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Sport: Total unlocker

Warum so viele Favoriten an der Psyche scheitern

Jeder Schlag eine Demonstration. Oberkörper vor, die Beine gegen das Brett stemmen, Skulls durchziehen, auspendeln. Elegant und schnell glitt das Boot übers Wasser. Im Ziel reckte Marcel Hacker seine Fäuste in die Höhe, aber eher so, als würde er lässig winken. Der Ruderer hatte zuvor souverän das Einer-Finale gewonnen. Nur eine Kleinigkeit störte diese Demonstration: Es war das B-Finale. Der Endlauf, der keinen interessiert.

Ins A-Finale hatte es der Vizeweltmeister von 2002 nicht geschafft. Im Halbfinale, als es darauf ankam, musste er sich mit Platz drei begnügen. „Mein Kopf hat nicht mitgemacht. Ich war fest wie Beton“, hatte er nach dem Rennen gesagt. Bei vielen hat der Kopf nicht mitgemacht. Astrid Kumbernuss, dreimalige Weltmeisterin im Kugelstoßen: ausgeschieden im Vorkampf. Hannah Stockbauer, fünfmalige Weltmeisterin im Schwimmen: gestern zum zweiten Mal vorzeitig gescheitert. Franziska van Almsick: nur Fünfte über 200 m Freistil.

Warum glänzen Athleten bei Weltmeisterschaften und versagen bei Olympia? „Weil Olympische Spiele etwas ganz anderes sind“, sagt Petra Dallmann, Staffel- Weltmeisterin und -Europameisterin im Schwimmen. „Der Druck ist viel größer. Du spürst eine ganz andere Aufmerksamkeit.“ Zu Hause, in Heidelberg, gibt sie ab und zu der Lokalzeitung ein Interview. „Hier hatte ich fünf Zeitungs- und zwei Fernsehinterviews. Und dann melden sich auch noch die Leute von zu Hause.“

Aber das ist der äußere Druck. Er verstärkt nur den inneren. „Du hast in die Olympischen Spiele so viel investiert, da denkst du einfach, jetzt will ich auch eine Belohnung dafür.“ Dallmann hat ihr Medizinstudium für Athen unterbrochen. „Ich habe so viele Partys um Mitternacht verlassen, auf so vieles verzichtet, ich habe mich so sehr auf jedes Training konzentriert, da möchtest du einfach eine Gegenleistung.“ Dann droht die Verkrampfung.

Antje Buschschulte, Weltmeisterin über 100 m Rücken, hat ihr Biologiestudium für Athen ausgesetzt, im Finale über ihre Spezialstrecke schlug sie als Sechste an. Astrid Kumbernuss hat wegen einer Verletzung eine Nottechnik gelernt, um im antiken Olympiastadion stoßen zu können. Die Kugel plumpste nach 17,89 m in den Sand. Marcel Hacker hatte sich auf der Themse und auf dem unruhigen Rotsee auf die Wellen der Ruderstrecke vorbereitet. In Athen ließ er sich zudem von seinem Trainer Andreas Maul bekochen, um nichts Falsches zu essen.

Schachmatt setzte er sich dann selbst. Je mehr er seine Träume überhöhte, desto verkrampfter wurde er. „Hier kannst du dich unsterblich fahren“, sagte er. Es hörte sich an, als würden bei einem Olympiasieg in Deutschland plötzlich Hacker-Denkmäler errichtet. Wenn Hacker schon so denkt, muss der Druck bei wirklich prominenten Stars noch viel schlimmer sein. „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie groß die Belastung für Franziska van Almsick oder Hannah Stockbauer ist“, sagt Petra Dallmann.

Oder bei anderen Stars. Melanie Marshall, Weltjahresbeste aus Großbritannien über 200 m Freistil, kam nicht einmal ins Finale. Lisbeth Lenton, Weltrekordlerin über 100 m Freistil, überstand das Halbfinale nicht. Lenton ist Australierin. In Australien ist Schwimmen Volkssport, der Druck entsprechend. „Ich habe immer gesagt, hier gewinnt der, der im Kopf am lockersten ist“, sagt Marcel Hacker. Er war total locker. Nur am falschen Tag.

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