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Glücklich bis über beide Ohren: Werner Schlager jubelt mit seiner neuen Trophäe nach seinem WM-Sieg 2003 im Pariser Palais Omnisports.

© dpa

Tischtennis-WM: Verliebt gewinnt

Vor zehn Jahren wurde Werner Schlager in Paris als letzter Nicht-Chinese Tischtennis-Weltmeister. Bei der diesjährigen WM in Paris hat kaum ein Europäer eine Chance, Schlagers Kunststück zu wiederholen.

Als es am emotionalsten wird, der Jubel von 13.000 Zuschauern um ihn herum am lautesten, gönnt sich Werner Schlagers Gehirn eine Arbeitspause. Wie er seinen Tischtennisschläger fallen lässt, wie er sich zu seinen Betreuern umdreht und von ihnen fast erdrückt wird, diese Momente nach dem verwandelten Matchball zeichnet sein Gedächtnis nicht auf. „Ich weiß es erst, seitdem ich es mir auf Video angeschaut habe.“

Über diese Momente soll der 40 Jahre alte Österreicher in diesen Tagen aber noch mal alles erzählen. Sie sind ein besonderes Stück Tischtennis-Geschichte. Vor zehn Jahren gewann Schlager in Paris den Weltmeistertitel. Eine Rebellion gegen die Tischtennis-Übermacht China. So viel Aufmüpfigkeit haben sich die Chinesen seitdem nicht mehr bieten lassen und alle WM-Titel und olympischen Goldmedaillen an sich gerissen. An diesem Montag beginnt wieder eine Einzelweltmeisterschaft, wieder in Paris, aber Schlager sagt: „Der Vorsprung der Chinesen war noch nie so groß wie heute.“

Warum Schlager die Chinesen vor zehn Jahren trotzdem besiegen konnte und warum sie jetzt wieder so dominant sind, das erzählt viel darüber, wie Tischtennis eigentlich funktioniert. Es ist ein technisches Spiel mit vielen Rotationsvarianten, mit komplexen Bewegungen, fein abgestimmter Beinarbeit, doch den Unterschied zwischen einem Weltmeister und einem Vizeweltmeister macht der Kopf. Schlagers Kopf war vor zehn Jahren gar nicht so viel beim Tischtennis. „Ich war verliebt. Meine Gedanken haben sich vor allem darum gedreht, wann ich meine Freundin wiedersehe, wann wir Zeit zusammen verbringen können.“

Schlagers Freundin, mit der er heute einen Sohn und eine Tochter hat, begleitete ihn 2003 zum ersten Mal zu einem großen Turnier, und während seine Kollegen in der Trainingshalle einen Ball nach dem anderen übers Netz schlugen oder abends die Spiele des Tages analysierten, zog er mit ihr durch Paris. „Ich konnte unheimlich gelöst spielen, weil ich nie daran gedacht habe, welche negativen Konsequenzen ein Spiel für mich haben könnte.“

Auch nicht, als er im Viertelfinale gegen den amtierenden Einzelweltmeister Wang Liqin 2:3 nach Sätzen und 6:10 nach Punkten zurücklag. Vier Matchbälle musste er abwehren. Das gelang ihm, auch weil er wie kaum ein anderer begreift, dass Tischtennis ein Abwägen von Chance und Risiko ist, dass es darauf ankommt, dem Gegner immer den Ball anzubieten, mit dem er am wenigsten rechnet. Bei 7:10 spielte Schlager einen langen Aufschlag. Eine Einladung eigentlich, Wang Liqin schlägt seinen Gegnern solche langen Aufschläge gewöhnlich um die Ohren. Aber eben nicht in diesem Moment. Schlager hatte seinen Gegner richtig gelesen, seine Körperspannung, sein Konzentrationsniveau.

Schlager verschwand in einem Konzentrationstunnel

Gelöst vom Gewinnenmüssen verschwand er in seinen Spielen tief in einem Konzentrationstunnel und tauchte erst kurz nach dem verwandelten Matchball im Finale wieder auf, auch deshalb erinnert er sich nicht mehr an alles. Ganz anderes erging es 2003 Timo Boll. Als Weltranglistenerster war er nach Paris gefahren, in der zweiten Runde scheiterte er an einem Chinesen aus der zweiten Reihe. Schlagers Verliebtsein und Bolls Erwartungsdruck entschieden diese WM mit.

Seit Schlagers Titel hat sich etwas verändert. „Bis 2003 mussten die Chinesen spielerisch doppelt so gut sein, um zu gewinnen, weil sie im Kopf nicht so stark waren. Nach 2003 haben sie begonnen, Mentalcoaching ernst zu nehmen“, sagt Schlager. Wie genau das chinesische Mentaltraining aussieht, das weiß auch Schlager nicht. Er kennt auch nur die Gerüchte, dass die Chinesen ihren Partnern im Training Masken mit den Gesichtern ihrer wichtigsten Gegner aufsetzen. „Was sie genau machen, verraten sie uns nicht.“

Für den Rest der Welt hat das keine guten Folgen. Die Chinesen lassen keinen Titel mehr liegen. „Aus eigener Kraft schaffen wir es nicht, den Rückstand aufzuholen“, sagt Schlager. Bei dieser WM spielt er noch einmal mit, aber inzwischen verbringt er mehr Zeit mit dem Management seiner Tischtennis-Akademie in Schwechat bei Wien als mit dem Training. Seine Akademie gilt neben Düsseldorf als bestes Trainingszentrum Europas. Auch die Universität Schanghai hat die Akademie schon inspiziert, weil die Chinesen nach einem Ort suchen, wo ihre Trainer den Europäern einen Teil ihres enormen Wissens vermitteln können.

Mittlerweile sind die Chinesen schließlich selbst in Sorge darüber, wie sie ihr Lieblingsspiel wieder spannender machen können. „Sie wissen, dass sie etwas tun müssen, aber sie haben keine Erfahrung darin und fürchten, etwas falsch zu machen“, sagt Schlager. Von der Universität Schanghai hat er seit zwei Jahren nichts mehr gehört.

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