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Sport: Trainer lügen nicht

Holger Stanislawski hat keine Kraft mehr für den FC St. Pauli – und geht wohl nach der Saison nach Hoffenheim

Alles war Holger Stanislawski seit 1993 beim FC St. Pauli schon – Profi, Praktikant, Vizepräsident, Sportchef und Trainer. Als Spieler durfte er trotz bescheidener Fähigkeiten in der Bundesliga mitmischen, später erkannte der ehemalige Präsident Corny Littmann an ihm „Fähigkeiten, von denen ich selbst nichts wusste“. Von der Dritten in die Erste Liga führte Stanislawski den Klub, machte den Fußball-Lehrerschein als Jahrgangsbester. Er repräsentierte St. Pauli nimmermüde und blieb doch immer sehr normal mit einem beschaulichen Leben im ländlichen Rahlstedt, gemeinsam mit Frau und Hund. Nun wird sich der 41 Jahre alte Trainer neu erfinden müssen - höchstwahrscheinlich als Coach der TSG Hoffenheim.

Gleich zu Beginn einer tränenreichen Pressekonferenz bat Stanislawski am Mittwochmittag um Verständnis. „Sollte es Pausen geben, bitte ich um Nachsicht. Ich ringe dann nach Fassung“, sagte Stanislawski leise, ehe er in persönlich gefärbten 34 Minuten erläuterte, warum er den FC St. Pauli, der momentan als Bundesligavorletzter mitten im Abstiegskampf steckt, nach 18 Jahren verlassen wird. Den neuen Arbeitgeber jedoch verschwieg der „ewige Hamburger“, wie sich Stanislawski nannte. „Darüber werde ich in den nächsten Tagen informieren.“ Es gilt als ausgemacht, dass er Hoffenheim zur neuen Saison übernehmen und damit Nachfolger von Marco Pezzaiuoli werden wird. Als mögliche Kandidaten für den frei werdenden Trainerposten in Hamburg gelten die Zweitliga-Trainer Mike Büskens (Greuther Fürth) und André Schubert (SC Paderborn). Am Ende seiner Ausführungen hatte Stanislawski dann auch seinen Humor wiedergefunden, als er sagte: „Ich werde nicht zum HSV wechseln.“

Zuvor waren seine Erläuterungen so ehrlich wie kurios: „Mir fehlen Kraft und Energie. Ich bin ausgelutscht. Der Rucksack beim FC St. Pauli wurde immer schwerer für mich“, sagte Stanislawski. Bei den Hamburgern war er zuletzt Mädchen für alles, „das große Aushängeschild“, wie Manager Helmut Schulte sagte. Und nun mit halber Kraft zum neuen Job? Offenbar erhofft er sich im Kraichgau eine Verteilung der Lasten auf mehrere Schultern, um sich voll auf die Arbeit als Trainer zu konzentrieren. Auch dürften die Möglichkeiten dort andere sein – er wird mit Nationalspielern zusammenarbeiten und über vergleichsweise große Transfers (mit)bestimmen.

Die Arbeit am Millerntor grenzte zuletzt an Masochismus: der Versuch, mit geringen Mitteln, einem Kader der Namenlosen und vielen Verletzten in der Bundesliga zu bleiben, mag tatsächlich ein Job gewesen sein, für den Stanislawski sieben Tage die Woche 24 Stunden hart hat arbeiten müssen. Wie sehr ihn St. Pauli geschafft hat, ist an seinem Körper abzulesen: die Falten sind tiefer geworden, acht Kilogramm Körpergewicht hat er seit dem Sommer verloren. „Wir hatten den Selbstmordversuch von Andreas Biermann, wir hatten den Wettskandal, wir hatten Fans, die vom Zaun fielen und mit dem Tod kämpften, wir hatten vier Jahre lang zwei Baustellen, das Stadion und das Trainingsgelände – meine Batterie wurde immer leerer“, erklärte Stanislawski.

Er hat sich mal als Kummerkastentante des Vereins bezeichnet: „Jeder kommt hier mit seinen Gebrechen doch zu mir.“ In Hoffenheim wird Stanislawski nicht nur dem machtbewussten Manager Ernst Tanner Paroli bieten, sondern sich auch ein dickes Fell zulegen müssen. Dort bekommen sie einen ideenreichen Motivator mit großer Detailkenntnis.

Tränen flossen auf dem Podium, als Stanislawski vom Tod seiner Mutter sprach, als er seinen Assistenten und Freunden Nemet, Trulsen und Medienchef Bönig dankte. Auch Klubpräsident Stefan Orth sagte: „Wir verlieren die wichtigste Person im Klub.“ Zum Abschied bekam Stanislawski deshalb auch eine lebenslange Dauerkarte für sein Millerntor.

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