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Tokio, wie es lacht und feiert. Über Fukushima wird in Japans Hauptstadt nach dem Olympia-Zuschlag nicht mehr so viel geredet.

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Tokio 2020: Zu kurz gestrahlt

Tokio richtet die Olympischen Spiele 2020 als Symbol der Wiederauferstehung Japans aus – doch die Katastrophengebiete profitieren kaum davon.

Vor knapp 50 Jahren präsentierte sich Japan als eine Nation, mit der wieder zu rechnen war. Im Zweiten Weltkrieg war das Land fast völlig zerstört worden: Bis auf das altkaiserliche Kyoto hatten die USA jede Großstadt durch Luftangriffe oder die Atombombe in Schutt und Asche verwandelt. Der Eindruck der Welt von Japan war seither geprägt gewesen durch Bilder der Verwüstung nach der Bombe über Hiroshima oder Vogelperspektiven auf das nahezu völlig zerstörte Tokio. Die Sommerspiele 1964 brachten eine Wende.

Durch neue Satellitentechnologie waren erstmals interkontinentale Fernsehübertragungen möglich. Die Welt sah so nicht nur, wie der Äthiopier Abebe Bikila als erster Marathonläufer seine Goldmedaille verteidigte und auch noch einen unglaublichen Weltrekord von 2:12:11 Stunden scheinbar mühelos aufstellte. Die für alle Länder produzierten Bilder von Japans öffentlichem Rundfunk NHK zeigten auch fortschrittliche Infrastruktur: ein dichtes Nahverkehrssystem, der gerade eingeweihte Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen, der hochmoderne Flughafen Tokio-Haneda, schicke Hotels. Dieses Japan war keines, das noch an der Tragik der Vergangenheit hing.

So soll es 2020 wieder werden. „Diese Entscheidung wird Japan viel Hoffnung geben“, sagte der glückliche Premierminister Shinzo Abe am vergangenen Samstag direkt nach der Abstimmung durch das Internationale Olympische Komitee, die Japan das Austragungsrecht für die Sommerspiele 2020 verliehen hat. Ein bisschen wie schon 1964 wird Japan auch dann von sich zeigen wollen, dass es wie Phönix aus der Asche wieder da ist.

Dass Tokio erneut Olympia austragen darf, ist auch der Tränendrüse zu verdanken. Man warb mit der Wiederauferstehung Japans. Dabei werden die beschädigten Gebiete in Tohoku kaum profitieren.

Vor zweieinhalb Jahren wurde das Land von einer dreifachen Katastrophe ereilt: Einem Erdbeben folgten ein Tsunami und eine bis heute andauernde atomare Reaktorkatastrophe. 20.000 Menschen sind gestorben, 300.000 mussten ihre evakuierte Heimat verlassen. Die Situation um die drei havarierten Reaktoren in Fukushima ist nicht unter Kontrolle, niemand weiß, was an Hiobsbotschaften noch kommt. Eine Party wie die Olympischen Spiele, dann neun Jahre nach dem Unglück, kommt da als willkommene Gelegenheit, wieder mit der Vergangenheit abzuschließen. Dies ist es, was Shinzo Abe letztes Wochenende mit Hoffnung meinte. Der Chef des Tokioter Bewerbungskomitees, Tsunekazu Takeda, teilt Abes Auffassung: „Wir wollen die Olympischen Spiele 2020 zum Symbol der japanischen Wiederauferstehung machen.“

Domo arigato. Nach dem Zuschlag als Ausrichter der Sommerspiele in sieben Jahren bekunden die Tokioter ihre Dankbarkeit mit einer Choreographie.
Domo arigato. Nach dem Zuschlag als Ausrichter der Sommerspiele in sieben Jahren bekunden die Tokioter ihre Dankbarkeit mit einer Choreographie.

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Nur: Was wird wiederauferstehen? Kaum etwas deutet bisher darauf hin, dass sich für die Menschen in Fukushima oder den umliegenden Präfekturen, deren Leben auf den Kopf gestellt worden sind, etwas ändert. Die Dekontaminierungsarbeiten sind allerorten im Verzug. Die Trümmer, die das Erdbeben und der Tsunami hinterließen, sind größtenteils weggeräumt. Doch von Wiederaufbau ist man weit entfernt. Und in Fukushima ist bislang nicht einmal das Ausmaß der nuklearen Katastrophe bekannt. Es sind diese Regionen im Nordosten Japans, für die etwa die Austragung olympischer Wettkämpfe ein Anlass für einen umfassenderen Wiederaufbau wären.

Tokio 2020: Nördlich von Fukushima sollen immerhin Vorrundenspiele im Fußball stattfinden

Aber Tokio 2020 warb immerzu damit, dass 85 Prozent der Wettkämpfe in einem Acht-Kilometer-Radius um das olympische Dorf stattfinden werden. In der teilweise durch den Tsunami zerstörten Präfektur Miyagi, nördlich von Fukushima, sollen immerhin Vorrundenspiele im Fußball stattfinden. Doch hat sich die Region infrastrukturell ohnehin vergleichsweise gut erholt. In Fukushima ist nichts olympisches geplant.

Was die radioaktiv verstrahlten Gebiete angeht, fuhr das Tokioter Komitee trotz aller Versprechen des Wiederaufbaus eine andere Strategie: „In Tokio geht das Leben völlig normal weiter“ , sagte Bewerbungskomitteechef Takeda mehrmals. Auch Premierminister Abe sagte, die Hauptstadt sei nicht durch Strahlung gefährdet. Tokio sei also mit etwa 240 Kilometern weit genug von Fukushima entfernt, sodass den Besuchern im Jahr 2020 nichts zustoßen werde. Von der Strahlenruine distanziert man sich also entschieden.

Kein Wunder, dass sich Menschen wie Katsunobu Sakurai, Bürgermeister des teilweise evakuierten Dorfs Minamisoma in Fukushima, von der Idee Tokio 2020 nicht begeistern ließen: „Wir sind noch immer inmitten eines nuklearen Desasters. Ich kann jetzt nicht denken ,Lass uns die Spiele veranstalten’, während viele Menschen nicht zurück nach Hause können“, sagte er vor einiger Zeit.

In den zerstörten oder verstrahlten Regionen ist die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement groß. Es ist möglich, dass sich dies nun ändern wird, da die Welt mit der Aussicht der Spiele 2020 verstärkt auf Japan schauen wird, aber keineswegs garantiert. Bisher gibt es keine Anzeichen für Veränderung. Denn selbst das Segeln, ein olympischer Wettbewerb, der gewöhnlich etwas weiter entfernt vom Epizentrum der Spiele ausgetragen wird, steigt nicht im Norden, sondern in der Bucht Tokios.

Die Spiele 1964 wurden an einem tragischen Jahrestag eröffnet. Am 6. August, damals genau 19 Jahre nach dem Fall der Atombombe über Hiroshima, steckte der 19-jährige Überlebende Yoshinori Sakai das olympische Feuer an. Die Welt verstand: Japan ist wieder da. Damit die Botschaft 2020 dieselbe wird, könnte entsprechende Symbolik helfen. Aber das ist schon terminlich schwierig. Die Katastrophe von 2011 jährt sich am 11. März. Im Sommer käme der 7. August in Frage: jener Tag, an dem Japans Regierung nach zweieinhalb Jahren endlich einfiel, sie sollte sich am Krisenmanagement um die havarierten Reaktoren beteiligen.

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