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Sport: Tour de France: Das Ende der Freundschaft - Lance Armstrong zieht Marco Pantani die Ohren lang

Rivalen der Tour werden oft Freunde auf der Landstraße. Die Leiden, wenn sie Seite an Seite die Gipfel erstürmen, verbinden zur Schweißgemeinschaft.

Rivalen der Tour werden oft Freunde auf der Landstraße. Die Leiden, wenn sie Seite an Seite die Gipfel erstürmen, verbinden zur Schweißgemeinschaft. Die Männerfreundschaft zwischen Lance Armstrong und Marco Pantani aber ist in den Alpen zerbrochen.

Nach seinem Husarenritt hinauf zur Skistation Courchevel hatte der König der Berge im italienischen Fernsehsender RAI genüsslich gehöhnt: "Dem arroganten Amerikaner habe ich es heute gezeigt." Anlass für Hohn und Häme: Pantani wollte sich nicht nachsagen lassen, Armstrong habe ihm den Sieg am Mont Ventoux geschenkt. In seiner Ehre zutiefst gekränkt, verkündete der Italiener: "Es war ein regulärer Sprint. Wenn Lance das nicht glaubt, umso trauriger für ihn."

Dies und andere abfällige Äußerungen Pantanis kommen natürlich auch Armstrong zu Ohren. Die Pressekonferenz am Ruhetag in Courchevel war für den Führenden in der Gesamtwertung willkommener Anlass, "Elefantino", wie der Texaner den Italiener fortan nur noch nennen will, ordentlich die Ohren lang zu ziehen. In aller Öffentlichkeit kündigte der Tour-Sieger 1999 dem Tour-Sieger 1998 die Freundschaft. "Bedauerlicher Weise zeigt Elefantino jetzt sein wahres Gesicht." Offen und direkt, wie es seine für die Tour so untypische amerikanische Art ist, tat der "Leader" im Gelben Trikot seine Enttäuschung kund: "Ich mochte Marco und hatte großen Respekt vor ihm. Er ist ein großer Champion, ein großer Fahrer, ein großer Kletterer. Aber er war nicht der beste Mann am Mont Ventoux. Jeder, der das Rennen gesehen hat, weiß das." Armstrong bereut die gute Tat gegenüber dem Italien. Er habe jetzt begriffen, dass am Mont Ventoux der Stärkste gewinnen sollte. "Als ich ihm den Sieg überließ, war ich der Meinung, ich würde das Richtige tun. Die klassische Geste. Er hatte gekämpft, war zurückgefallen und immer wieder herangekommen. Es war ein Geschenk. Und es war ein Fehler, dieses Geschenk zu machen. Seine Erklärungen in den letzten Tagen sind eine große Enttäuschung für mich."

Die Geste, für die nur Undank der Lohn war, reiht Armstrong möglicherweise in die Liste der Toursieger (nach dem Krieg) ohne Etappensieg ein, in die Gesellschaft seines Landsmannes Greg Lemond (1990), Lucien Aimnars (1966), Gastone Nencinis (1960) und Roger Walkowiaks (1956). "Pantani ist hier, um Etappen zu gewinnen. Ich bin hier, um die Tour zu gewinnen - und sei es mit einer Sekunde Vorsprung", belehrt Armstrong immer wieder amerikanische Journalisten. Der verschenkte Sieg und die Reaktionen Pantanis aber hätten in ihm den Wunsch geweckt, doch noch bei dieser Tour eine Etappe zu gewinnen.

Von Jan Ullrich hat der Amerikaner indes eine hohe Meinung. Er, Armstrong, sei zwar überrascht über den großen Vorsprung. "Aber das ändert nicht meinen Respekt vor ihm. Ullrich ist immer noch ein großer Champion. Ich erkläre ihn auch jetzt noch zum größten Talent des Radsports. Er hat jede Menge Klasse. Und er ist ein Gentleman im Rennen - anders als die Person, über die wir die ganze Zeit geredet haben. Ich mag Jan." Da bahnt sich eine neue Männerfreundschaft an.

Hartmut Scherzer

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