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Toni Kroos, 21, steht unter Genieverdacht, seitdem er 16 ist. Heute prägt der gebürtige Mecklenburger die Spielstile des FC Bayern und der Nationalmannschaft.

© AFP

Interview mit Toni Kroos: „So gut, dass dich kein Trainer stoppen kann“

Toni Kroos spricht über sein Verhältnis zu den Trainern Löw und Heynckes, den Konkurrenzdruck im Nationalteam und das Risiko, von dem eine Offensive lebt.

Herr Kroos, wer schätzt Ihre Qualitäten mehr, Ihr Vereinstrainer Jupp Heynckes oder Bundestrainer Joachim Löw?

Darauf wollen Sie jetzt keine Antwort haben, oder? Sonst sollten Sie besser die beiden Trainer befragen.

Aber Sie werden doch ein Gefühl haben.

Wenn man immer wieder spielt, bei den Bayern genauso wie im Nationalteam, wird es wohl so sein, dass mich beide schätzen. Nach einer nicht ganz so guten Saison läuft es jetzt richtig gut. Es ging mir nicht darum, irgendwas zu beweisen, aber mir war klar, dass ich noch ein Stück Leistung draufpacken musste. Ich glaube, dass mir das in der Nationalmannschaft nach der WM sehr gut gelungen ist.

Seitdem ist Ihr Stellenwert auf jeden Fall deutlich gestiegen.

Den Stellenwert hat man ja nicht von selbst, man kriegt ihn auch nicht geschenkt. Den muss man sich erarbeiten.

Bei den Bayern hängt Ihr aktueller Erfolg eng mit Jupp Heynckes zusammen. Warum ist er so wichtig für Sie?

Weil ich weiß, welchen Fußball er spielen will, wie er arbeitet und was er verlangt. Ich kannte ihn ja schon aus Leverkusen. Das war vielleicht ein kleiner Vorteil. Und Jupp Heynckes weiß, wie er mich zu nehmen hat: wann ich ein Lob und wann den berühmten Tritt in den Hintern brauche. Aber über allem steht das Vertrauen, das er mir schenkt. Natürlich muss ich zuerst einmal gut spielen, aber man geht anders auf den Platz, wenn man dieses Vertrauen spürt. Das ist bei Jupp Heynckes der Fall. Da hat man nicht das Gefühl, dass man nach einem nicht so guten Spiel gleich wieder aus der Mannschaft genommen wird. Es besteht eine Art Grundvertrauen.

War das von Beginn an so?

Nicht dass Sie das falsch verstehen. Jupp Heynckes hat nicht zu mir gesagt: Du kannst machen, was du willst, du spielst immer. Zuerst kommt die Arbeit. Und er hat mir gesagt, woran ich arbeiten muss. Aber du musst auch einen Bezug zu deinem Trainer haben. Wenn das so ist, muss man sich nicht täglich austauschen, dann reichen auch Blicke. Aber wenn Trainer und Spieler wenig kommunizieren, man fast schon links liegen gelassen wird, ist es schwierig, immer alles zu geben. Da denkt man schnell, man kann ja machen, was man will, es bringt eh nichts.

Haben Sie diesen Bezug auch zu Joachim Löw von Anfang an gehabt?

In der Nationalmannschaft ist es etwas anders. Da sieht man sich nicht täglich, der Austausch ist nicht so intensiv. Aber ich hatte von Beginn an ein gutes Gefühl. Seit meinem ersten Länderspiel im März 2010 gegen Argentinien bin ich immer eingeladen worden. Der Bundestrainer hat mich seitdem kein einziges Mal weggelassen. Das zeigt mir, dass er meine Art zu spielen mag, dass sie in sein Konzept passt.

Lesen Sie auf Seite 2, was der Kern von Toni Kroos' Spiel ist.

Speist sich daraus die Gelassenheit und Ruhe, mit der Sie spielen?

Meine Spielweise ändert sich dadurch nicht, aber vielleicht wird das Auftreten insgesamt sicherer.

Aber führt es nicht dazu, dass man mutiger wird; dass man das, was beim ersten Mal nicht klappt, noch ein zweites Mal probiert?

