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Boll und Co. wollen Gold: Die deutschen Tischtennis-Asse um Timo Boll stehen erneut im WM-Finale.

© dapd

Tischtennis-WM: Deutschland fordert China heraus

Die Deutschen erreichen bei der Tischtennis-WM das Finale. Dort wollen sie den Abstand auf die übermächtigen Chinesen verringern.

Es wird ein Wahlsonntag im Tischtennis, an dem die Opposition wieder die Machthaber herausfordert. Schon lange versucht sie selbst ganz nach oben zu kommen, aber es klappt einfach nicht. Im Verhältnis zur Tischtennis-Großmacht China mit seinen Millionen von Spielern, seinen hunderten von Sportschulen und seiner jahrzehntelanger Erfahrung, ist die deutsche Nationalmannschaft nur eine Splitterpartei. Doch jetzt entscheiden die Spitzenkandidaten, und davon hat Deutschland inzwischen sogar zwei. Wang Hao, der Einzel-Weltmeister von 2009, erklärt: „Früher gab es nur Timo Boll. Jetzt haben sie auch noch Dimitrij Ovtcharov, sie sind schwerer auszurechnen.“ Das sagt auch der Richtige. Wang Hao hatte im November erstmals gegen Ovtcharov verloren. Ein klitzekleiner Aufstand. Der soll sich nun an diesem Sonntag auswachsen im Endspiel der Mannschafts-Weltmeisterschaft in Dortmund.

Die Vorwahlen haben die Deutschen ziemlich klar für sich entschieden, mit einem 3:1 im Halbfinale gegen Japan vor 11 000 Zuschauern in der ausverkauften Westfalenhalle. Es war ein Spiel mit Vorgeschichte. Schon bei Olympia 2008 hatte die deutsche Mannschaft gegen Japan ein denkwürdiges Spiel bestritten und sich mit einem knappen 3:2 die Silbermedaille gesichert. Was die deutschen Spieler diesmal von sich erwarteten, hatten sie vor der WM mit dem Deutschen Tischtennis-Bund ausgehandelt. Für die Bronzemedaille forderten sie keine Prämie, erst fürs Erreichen des Endspiels. Das entspricht ihrem Selbstverständnis. Erst kommt im Welttischtennis China. Dann eine kleine Lücke. Und dann folgt Deutschland.

Das erste Einzel gegen Japan sollte schon eine Vorentscheidung bringen, Dimtrij Ovtcharov gegen Jun Mizutani, der Weltranglistenzehnte gegen den Weltranglistenachten. Bei einem internationalen Turnier hatte Ovtcharov noch nie gegen Mizutani gewinnen können. Der Japaner gilt als kleines Genie, er ist vielleicht der Spieler mit dem weltweit besten Ballgefühl, er füllt die Ballwechsel mit Ideen, nur fehlt ihm noch die Schlaghärte. Über die verfügt dafür Ovtcharov, mit seinen festen Topspins, Vorhand wie Rückhand, trieb er Mizutani vom Tisch weg. 11:7 gewann er den ersten Satz, im zweiten wurde es enger. Ovtcharov brachte seine andere große Stärke ein, seinen unbedingten Siegeswillen. Nichts schien ihn aus seinem Konzentrationstunnel herauslocken zu können, auch nicht drei vergebene Satzbälle, er entschied den Satz 15:13 für sich. Im dritten ließ Ovtcharov vier Matchbälle ungenutzt, ehe er den Punkt zum 13:11 machte und damit das Spiel gewann. „Ein Break“, jubelte der Hallensprecher.

Aus dieser Ausgangsposition machte Timo Boll eine beruhigende 2:0-Führung. Sein Gegner Koki Niwa ist erst 17 Jahre alt, fast zart sieht er aus. Wie groß seine Begabung ist, hat er jedoch schon mit dem Gewinn des Jugend-Weltmeistertitels gezeigt. Im ersten Aufeinandertreffen der beiden siegte Boll nun souverän 3:0. „Normalerweise schaue ich mir vor einem Spiel nie Videos von meinen Gegnern an, diesmal habe ich eine Ausnahme gemacht“, sagte Boll, „Koki ist ein kleiner Wirbelwind, ihm steht eine große Zukunft bevor.“

Patrick Baum hätte im dritten Spiel gegen Seiya Kishikawa alles entscheiden können, doch er unterlag 1:3 und gab damit das erste Einzel der deutschen Mannschaft überhaupt bei dieser WM ab. Das führte noch einmal die Spitzenspieler beider Teams zusammen, Boll und Mizutani. Boll holte sich Satz eins, und schnappte Mizutani nach 3:7-Rückstand mit großer kämpferischer Leistung auch den zweiten mit 11:8 weg. Der dritte war wieder hart umkämpft, Boll nutzte seinen zweiten Matchball zum Sieg. Ein Freudensprung, einmal durch die Haare von Ovtcharov gewuschelt, dann verschwand Boll im jubelnden Kreis seiner Mitspieler.

Das erwünschte Finale zwischen Deutschland und China steht also (13.30 Uhr im WDR-Fernsehen). Chinas Cheftrainer Liu Guoliang hat erklärt: „Nie war eine deutsche Mannschaft besser.“ Das kann er aber auch über sein Team sagen, seine fünf Spieler belegen die ersten vier Plätze und Platz sieben der Weltrangliste. Und trotzdem wollen sie immer noch weiter lernen. Wenn Liu Guoliang, selbst 1996 Olympiasieger im Einzel, in der Satzpause oder in einer Auszeit Hinweise gibt, stehen auch die anderen Spieler auf und hören zu. Der Gelehrte spricht. Nur keine Vorlesung verpassen. Die Schweden waren im WM-Finale 2000 die bisher Letzten, die China besiegen konnten.

Wie groß die Chancen diesmal sind? Timo Boll hob eine Augenbraue und sagte „50:50, es ist ja noch nichts gespielt“. Es sind auf jeden Fall einige Dinge anders als bei der WM 2004 und 2010 sowie bei Olympia 2008, als die Deutschen im Endspiel jeweils verloren hatten. „Wir sind gieriger“, sagte Boll, „ich stand schon so oft im Endspiel gegen China, das reicht mir einfach nicht mehr.“ Dass auch Ovtcharov mittlerweile gegen die besten Chinesen gewinnen kann, macht die Deutschen selbstbewusster, genau wie der Heimvorteil. Schon gegen Japan erfüllten die 11 000 Zuschauer die Halle mit adrenalinsteigerndem Jubel. Und Boll glaubt, dass die Unterstützung kaum Grenzen kennt: „Fast die ganze Welt hofft, dass wir dieses Spiel gewinnen.“

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