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Kniefall an der Church Road. Sabine Lisicki feiert nach über zwei Stunden Spielzeit den Abschluss ihres Arbeitstages. Foto: Reuters

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Sport: Tränen nach dem Matchball

Sabine Lisicki schlägt in Wimbledon sensationell Serena Williams.

Serena Williams fluchte und führte ein hitziges Streitgespräch mit sich selbst. Die Miene der Amerikanerin hatte sich verfinstert, sie blickte hinauf zu ihrer Box, zu ihrem Trainer Patrick Mouratoglou, als erhoffte sie sich von ihm die rettende Idee. Williams wirkte ziemlich perplex. Ganz so, als könne sie nicht glauben, was da gerade auf dem Centre Court von Wimbledon mit ihr passierte. Soviel Gegenwehr war Williams einfach nicht gewohnt. Denn seit einem Jahr ist sie die alles dominierende Kraft im Damentennis, die inzwischen eine Aura der Unbezwingbarkeit umweht. 34 Siege in Folge hatte Williams schon wieder auf dem Konto. Bis gestern. Da stand Sabine Lisicki auf der anderen Seite des Netzes, und die hämmerte ihre Aufschläge und Returns mit ebensolcher Urgewalt ins Feld, wie es sonst nur Williams vermag. Lisicki spielte frech auf, hatte beileibe keine Angst vor der Nummer eins der Welt. Und mit diesem Biss, diesem Mut gelang der Berlinerin die große Sensation. Lisicki bezwang die Titelverteidigerin im Achtelfinale nach zwei Stunden mit 6:2, 1:6 und 6:4.

Lisicki war bei ihrem Matchball ans Netz vorgestürmt, die 15 000 Zuschauer hielten den Atem an. Williams stand in schlechter Position an der Grundlinie, und so musste die Berlinerin den Vorhandball nur noch cross ins Feld tropfen lassen. Es war geschafft. Ihr spitzer Freudenschrei hallte durch den Centre Court, und Lisicki ließ sich bäuchlings auf den Rasen fallen. Sie konnte es nicht fassen. Sie konnte nicht aufhören zu strahlen – und dennoch schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie hüpfte über den Rasen und bedankte sich beim Publikum, das wie eine Wand hinter ihr gestanden hatte. „Ich bin so glücklich, ich zittere immer noch“, sagte Lisicki und rang nach Worten, „das ist der größte Sieg meiner Karriere“.

Keinen Zentimeter hatte Lisicki nachgegeben, egal, was Williams auch probierte. Ass um Ass schlug sie mit gewaltigen 200 km/h und mehr ins Feld. Und sie feuerte die Bälle ihrer Kontrahentin genauso hart und flach wieder zurück und brachte Williams damit ein ums andere Mal aus der Balance. Lange war das niemandem mehr gelungen, und die Amerikanerin tat sich schwer, dem Dauerdruck stand zu halten. Sie wirkte an diesem Tag seltsam verkrampft, sogar zögerlich. Fünf Spiele in Folge gewann Lisicki, um sich den ersten Satz unter dem tosenden Jubel der Zuschauer zu schnappen. Doch dann schien sich Williams gefangen zu haben, und nach dem 1:0 von Lisicki im zweiten Durchgang holte sich die Nummer eins neun Spiele in Serie – und ging damit mit 3:0 im dritten Satz in Führung. Doch Lisicki verbiss sich förmlich in jeden Schlag, jede noch so winzige Chance, die sich ihr bot. „Ich habe um jeden Ball gekämpft“, sagte die Siegerin später, „ich wollte so unbedingt gewinnen“. Die Partie wogte, weil beide bei ihren Aufschlägen wackelten. Lisicki holte sich das Break zum 3:4 zurück. Williams wirkte angeschlagen, geradezu fassungslos. Lisicki dagegen attackierte, sie riskierte alles und schaffte die 5:4-Führung, ehe sie eine weitere Breakchance abwehrte. „Ich habe meine Chancen nicht genutzt“, sagte Williams. Und: „Sabine ist eine exzellente Rasenspielerin. Aber ich habe es ihr leicht gemacht.“

Lisicki hatte sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen und keck ausgenutzt, dass Williams in den ersten Runden noch nicht arg gefordert worden war. Lisicki dagegen war ihrem Ruf als Favoritenkillerin in Wimbledon einmal mehr gerecht geworden: Mit Swetlana Kusnezowa, Li Na und Maria Scharapowa hatte sie bereits drei amtierende French-Open-Champions auf dem heiligen Rasen zu Fall gebracht – Williams war gestern die nächste. Und so wie sich die Besten aus dem Turnier bereits verabschiedet haben und die Estin Kaia Kanepi im Viertelfinale nicht unüberwindbar scheint, könnte es für Lisicki noch weit gehen. „Na los, jetzt hol' dir die Trophäe auch“, hatte Williams ihr nach der Partie am Netz gesagt. Bei diesem Wimbledon scheint nichts mehr unmöglich.

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