Das habe ich eigentlich immer getan. Das Spiel in der Offensive lebt auch vom Risiko. Wenn man das weglässt, dann, ja, was soll ich jetzt sagen …

… wird man austauschbar …

… ja, irgendwie schon. Es wäre auf jeden Fall nicht gut.

Inwiefern schenken Sie mit Ihrem Spiel auch Ihren Mitspielern Vertrauen?

Es gehört zu meinem Spiel, andere in Szene zu setzen, eine gewisse Sicherheit auszustrahlen. Wenn sich das auf andere überträgt, ist das positiv. Aber ich habe sowohl in der Nationalelf als auch bei den Bayern Mitspieler, die selbst eine gewisse Qualität haben und darauf nicht so sehr angewiesen sind. Aber es ist schon gut, möglichst viele Spieler auf dem Platz zu haben, die ruhig und sicher agieren können.

Für Löw ist das immens wichtig. Für ihn kommen technische Begabung und Jugend eindeutig vor Routine und Erfahrung.

Das wichtigste Kriterium ist und bleibt die fußballerische Qualität. Der Bundestrainer will ja, dass wir Fußball spielen. Er will, dass wir agieren statt reagieren, er will Tempo statt Verwaltung. Dazu gibt es keine Alternative mehr.

Können Sie Ihr Spiel selbst auch genießen?

Wenn es in einer Mannschaft läuft, genießt man eher, das ist doch klar. Ich freue mich richtig auf die Spiele mit den Bayern und der Nationalmannschaft. Das ist ein gutes Gefühl, wenn man nicht bloß irgendwie gewinnen will, sondern auch noch ganz guten Fußball zu bieten hat.

Was macht Ihr Spiel im Kern aus?

Ich beurteile mich selbst nur ungern. Aber es ist wohl so, dass ich für eine gewisse Präzision stehe, dass ich mit meinen Pässen Tore vorbereiten, aber auch selbst mit einem guten Schuss treffen kann und dass ich ziemlich gelassen in ein Spiel gehe. Mir kann nicht viel passieren, wenn ich meine Leistung abrufe.

Woher nehmen Sie diese Gelassenheit?

Jeder vertraut doch seinen individuellen Fähigkeiten. Ich glaube, dass ich technisch so begabt bin, dass ich sicher und schnell handeln kann.

Kann man Handlungsschnelligkeit lernen?

Nein, die kann man nicht trainieren! Das war natürlich ein Spaß. Jeder Bundesligist übt das, durch Positionsspiele auf engem Raum zum Beispiel. Man hat heute im Spiel immer weniger Raum und Zeit zum Handeln. Es ist voll von Momenten, in denen man rasch denken und rasch spielen muss. Bestimmte Spieler sind dafür prädestinierter als andere. Ich hatte bisher nur Trainer, die sehr viel Wert auf die Schulung dieser Fähigkeiten gelegt haben.

In der Nationalelf ist die Konkurrenz inzwischen gerade im Mittelfeld extrem groß. Wo sehen Sie sich selbst?

Wir haben wirklich sehr gute Fußballer im zentralen Mittelfeld. Aber grundsätzlich schaue ich mehr auf mich als auf andere Spieler. Seit der WM habe ich eigentlich alle Spiele bestritten, der Bundestrainer hat mich immer aufgestellt, und ich habe sein Vertrauen mit guten Leistungen auch immer gerechtfertigt. Wenn ich die Leistungen bestätigen kann, muss ich mir keine großen Sorgen machen. Ich weiß, was der Bundestrainer von mir sehen will, und ich weiß, wo er mich sieht.

Ihre Vielseitigkeit war für Sie oft ein Problem: weil Sie zwar schnell in die Mannschaft gekommen sind, wenn Not am Mann war, aber auch ebenso schnell den Platz wieder räumen mussten.

In der vergangenen Saison bei den Bayern war es schon so, wie Sie sagen. Da habe ich mal links gespielt, mal rechts, mal auf der Zehn, und in der Rückrunde im defensiven Mittelfeld. Der Vorteil war, dass ich viele Spiele gemacht habe. Allerdings kann man sich besser einspielen, wenn man eine feste Position hat. In dieser Saison ist es so: Im Verein spiele ich auf der Zehn, in der Nationalmannschaft die Position zwischen der Zehn und der Sechs.

