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Marcel Kittel, 26, gewann vergangenes Jahr vier Etappen bei der Tour de France. In dieser Saison gelangen dem Thüringer zwei Tagessiege beim Giro d’Italia.

© dpa/picture alliance

Tour de France 2014: Kittel: „Der Radsport hat zu viel Mist gemacht“

Heute startet die 101. Tour de France. Wir sprachen mit dem deutschen Rennfahrer Marcel Kittel über seinen Start, ein Anti-Doping-Gesetz gegen Hintermänner und einen Sport, für den sich heute kaum noch jemand zu interessieren scheint.

Herr Kittel, Sie haben Anfang Mai beim Giro d’Italia die ersten beiden Etappen im Sprint gewonnen – und mussten danach mit Fieber aufgeben. Was ging da in Ihnen vor?
Dass ich aufgeben musste, war schon eine Enttäuschung. Vor allem, weil auch danach viele schöne Gelegenheiten für einen Sieg gekommen wären. Aber ich hatte Fieber, mir blieb da nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren.

Im Januar wurden Sie bei Deutschlands größter Publikumswahl zur „Sport1“ des Jahres 2013 gekürt. Sie bekamen knapp 30 Prozent der Stimmen. Das waren mehr als Sebastian Vettel und Philipp Lahm auf den Plätzen zwei und drei. Ein erstaunlicher Erfolg für einen Radprofi in Deutschland.
Ich habe mich sehr darüber gefreut und bin stolz auf diese Auszeichnung. Ich denke diese Wahl war auch wichtig für die Reputation unseres Sportes, vor allem, weil ja in den vergangenen Jahren so viel kaputt gegangen ist.

Erfolge wie ihre bei der Tour de France hätten in den Neunzigerjahren einen medialen Hype ausgelöst – und mutmaßlich einen „Brennpunkt“ nach der Tagesschau. Heute kann man nicht mal mehr das Rennen in den öffentlich-rechtlichen Programmen sehen.
Ich bin einfach zu jung, um die Zeiten in Relation setzen zu können. Das ist wohl auch besser so, dann muss ich mich nicht aufregen. Für mich zählt das Hier und Jetzt und dass der Radsport aus meiner Sicht auf einem guten Weg ist. Und als Athlet kann ich ja auch nicht dauernd die Medien bitten, zu berichten. Ich kann nur meine Leistung bringen.

Aber wünschen Sie sich nicht manchmal etwas mehr Aufmerksamkeit?
Wünschen kann man sich vieles – und es war in der Tat komisch, als ich nach dem Sieg beim Tourstart 2013 auf Korsika im Gelben Trikot Interviews im belgischen und holländischen Fernsehen geben durfte und aus Deutschland kam nichts. Aber es gibt ja auch Gründe, warum der Radsport hierzulande dort steht, wo er steht. Das muss man auch mal klar sagen.

Der Grund ist das Dopingproblem. Sie fordern nun offensiv ein Anti-Doping-Gesetz. Reicht das Sportrecht denn nicht?
Nein, Doping ist Betrug und sollte schärfer geahndet werden als mit einer Sperre. Mir ist vor allem wichtig, dass man endlich an die Hintermänner und Händler herankommt. Die sollten dafür ins Gefängnis, denn ohne die gäbe es die meisten Probleme nicht.

Sie treten vehement gegen Doping ein – müssen aber davon ausgehen, dass Ihnen in Deutschland nicht jeder abnimmt, selbst sauber zu sein. Ist das nicht frustrierend?
Kann man es den Leuten verübeln? Ich denke, der Radsport hat zu viel Mist gemacht. Hinter uns liegt ein verlorenes Jahrzehnt. Wir können nur versuchen, klar zu machen, dass wir uns von dieser Seite abgrenzen wollen und sauber fahren. Wir werben um Vertrauen, mehr können wir nicht tun. Aber zeigen Sie mir eine Sportart, in der Doping so offen diskutiert wird. Ich denke, da sind wir vorbildlich.

