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Alfred Gislason steht mit Kiel unter Druck.

© picture alliance / dpa

THW-Kiel-Trainer Alfred Gislason: „Es wäre hilfreich, wenn wir in Berlin gewinnen“

Am Sonntag empfangen die Füchse Berlin den Deutschen Meister. Kiels Trainer Alfred Gislason spricht über das Spiel, sein Temperament und internationale Konkurrenz.

Herr Gislason, Sie sind einer der renommiertesten und erfolgreichsten Handball-Trainer der Welt, einer, dem man anmerkt, dass er seinen Sport liebt. Gibt es auch etwas, das Sie an Ihrem Beruf hassen?

An meinem Beruf nicht, ich verdiene Geld mit dem, was mir Spaß macht, was mir schon als Junge und junger Mann Spaß gemacht hat. Aber die Antwort wird Sie jetzt nicht überraschen: Ich hasse es natürlich zu verlieren, daran hat sich über die Jahre nichts geändert.

Früher sollen Sie Ihre Spieler nach schlechten Spielen auch mal beleidigt haben…

(Lacht) Diese Geschichte verfolgt mich. Ja, ich bin schon mal ausfallend geworden, aber das passiert mir heute nicht mehr. Oder sagen wir: ganz selten. Ich gehe nach verlorenen Spielen nicht mehr direkt in die Kabine und lasse den Frust raus, sondern mache die Analyse mit der Mannschaft meistens erst am nächsten Tag. Das hilft mir und den Spielern.

Sind das erste Anzeichen von Altersmilde?

Kann man so sehen, vielleicht. Aber im Grunde habe ich mich über die Jahre kaum verändert, ich bin nicht – wie man so oft sagt – ruhiger geworden oder entspannter. Sobald das Spiel begonnen hat, bin ich im Tunnel, in meinem Element. Dann gibt es nur Handball.

Ihr Auftreten an der Seitenlinie ist legendär, daran hätte jeder Psychologe seine Freude.

Mir ist klar, dass das so aussieht, als ob da ein Verrückter herumläuft, einer, der nicht ganz gesund ist. Aber auch das werde ich nicht mehr abstellen können. Ich glaube, dass diese Emotionalität eine meiner großen Stärken ist, daraus ziehe ich auch Kraft. Ich verstelle mich nicht an der Seitenlinie, ich bin einfach authentisch und mit dem Herzen dabei. Das erwarte ich ja auch von meinen Spielern.

Wenn Sie Niederlagen so sehr hassen, muss Ihnen die Bundesliga-Saison bisher sehr schwer gefallen sein. Vor dem Spitzenspiel am Sonntag (17.15 Uhr/live auf Sport1) bei den Füchsen Berlin hat der THW Kiel bereits sechs Minuspunkte auf dem Konto. Ist die Meisterschaft schon entschieden?

Nein. Im letzten Jahr waren die Fragen ähnlich, als wir zu Saisonbeginn zwei Mal verloren hatten – und trotzdem haben wir noch den Titel geholt. In dieser Saison hatten wir bisher nur ein richtig schlechtes Spiel, das war in Göppingen. Die anderen beiden Niederlagen in Flensburg und bei den Rhein-Neckar Löwen können passieren, das sind Spitzenmannschaften. Aber für unsere Chancen wäre es schon hilfreich, wenn wir bis zur Winterpause keinen Punkt mehr abgeben, also auch in Berlin gewinnen würden.

Der Wechsel ihres langjährigen Kapitäns Filip Jicha zum FC Barcelona war im Sommer ein großes Thema. Wie sehr fehlt Ihnen Ihr bester Spieler der letzten Jahre?

Sie sagen es ja: Filip war mein verlängerter Arm auf dem Spielfeld, ein sehr kompletter Spieler. Aber jetzt ist er weg, und andere Spieler müssen die Lücke schließen. Das ist ein Prozess, und dafür brauchen wir Zeit. Ich bin aber überzeugt von den Leuten, die in meinem Kader stehen, da sind viele Führungsspieler bei.

