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Tischtennis: Eine Menge Schlägertypen

Timo Boll gewinnt in Berlin zum dritten Mal die German Open - doch alle reden nur über manipuliertes Material

Berlin - Auch mit der falschen Hand kann Timo Boll einen Punkt machen, selbst gegen einen Weltklassespieler. Als Chuan Chih-Yuan aus Taiwan ihm den Ball im Finale der German Open schon beinahe unerreichbar in die Ecke gespielt hatte, wechselte Europameister Boll seinen Schläger von der linken in die rechte Hand, traf, nahm dann noch einmal seine linke – und erzielte den Punkt. Sein Gegner musste grinsen. In dieser Form war Boll nicht zu besiegen, er gewann zum dritten Mal die German Open.

Boll war im Velodrom ein besiegter Sieger. Er hatte schließlich schon am Tag zuvor im Achtelfinale gegen den Rumänen Adrian Crisan verloren. Enttäuscht fuhr er zurück ins Hotel, packte seine Sachen, checkte aus. Dann wurde er zurückgerufen. Denn inzwischen war Crisan disqualifiziert worden: Die Gummibeläge seines Schlägers waren zu dick.

Als Boll im Viertelfinale weiterspielte, fingen im Velodrom einige Zuschauer zu pfeifen an, wohl aus Unverständnis über diesen kampflosen Sieg. Das Wirrwarr konnten jedoch nicht einmal die Veranstalter einen Tag später entflechten. „Es ist unglücklich gelaufen“, sagte Thomas Weikert, der Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes, „dieser Fall wird nie ganz aufgeklärt werden.“

Pfiffe im Velodrom

Crisans Schläger war nicht regelkonform. Das stand schon vor dem Spiel fest. Doch die Schiedsrichter erklärten ihm, dass er damit spielen könne. Angeblich meinten sie aber einen anderen Schläger, den sich Crisan schnell von einem Mannschaftskollegen geliehen hatte. Boll war über die ganze Angelegenheit verärgert, auch über die Pfiffe der Zuschauer. „Ich konnte nichts dafür. Die hatten alle Dreck am Stecken, ich nicht“, sagte er.

Die Probleme, die andere Sportarten mit Doping haben, halst sich Tischtennis mit den Schlägern auf. Das Halbfinale des Mannschaftswettbewerbs der Herren zwischen Deutschland und Spanien war ohne das letzte Spiel zu Ende gegangen, weil sich der Spanier Alfredo Carneros geweigert hatte, mit einem anderen Schläger zu spielen. Seinen hatten die Schiedsrichter für unzulässig erklärt, der Schlägerbelag sei uneben. Solche Probleme häufen sich. Nach vielen Anläufen hat der Weltverband das so genannte Frischkleben verboten. Bei diesem Verfahren wird der Belag erst kurz vor dem Spiel auf das Holz geklebt. Die Lösungsmittel des Klebers blähen den Belag auf, setzen ihn unter Spannung. Der Katapulteffekt ist größer. Doch die Lösungsmittel sind giftig.

Die Spieler behelfen sich nun anders, sie „tunen“ oder „boostern“, behandeln die Beläge etwa mit Babyöl, um sie schneller zu machen. Jegliche Nachbehandlung der Beläge ist zwar verboten, aber nachzuweisen ist das nur schwer. Messgeräte können die Gifte nicht genau anzeigen, die aus dem Schläger kommen. Dass etwa der Schläger des Rumänen Crisan zu dick war, könnte ein Hinweis auf verbotene Mittel gewesen sein – muss es aber nicht. „Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Der Weltverband muss schnell Klarheit schaffen“, sagte Dirk Schimmelpfennig, der Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bundes.

Die Spieler misstrauen sich gegenseitig

Derzeit nutzen viele Spieler die Kontrolllücken aus. Noch komplizierter wird es, weil einige Firmen ihre besten Vertragsspieler mit vorbehandelten Belägen ausrüsten. Das Misstrauen ist groß. „Ich kann schon am Sound erkennen, ob mit dem Schläger etwas gemacht wurde. Aber es gibt zum Glück Spieler, die ihre Schläger nicht tunen. Ich habe mich auch von Anfang an dagegen entschieden“, sagte Boll. In die Klemme wie Crisan wäre er auch nicht so leicht gekommen, Boll hatte drei Schläger nach Berlin mitgenommen. „Es müsste stichprobenartige Laboruntersuchungen geben“, fordert Boll, „vielleicht müsste man einen Spieler zur Abschreckung mal ein halbes Jahr sperren.“

Die Aufregung um erlaubte und verbotene Schläger hat manche Ergebnisse bei diesen German Open in den Hintergrund gedrängt. Etwa, dass die deutschen Spieler noch drei zweite Plätze erreichten, durch Wu Jiaduo im Dameneinzel und durch das Damen- und das Herrenteam.

Die Materialdiskussion verfolgte Boll auch außerhalb der Halle. Am Samstagabend wies ihm der Kellner in einem Restaurant am Potsdamer Platz den letzten freien Tisch zu. „Für Sie ist immer ein Tisch frei“, sagte er, „aber was war denn eigentlich heute mit dem Schläger los?“

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