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Sport: Tiefschlag auf der Waage

Vor dem WM-Kampf hat Michalczewskis Box-Gegner Harmon Probleme mit dem Gewicht

Hamburg. Die Talente des Dariusz Michalczewski sind recht übersichtlich verteilt. Sie beschränken sich vor allem auf seine beiden Fäuste, mit denen der Pole mit dem deutschen Pass noch jeden verprügelt hat, der ihm zu nahe kam, und das waren immerhin 47 Boxer. 24 davon kämpften gegen ihn um den Weltmeistertitel im Halbschwergewicht nach Version der WBO. Am Samstag stellt sich Boxer Nummer 48, der US-Amerikaner Derrick Harmon.

Schon einen Tag vor dem Kampf bekam Gegner Nummer 48 Probleme. Denn Harmon hatte überraschend Übergewicht. 79,378 Kilogramm sind im Halbschwergewicht erlaubt, Harmon wog zwei Kilo mehr, obwohl er am Ende vollkommen nackt auf der Waage stand. Ein Helfer spannte ein Handtuch vor ihm, um zu freizügige Fotos zu verhindern. Also musste der 33-Jährige die nächsten Stunden bis zum Nachwiegen in der Sauna verbringen. Der Schweiß lief in Strömen, aber es ging nicht anders. Schließlich hatte er das geforderte Gewicht erreicht.

Der Kampf war nicht in Gefahr

Doch selbst wenn er trotz Sauna noch zu schwer gewesen wäre, hätte das nicht den Super-Gau, die Kampfabsage, bedeutet. Hier geht es schließlich um Millionen. Um Millionen Dollar bei den Börsen (Michalczewski erhält rund zwei Millionen Dollar) und Millionen Zuschauer am Fernseher. Das ZDF überträgt live (ab 22 Uhr), und eine Kampfabsage, nur weil einer ein paar Gramm Übergewicht am Körper trägt, das ist schlicht nicht vorstellbar. Deshalb sind mehrere Sicherungssysteme ins Reglement eingebaut. Hätte Harmon gestern Abend immer noch Übergewicht gehabt – kein Problem. Der nächste Wiegetermin wäre Samstagvormittag gewesen. Zu diesem Nach-Wiegetermin hätte Michalczewskis Manager zwar zustimmen müssen, aber das wäre klar gewesen. Und, wer weiß, wenn Harmon dann sensationell immer noch mehr als 79,378 kg gewogen hätte, dann hätte irgendein Funktionär eine WBO-Regel entdeckt, die leichtes Übergewicht erlaubt. Schließlich sind mehr als zwei Millionen TV-Zuschauer zu erwarten. Und beim Profiboxen ist vieles möglich.

Bevor Harmon zur Schwitzkur musste, hatte sein Gegner Michalczewski noch die üblichen rhetorischen Seitenhiebe gegen Sven Ottke, den Weltmeister der WBO-Konkurrenzverbände WBC und IBF, ausgeteilt: „Ottke ist ein netter kleiner Junge. Er sieht nicht gut aus, redet dummes Zeug und isst für zehn Mark in der Kantine. Er kann nur ins Gespräch kommen, wenn er sagt: Ich haue den Tiger um.“

Zu gerne würde das Publikum sehen, wer da wen umhaut. Doch wie jahrelang bei Henry Maske oder Roy Jones jr. werden auch zu diesem längst fälligen Showdown leider nur Sprüche geklopft. Schattenboxen. Phantasiekämpfe. Wie eh und je. Denn in den USA ist ein Michalczewski-Kampf kein großer Fight, für einen US-Sportsender wie HBO ist ein Duell mit dem Polen schlicht uninteressant. Michalczewskis letztes Hurra heißt Rocky Marciano. Der „Tiger“ will dessen Rekord brechen und in die Weltgeschichte des Boxens eingehen. Das würde er schaffen, wenn er in 50 Kämpfen unbesiegt bliebe. „50 Siege, das wäre die Krönung.“ Die Ringlegende Rocky Marciano trat 1956 nach 49 nur siegreichen Kämpfen als Weltmeister im Schwergewicht ungeschlagen zurück. Michalczewski ist als WBO-Weltmeister im Halbschwergewicht von der neuen Höchstmarke 50 nur noch drei Siege entfernt. Sieg Nummer 48 soll heute in der mit 15000 Zuschauern ausverkauften Hamburger Color Line Arena her. Die Bilanz von Gegner Harmon, dem Rechtsausleger aus Las Vegas: 26 Kämpfe, 23 Siege, 11 durch K.o., drei Niederlagen. Rechtsausleger sind bei der Hamburger Universum Boxpromotion seit Wladimir Klitschkos Demütigung durch Corrie Sanders ein Horror. Auch Michalczewskis letzter Gegner Richard Hall war so ein „verkehrt“ stehender Linkshänder. Nach seinem 47. Sieg hatte Michalczewski furchtbar ausgesehen – so viele Schläge hatte er bis zum K.o.-Erfolg in der 10. Runde eingesteckt. Die Narben sind noch heute gerötet.

„Ich werde reifer und besser“

Ist der 34-Jährige also ein alternder, müder Tiger? „Ich werde nicht älter, ich werde reifer und besser“, behauptet Michalczewski trotzig, weiß aber, „dass ich mich gegen Harmon sehr anstrengen muss.“ Obwohl er sich doch längst als ein Großer fühlt. Auch ohne Vereinigungskampf gegen Roy Jones jr. Dieses Thema hat sich mit dem Aufstieg des dreimaligen Gegenweltmeisters auf einen Schwergewichtsthron erledigt. Und Sven Ottke drängt es wegen des Gewichtsunterschieds nicht zum Prestigeduell. „Pillepalle. Der Kampf wird nie zu Stande kommen“, sagt der Supermittelgewichtler. Michalczewski wird stattdessen noch dreimal auf die Halls und die Harmons losgelassen. Er muss nur aufpassen, dass ihn vor Marcianos Rekord keiner umhaut.

Hartmut Scherzer

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