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Sport: Trainer in der Zweiten Liga: Zielscheibe wird neu bemalt. In Duisburg haben die Fans genug von den Entlassungen

200 Leute können viel Krach machen. Und sie können besonders viel Krach machen, wenn sie sauer sind.

200 Leute können viel Krach machen. Und sie können besonders viel Krach machen, wenn sie sauer sind. Und wenn sie dann noch einstimmig Sprüche brüllen, diese 200 Fans, dann wirkt der Krach wie eine Welle, die auf einen zurollt. Wie eine mächtige, bedrohliche, alles niederwalzende Welle. 200 Fans des MSV Duisburg haben sich an diesem Nachmittag vor dem Wedaustadion aufgebaut. 200 Fans müssen ihre Wut rauslassen. Der MSV hatte nur 3:3 gespielt. Gegen den SSV Reutlingen, einen Aufsteiger. Ein Punkt nur, im eigenen Stadion. Der MSV hatte den Saisonstart verpatzt. Und nun rollt die Welle. "Vorstand raus", brüllen die Fans. Und dann: "Sandrock raus". Und auch: "Pirsig raus".

Helmut Sandrock ist der Vorstandsvorsitzende des MSV Duisburg, Detlef Pirsig der Sportliche Leiter. Pirsig hat die Mannschaft für die neue Saison zusammengestellt. Er nennt sie Mannschaft. Viele Fans reden von Chaotenhaufen.

Die Fans singen nicht: "Litti raus". Bei anderen Vereinen würde so ein Spruch wie ein Reflex kommen. Dort ist immer der Trainer schuld, wenn etwas schief läuft. Dort greifen sich die Fans das leichteste Opfer. In Duisburg nicht. Dort lassen sie Pierre Littbarski in Ruhe. Natürlich nicht richtig, der Trainer bekommt schon auch sein Fett ab, der MSV muss nur lange genug schlecht spielen. Aber Littbarski kommt erst lange nach Sandrock und Pirsig. Die Reihenfolge ist bedeutsam.

Und die Reihenfolge ist durchaus auch gerecht. Häufig genug, sagen die Fans, hat ihnen der Vorstand einen Sündenbock präsentiert. Ausgerechnet beim MSV. In Duisburg haben sie den Trainer jahrelang auch dann noch gehalten, wenn der bloß noch einen Scherbenhaufen zu verwalten hatte. Aber inzwischen gehören Trainer-Rausschmisse zum Alltag. In 15 Monaten jagte der MSV drei Betreuer davon.

Das Übel begann im Oktober 1999. Damals wurden zwei Vorstandsmitglieder aus ihrem Amt geekelt. Damit fehlten plötzlich Leute, die bei Niederlagen nicht aktionistisch auffallen wollen. Die neue Führung warf kurz darauf Trainer Friedhelm Funkel raus. Funkel war weg, und der MSV stieg aus der Bundesliga ab. Für viele Beobachter führte das eine zum anderen. Der frühere Nationalspieler Bernd Cullmann stieg als Manager ein und produzierte haarsträubende Fehler. Wolfgang Frank wurde als Trainer verpflichtet und wieder entlassen. Der MSV landete schließlich auf dem maßlos enttäuschenden elften Platz. Seppo Eichkorn wurde als Trainer verpflichtet und wieder rausgeworfen, eine Woche nach dem Ende der vergangenen Saison.

Dann holten sie Pierre Littbarski. Der ist Weltmeister, absolvierte 72 Länderspiele, der stellte ein bisschen Glanz im trüben Duisburger Fußball-Alltag dar. Aber Littbarksi hatte keinen Einfluss mehr auf die Besetzung des MSV-Teams. Die Mannschaft stand bereits. Pirsig hatte sie zusammengestellt, der frühere Profi. Dann stand Littbarski vor Pirsigs Werk. Er stand vor Leuten wie Ralf Keidel, Hendrik Liebers oder Pavel Drsek, Namen, die er noch nie gehört hatte. Seine Profis sollten Viererkette spielen, so hatte sich Pirsig das gedacht. Aber sie konnten es nicht, und nach vier Spieltagen hatte der MSV 13 Gegentore kassiert. Natürlich ist der Trainer für sein Team verantwortlich, auch für ihre Spielweise. Aber diesmal trifft Littbarski erst mal nur bedingt Schuld. "Der Trainer kann nichts für die Misere", sagten sie im Forum eines Online-Dienstes.

Aber das zählt letztlich nichts. Littbarski hockt auf einem Schleudersitz, das weiß er. Doch wenn entlassen wird, dann rollt wieder eine Welle. Dann brüllen sie wieder, die Fans. Gegen den Klubboss, gegen den Sportlichen Leiter. Littbarski ist dann schon weg. Aber wenn er noch nicht allzu weit weg ist, kann er den Krach möglicherweise hören. Laut genug wird der sein.

Bernd Bemann

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