbuhl

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