Alfred Gislason, 56, trainiert seit 2008 den THW Kiel. Der Isländer holte sechs Mal die Meisterschaft und zwei Mal die Champions League.
Alfred Gislason, 56, trainiert seit 2008 den THW Kiel. Der Isländer holte sechs Mal die Meisterschaft und zwei Mal die Champions League.

© AFP

Genau das war eine der großen Stärken des THW: dass der Erfolg bleibt, wenn wichtige Spieler den Verein verlassen haben.

Schauen Sie sich nur mal den Kader an, der vor zweieinhalb Jahren das Triple gewonnen und die Bundesliga-Saison mit 68:0 Punkten beendet hat: Davon sind nur noch zwei Spieler da. Das war damals die weltbeste Mannschaft, und glauben Sie mir, ganz freiwillig haben wir sie nicht ausgetauscht. Trotzdem haben wir es geschafft, das Niveau ungefähr zu halten – obwohl wir im internationalen Vergleich finanziell nicht mehr mithalten können mit den ganz großen Klubs.

Sie sprechen die internationale Entwicklung an. Viele Klubs haben Mäzene gewonnen, für die Geld eine untergeordnete Rolle spielt. Was bedeutet das für den THW?

Es gibt viele Faktoren, die es uns erschweren, Jahr für Jahr um den Champions-League-Titel mitzuspielen. Die besagten Klubs bieten Summen und Gehälter, bei denen wir nicht mithalten können, wenn wir unsere Kartenpreise nicht verfünffachen wollen. Auch die Bundesliga hilft uns nicht gerade. Wir haben uns zum Beispiel dafür eingesetzt, dass 16 statt der üblichen 14 Spieler auf dem Spielprotokoll stehen, um die Belastung zu verteilen und junge Leute heranzuführen. Aber da gehen die anderen Klubs nicht mit.

Sie haben einmal gesagt, dass der Meistertitel im Grunde jedes Jahr Pflicht in Kiel ist. Wie reagiert das Umfeld darauf, dass es im Moment nicht so gut läuft?

Erst mal: Wir haben keine Krise, höchstens einen Umbruch. Und wie die Leute reagieren? Das kann ich nicht einschätzen. Ich habe kein Facebook und kein Twitter, und was in Internetforen steht, interessiert mich nicht. Mein Eindruck ist aber, dass die Fans in der Halle honorieren, dass wir uns diesen Umbruch zutrauen. Sicher, manche hätten sich nach dem Wechsel von Filip Jicha einen anderen Welthandballer gewünscht, Mikkel Hansen zum Beispiel. Aber das können wir nicht verantworten, weil wir keine Geldgeber aus Katar haben. Wir sind ein gesunder Verein, und das wollen wir auch bleiben.

Sie selbst haben Ihren Vertrag vor der Saison bis 2019 verlängert. Denken Sie schon manchmal ans Karriereende?

Manchmal? Ich habe schon vor zehn Jahren gesagt, dass ich mit 60 Jahren ein anderes Leben führen möchte, dass ich nicht mehr jeden dritten Tag ein Spiel haben muss. Das habe ich auch meiner Frau versprochen. Und deshalb habe ich bis 2019 verlängert, dann werde ich 60.

Und Ihre Frau kann sich darauf verlassen?

(Lacht) Gute Frage. Ich habe ihr 1997 versprochen, dass ich mich maximal zwei Jahre als Trainer ausprobieren möchte – einfach um zu sehen, ob ich das kann. Dann haben die Bundesligisten reihenweise angerufen, und heute haben wir 2015, und ich bin immer noch Trainer. Vielleicht haben die Leute in Kiel in ein paar Jahren auch einfach die Nase voll von mir, dann stellt sich die Frage nicht mehr.

Können Sie das denn wirklich? Ein Leben ganz ohne Sport?

Ganz ehrlich: Ich glaube nicht. Aber ich werde es auf jeden Fall versuchen. Wenn wir nicht gerade wieder eine Riesenmannschaft in Kiel zusammen haben… Halt, das habe ich natürlich nicht gesagt.

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