Was Kroos zum Thema Stammplatz sagt, können Sie auf der nächsten Seite lesen.

Und gerade jetzt schafft Joachim Löw das Prinzip Stammplatz ab.

Was heißt schon Stammplatz? Der Bundestrainer hat inzwischen so ein großes Angebot an großartigen Spielern, dass es schwer ist, in die Mannschaft zu kommen. Aber wenn ich meine Leistung bestätige, werde ich schon spielen. Ob das dann Stammspieler heißt, spielt keine Rolle.

Joachim Löw hat extra für Sie eine neue Position geschaffen: den Zwischenspieler.

Das ist keine neue Position, das ist nur ein neuer Begriff, den der Bundestrainer benutzt. Es ist die Position zwischen der Zehn und der Sechs, also eigentlich die Acht. Aber wenn Sie so wollen, ist auch der klassische Spielmacher, der Zehner, ein Zwischenspieler. Genauso wie der Sechser. Letztlich müssen heute alle Mittelfeldspieler sich Räume suchen, wo sie nicht gedeckt oder zugestellt sind, und die findet man nur zwischen den Linien. Da muss man sich bewegen, um etwas anzustellen.

Wie viele Lösungen haben Sie im Kopf, wenn Sie am Ball sind?

Theoretisch reicht eine, die beste.

Aber man sollte für alle Fälle schon noch eine zweite Idee haben, oder?

Das Wichtigste sind nicht die Ideen. Wichtiger ist, dass man sich orientiert, bevor man angespielt wird. Sonst reicht die Zeit nicht mehr. Wenn Sie erst überlegen, was Sie machen, wenn Sie am Ball sind, ist es schon vorbei. Ich muss sehen, wo die Gegenspieler sind. Ist einer direkt hinter mir, oder habe ich Zeit, mich noch zu drehen? Wenn er eng an mir dran ist, muss ich wissen, wo ich den Ball hinspielen kann, möglichst direkt. Wenn ich drei oder vier Kontakte brauche, kommt entweder der Ballverlust oder ein Foul. Der Fluss ist dahin. Das Spiel wird langsam und gefahrlos.

Ist Handlungsschnelligkeit wichtiger als die physische Schnelligkeit?

Ja, natürlich, gerade in der Offensive, bei begrenztem Raum und begrenzter Zeit. Da bringt einem die normale Schnelligkeit wenig, weil man ja nicht einfach mit dem Ball loslaufen kann. Man muss schnell und geschickt handeln.

Sie galten schon als Teenager als famoses Talent. Gab es in Ihrer Karriere Phasen, in denen Sie sich darauf ausgeruht haben?

Nein, nie. Ich war immer bereit, mich weiterzuentwickeln, und ich wusste immer, dass ich einen weiten Weg vor mir habe.

Haben Sie sich nicht manchmal übergangen gefühlt, nachdem Sie schon mit 17 Jahren bei den Bayern debütiert und Ihnen alle eine glänzende Karriere vorausgesagt hatten?

Klar gab es mal eine Phase, in der es nicht so lief. Aber das konnte und musste man eigentlich auch erwarten. Mit 17 oder 18 kann es nicht immer nur steil nach oben gehen, gerade nicht bei einem Verein wie dem FC Bayern. Ich sehe diese Phase nicht als Rückschritt an. Das gehört einfach dazu. Man muss an seine Qualität glauben. Das habe ich immer getan.

Und man muss Trainer haben, die daran glauben.

Das auch. Manchmal passt es vielleicht nicht so. Unter Jürgen Klinsmann war es für mich etwas schwieriger. Aber ich habe mir immer gesagt: Jürgen Klinsmann wird nicht mein letzter Trainer sein. Mit Jupp Heynckes in Leverkusen hat es dann wieder gepasst. Doch das allein ist es nicht. Ich habe mir gesagt: Du musst so gut werden, dass dich kein Trainer stoppen kann.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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