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Tour de France: Nicht alle tanzen nach Lance Armstrongs Pfeife

Der Rückkehrer wird in Frankreich überall respektiert und hofiert. Außer in seinem eigenen Team.

Lance Armstrong fährt als Biathlet zur Tour de France. Biathlon hat hierzulande einen guten Ruf. Nicht ganz zu Recht, wenn man an die immer wieder aufflackernden Gerüchte über Biathleten im Wartezimmer der Wiener Blutspendeklinik Humanplasma denkt. Trotz dieser Zweifel nimmt Biathlon in der öffentlichen Wahrnehmung aber weiterhin einen ethisch höheren Stellenwert als der Radsport ein. Paradox ist, dass ausgerechnet Lance Armstrong sich via Twitter nun als neuer Biathlet vorstellt.

Mit „ich trete und tippe“ beantwortete er jedenfalls die Frage, wie er bei der harten Tourvorbereitung denn noch Zeit für seine tägliche digitale Kommunikation finde. „Ich bin ein Biathlet“, sagte er. Die gesamte Radsportwelt wundert sich, wie der vorher eher geheimniskrämerische Ehrgeizling es schafft, beinahe im Stundentakt Einblick in sein Alltagsleben zu gewähren. Er berichtet von seinen Erkundungsritten für die Tour. Durch die stets mitlaufende Kamera seiner Krebsstiftung Livestrong ist das Training sogar zu einer Variante von „Big Brother“ geworden. Warum Armstrong dies tut, hat für seinen langjährigen Begleiter Wjatscheslaw Jekimow nur einen Grund: „Er braucht diese ganze Publicity nicht für sich selbst. Er macht das alles für die Stiftung. Er will die Aufmerksamkeit auf diese Krankheit richten, die jeden treffen kann. Dafür öffnet er sich“, sagt der fünffache Toursieg-Helfer und aktuelle sportliche Leiter bei Armstrongs Team Astana. Armstrongs neue Offenheit ist also eine simple PR-Strategie. Unter der neuen Hülle steckt sportlich und charakterlich aber der alte Kerl, meint jedenfalls Jekimow. „Er hat den Kopf, das Herz und die Beine von früher. Seine Motivation hat sich sogar verdoppelt“, sagt Jekimow per Telefon. Sportlich traut er seinem alten Kapitän noch immer eine Menge zu. „Mit dem Alter lässt zwar die Reaktionsschnelligkeit nach. Aber die Widerstandsfähigkeit nimmt zu.“

Der 43-jährige Jekimow hat eine eigene Philosophie über das Lebensalter. „Es gibt das biologische und das Reisepass-Alter. Lance ist definitiv jünger als 38 Jahre,“ die er im September wird. „Ich würde ihn zwischen 30 und 33 schätzen. Das ist ein gutes Alter für Rundfahrten.” Von der physischen Performance des Amerikaners sind einige alte Kämpen schwer beeindruckt. Ex-Weltmeister Paolo Bettini lobte die Bergfahrqualitäten beim Giro d’Italia. Toursieger Carlos Sastre zollt ihm Respekt. „Wenn es darauf ankommt, wird Armstrong immer da sein“, sagt der Spanier. Girosieger Denis Mentschow fürchtet sich vor der „schier unerschöpflichen Erfahrung“ des zurückgekommenen Tour-Patrons.

Weil Armstrongs Leistung in den Augen der Kollegen stimmt, nimmt er in der Hierarchie die alte Position ein. Sein Wort hat Gesetzeskraft. Bei der Italienrundfahrt im Mai war das zu spüren. Einer seiner wenigen Kritiker im Fahrerlager, der damalige Italienische Meister Filippo Simeoni, wurde von der eigenen Landesrundfahrt ausgeschlossen. Einen üblen Beigeschmack hatte auch der Verzicht auf den Frankreich-Ausflug des Giro. Armstrong focht zu dieser Zeit eine Fehde mit der französischen Antidopingagentur AFLD über einen verzögerten Dopingtest aus.

Die Sache ist jetzt beigelegt. Armstrong darf in Frankreich starten. Und der Tour-Organisator ASO hat einige Machtverschiebungen im eigenen Gefüge unternommen, um dem Amerikaner die Rückkehr zu erleichtern. Der sanfte Doping-Kritiker Patrice Clercq ist als ASO-Präsident abgelöst. Der Doping-Rechercheur des hauseigenen Sportblattes „L’Équipe“, Damien Ressiot, wurde aus der vordersten Linie zurückgezogen. Ressiot fand heraus, dass bei Nachtests der Dopingproben von 1999 Epo-Spuren in den Röhrchen von Armstrong nachgewiesen worden waren. Weil dies aber kein offizieller Nachtest, sondern nur eine Analyse zu Forschungszwecken war, kann der engagierte AFLD-Präsident Pierre Bordry Armstrong lediglich zu einer Zustimmung zu Nachtests auffordern. Mit Hinweis auf das Antidoping-Reglement verweigert der Amerikaner dies jedoch.

Bis auf Bordry liegt das ganze offizielle Frankreich ihm nun zu Füßen. Sogar der Sportminister Bernard Laporte, der wegen des schlechten Images dem Kokainsünder Tom Boonen Frankreichverbot erteilte und bei dem eine ähnliche Positionierung in Sachen Armstrong zumindest nicht auszuschließen war, ist vom Amte entfernt worden. Armstrongs einzige Baustelle ist ausgerechnet sein Astana-Team. Überraschenderweise konnte er die Nominierung seines Helfers Chris Horner nicht durchsetzen. Stattdessen wurde ein Intimus des Teamkapitäns Alberto Contador, Sergio Paulinho (belastet übrigens im Fuentes-Skandal) berufen. Der Kasache Dmitri Murawjow war von den Sponsoren durchgesetzt worden. Nur im eigenen Hause ist der Boss nicht mehr der Boss. Mal sehen, wann die anderen dies auch bemerken.

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