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Sport: Treffpunkt Sonnenblume

In einer Berliner Begegnungsstätte ist Jan Ullrich zu Besuch – entspannt und fröhlich. Jetzt fängt er neu an

Von Christine-Felice Röhrs

Berlin. Jan Ullrich soll durch die Katakomben kommen, ganz wie der Präsident der Vereinigten Staaten. Weil keiner weiß, wo der Ausgang der Katakomben ist, halten die Fotografen auf jede Tür drauf, die sie sehen im Treffpunkt Sonnenblume. Der Treffpunkt Sonnenblume ist eine Seniorenbegegnungsstätte der Ernst-Freiberger-Stiftung, und an diesem Tag soll der Radfahrer zu Besuch kommen. Ursprünglich ein ganz intimer Termin: 40 Senioren mit nsschildchen am Revers, der Moderator, der Sportler, dessen Trainer, ein Gespräch über Sport und vielleicht noch über den Generationenunterschied. Blöd nur, dass Jan Ullrich am Vortag, am Mittwochabend, bekannt gegeben hat, den noch eingefrorenen Vertrag mit der Telekom nicht mehr zu verlängern. Nun der erste öffentliche Auftritt nach Drogenbeichte, Flucht in die USA und Knieoperation – in der Sonnenblume ist die Hölle los.

„Presse nach rechts, Senioren nach links“, ruft ein Mitarbeiter der Ernst-Freiberger-Stiftung. Keiner gehorcht. Es ist ein hübscher, kleiner Raum mit türkisbezogenen Stühlen, und als Jan Ullrich endlich kommt, da nimmt er Platz vor einer Holzvitrine, über seinem Kopf blühen Grünpflanzen. Ganz ruhig lässt er die Augen von Kamera zu Kamera wandern, aber ohne Körpersprache, die Hände hält er im Schoß fest, als wollte er den Fotografen keine Gelegenheit geben, ihn bei einer emotionalen Geste zu erwischen.

Alle gucken, der Star schweigt. Wie sieht er aus? Blass? Unglücklich? Ullrich trägt dunkelblaue Jeans, ein schwarzes Hemd über der Hose und eine dünne Lederschnur um den Hals. Lässig. Braun ist er. Schlank. Schlank genug? Wie dünn muss ein Radfahrer sein, damit ihm nicht alle gleich wieder Disziplinlosigkeit vorwerfen?

Die mimische Starre löst sich in Lachen auf. „Ey, lasst doch mal meinen Trainer durch“, ruft er. Aha. Die erste Frage schon beantwortet. Viele hatten sich gefragt, ob Peter Becker, der ja mit seinem allzu harten Training durchaus Ullrichs Knieprobleme hätte verursachen können, bleiben würde. Aber psst, es geht los. Ullrich räuspert sich, lächelt. „Mensch“, sagt er, „hätt’ ich bloß die Entscheidung, die ich gestern bekannt gemacht habe, erst heute Abend veröffentlicht. Dann hätten wir’s hier gemütlicher.“ Schließlich habe er sich ja nicht für diese spontane Pressekonferenz auf den Weg nach Berlin gemacht, sondern für die Senioren. „Dafür habe ich sogar meinen eigenen Senior mitgebracht“, sagt er und knufft Trainer Becker ordentlich in die Seite. „Mein Senior“, das wird er später noch mal sagen und sich schütteln vor Kichern. Was für ein Unterschied zu den letzten Fernsehbildern. Jan Ullrich und die Ecstasy-Pillen. Büßer vor Millionen.

Und vielleicht ist das schon die Quintessenz aller Erkenntnisse an diesem Plaudernachmittag mit dem Schwiegersohn der Nation: Jan Ullrichs Frohsinn. Er scherzt, er lacht, er ist frech. Vielleicht ist es wirklich so einfach: Jetzt gibt es nach Monaten verzweifelter Richtungslosigkeit endlich einen Hoffnungsschimmer – die letzte Operation am Knie vor sechs Wochen soll sehr gut verlaufen sein – und es gibt eine Entscheidung: ganz neu anfangen. Es geht aufwärts. Das erleichtert.

Mehr als am Tag zuvor sagt Jan Ullrich allerdings auch diesmal nicht zur Trennung von der Telekom: Ich brauch’ für mich ganz persönlich etwas Neues. Ich will die Freude am Radfahren wieder entdecken, die ich vor vier Jahren hatte. Es gibt mehrere gute Angebote, ich werde mich in den kommenden Wochen entscheiden, habe auch schon eine Tendenz im Kopf. Zehn Minuten hat Ullrich für die Pressefragen, eineinhalb Stunden für die Senioren.

Er macht das nett. „Den Sieg in Oslo damals“, sagt er, „den hab ich für meinen Opa eingefahren, der war gerade vorher gestorben. Ich habe mir immer vorgestellt, dass er mich vom Himmel aus sehen kann.“ Herr Ullrich, wie viele Kilometer fahren Sie im Jahr? Haben Sie ein Kissen in der Hose, damit es nicht so weh tut auf dem harten Sattel?

Die Drogenfrage kommt natürlich auch, die nach der Nacht, in der der Radfahrer zwei Pillen geschluckt und am nächsten Tag positiv getestet worden war. „Ach“, sagt Ullrich locker, „und ich dachte, ich komme um die Frage herum.“ In der Rückschau, sagt er, glaube er, dass ihm diese böse Erfahrung gut getan, dass sie ihn stark gemacht habe. Reifer, das Wort fällt auch.

Der Abschied. Die Senioren haben Aquarelle gemalt für ihren Gast. Auf einem ist ein Berg zu sehen, darunter steht: Nach jeder Talfahrt gibt es eine neue Höhe. „Super find’ ich das“ sagt Ullrich.

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