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Gelbes Wunder. Der Franzose Thomas Voeckler rettet die Führung bei der Tour de France Tag für Tag ins Ziel.

© AFP

Tour de France: Zweifel am Gelben Trikot

Der Franzose Thomas Voeckler begeistert das Heimatland der Tour de France im Gelben Trikot, seine Leistungen aber sind äußerst verdächtig.

Einst erzählte sich ganz Radsportfrankreich die Geschichte vom „Peloton der zwei Geschwindigkeiten“. Die besagte, dass die einheimischen Rennfahrer, die der ausländischen Konkurrenz hinterherfuhren, ganz sicher sauber seien, was man von den Amerikanern Armstrong und Landis und dem Spanier Contador nicht unbedingt behaupten könne. Seit Volksheld Thomas Voeckler wieder im Gelben Trikot fährt und nicht wie einst 2004 im Gebirge Tag für Tag Minuten auf Lance Armstrong verliert, sondern nur Sekunden auf Contador, läuft diese Geschichte nicht mehr. Und jeder fragt sich angesichts des parallelen Pedaltritts von Voeckler und den anderen großen sechs des Jahres 2011 (Contador, die Gebrüder Schleck, Evans, Basso, Sanchez), wer sich da wem auf welche Weise angenähert hat.

Thomas Voeckler macht es sich bei der Beantwortung dieser Frage einfach. „Ich bin in der Form meines Lebens“, sagt der gebürtige Elsässer. Er bestreitet gerade die beste Saison seiner Karriere. Vor seiner Tour-Performance gewann er zwei Etappen bei Paris–Nizza, holte eine Bergetappe beim Giro del Trentino und wurde 10. bei der Tourgeneralprobe, der Dauphiné. Der einstige Allrounder mit dem gewissen Extrakick durch Schlauheit und Willenskraft wurde binnen weniger Monate zum Kletterer. Das ist zu gut, um allein mit der „besten Form meines Lebens“ erklärt zu werden. Voecklers Rennstallchef Jean-René Bernaudeau versucht den Begründungsnotstand mit einem Scherz aufzulösen. „Die einzigen Hormone, die Voeckler kennt, sind die Endorphine, die das Gelbe Trikot ausschüttet“, sagte er „L’Équipe“.

Für Antoine Vayer, einen Sportwissenschaftler aus Nordfrankreich, der einst das übel beleumundete Festina-Team betreute und nach dem mit diesem Namen fest verknüpften Dopingskandal des Jahres 1998 zu einem Antidoping-Aktivisten wurde, beginnt das „absolut sicher dopingfreie Peloton“ ab Position elf. Den Rang hat der einstige Mountainbiker Jean-Christophe Peraud inne. „Peraud bleibt innerhalb seiner physiologischen Grenzen. Doping ist, wenn man seine Limits überschreitet“, sagte Vayer dem Tagesspiegel. Als eine solche physiologische Grenze des gesunden und trainierten Körpers hat Vayer die Leistung von 410 Watt bei einem mindestens 20 Kilometer langen Aufstieg innerhalb einer fünf Stunden andauernden Etappe des Straßenradsports ausgemacht. Das entspricht ungefähr einer Sauerstoffaufnahme im Blut von 85 ml/min/kg. „Das ist die Grenze“, sagt Vayer. Und aufgrund dieser Berechnungen hat sich in der Vergangenheit auch der dreifache Toursieger Greg LeMond festgelegt und Klettereien bei über 410 Watt als „einfaches Doping“, bei mehr als 430 Watt als „Wunder-Doping“ und bei Überschreiten der 450 Wattmarke als „Mutanten-Doping“ bezeichnet.

Beim Aufstieg in Luz-Ardiden lieferten Lance Armstrong und Jan Ullrich im Jahre 2003 452 und 442 Watt ab, Miguel Indurain lag 1994 bei 420 Watt. In L’Alpe d’Huez erreichte 1995 Marco Pantani galaktische 470 Watt, während Armstrong neun Jahre später mit 455 Watt siegte. Die Einordnung in die dreigeteilte Dopingklassifikation kann jeder selbst vornehmen.

L’Alpe d’Huez steht am Freitag auf dem Tourprogramm. Vayer wird auf die Uhr gucken, die Steigung aus dem Tourbuch ablesen, Informationen über Wind und Witterung einholen und dann die Leistung berechnen. „Mehr als 410 Watt bei diesem Aufstieg ist Doping“, sagt Vayer klipp und klar. Den Anstieg zu Luz-Ardiden, den die Tourfahrer vergangene Woche schon bewältigten, hat Vayer bereits unter die Lupe genommen. Die Gruppe um Thomas Voeckler wandte dabei 417 Watt auf, die sich von ihm noch ein wenig lösenden Schlecks, Contador, Evans und Basso zwischen 425 und 435 Watt. Etappensieger Samuel Sanchez war noch ein wenig leistungsstärker.

Weil weder der Weltverband UCI noch die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada die Leistungsanalytik Vayers zum Maßstab einer Antidopingpolitik machen wollen – das französische Sportministerium ließ eine erst angefragte Expertise des Sportwissenschaftlers in den Schubladen verschwinden –, gelten die führenden sieben dieser Rundfahrt natürlich nicht als Doper. Ihnen wurden ja keine verbotenen Substanzen nachgewiesen.

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