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Sie sprechen beim Anti-Doping-Kampf immer von „wir“?
Ich bin ja nicht der einzige, der so denkt. Mit „wir“ meine ich die vielen jungen Fahrer, die wie ich der Meinung sind, dass es auch ohne Doping geht. Und das sind mittlerweile viele.

Sie müssen als deutscher Spitzenprofi im niederländischen Team Giant-Shimano fahren, weil es keine heimische Top-Mannschaft mehr gibt.
Ich fahre gerne für mein Team, aber generell ist das natürlich schade. Ich habe aber die Hoffnung, dass wir irgendwann wieder ein deutsches Spitzenteam haben werden. Auf Dauer brauchen wir das auch, um den Nachwuchs zu motivieren. Und die Basis dafür ist da – wie man ja auch an meiner Wahl sehen konnte. Ich denke, wenn wir auf unserem Weg weiter gehen und erfolgreich bleiben, wird sich auch wieder mal ein großer Sponsor für ein deutsches Pro-Tour-Team finden. Das Know How ist jedenfalls vorhanden und das Interesse der Fans auch.

Und was zeichnet Sie als Sprinter aus?
Das Auge für die Situation, die Endschnelligkeit auf den letzten 300 Metern und mittlerweile auch eine gewisse Erfahrung. Generell kann ich sehr hohe Wattzahlen relativ lange halten, wobei das natürlich auch nur mit einer guten Mannschaft funktioniert. Und die habe ich zum Glück. Und ich denke, man muss Lust haben auf die Geschwindigkeit und das Risiko, mit Tempo 70 Richtung Ziellinie zu rasen, ausblenden können.

Man sagt, Sie können 1900 Watt treten?
Das stimmt, aber die Zahl ist natürlich relativ. Ein André Greipel oder ein Marc Cavendish sind leichter als ich, die brauchen weniger Watt für die gleiche Geschwindigkeit. Und die 1900 Watt funktionieren natürlich auch nicht live im Sprint, sondern nur auf dem Ergometer und ohne vorher 200 Kilometer Rennen gefahren zu sein.

Was sagt das Material dazu?
Meistens nichts, aber ich habe natürlich auch schon mal im Sprint Ketten abgerissen oder Lenker aus dem Vorbau gebrochen. Das kommt schon mal vor.

Im März haben Sie nach einem Sturz wegen eines gebrochenen Lenkers ihr Rad voller Zorn auf den Asphalt geknallt. Das hat jemand gefilmt und auf YouTube veröffentlicht. Tags darauf haben Sie sich via Twitter und mit Rosen bei Ihrem Renner entschuldigt. Spielen Sie gern mit den Medien?
Mir tat das tatsächlich leid. Ich hatte in dem Moment so eine Wut, weil ich das Finale verpasst hatte, da kam es dann zu der Kurzschluss-Reaktion. Ich weiß nicht, ob ich ein Medientyp bin, aber ich hatte eben die Idee mit den Blumen, weil man als Profi doch so etwas wie eine Beziehung zu seinem Rad hat. Bei der alten Lady ist übrigens nichts kaputt gegangen, ich fahre das Rad heute noch.

Heute startet die Tour de France 2014 – streben Sie wieder wie 2013 vier Siege an?
Nein, zumindest nicht als Ziel. Das wäre zu hoch gegriffen. Ich will eine Etappe gewinnen, dann wäre die Tour ein Erfolg für mich. Wenn das gleich zu Beginn klappen könnte wie vor einem Jahr wäre das natürlich wunderbar, aber dazu bräuchten ich und die Mannschaft einen perfekten Tag. Wir haben uns die beiden ersten Etappen in England angeschaut, die sind superschwer. Wenn ich da vorne mit ankommen will, muss ich schon sehr gut drauf sein.

Das Gespräch führte Jürgen Löhle.

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