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Thomas Dold hat er eine Sondergenehmigung, um in dem Wolkenkratzer Main Tower trainieren zu können.

© Jürgen Löhle

Treppenläufer Thomas Dold: Einatmen, Stufe, Ausatmen

Thomas Dold ist einer der besten Treppenläufer der Welt. Im Main Tower in Frankfurt hat er sich mit unserem Autor Jürgen Löhle getroffen - zu einem ungleichen Rennen in dem Frankfurter Wolkenkratzer.

Main Tower Frankfurt, Treppenhaus, 7. Stock: Thomas Dold hastet vorbei, würdigt mich keines Blickes. Immer zwei Stufen auf einmal, das Geländer, an dem er sich um die Ecken schwingt, zittert. Ich wackle auch schon ein bisschen, vor allem in den Oberschenkeln. Vor mir liegen noch 45 Stockwerke, vor Dold stolze 97 und eine Liftfahrt nach unten. Und das ganze will er schneller schaffen als ich die 45. Na dann.

Thomas Dold? Genau, das ist der 28-Jährige aus dem Badischen, der Treppen raufrennen kann wie kaum ein Zweiter auf der Welt. Begonnen hat der diplomierte Wirtschaftswissenschaftler als Bergläufer, später spezialisierte er sich auf die Exotik wie das Rückwärtslaufen oder eben das Treppenrennen. 41 Siege weltweit stehen auf seinem Konto, die 2046 Stufen mit 390 Meter Höhenunterschied des 508 Meter hohen Wolkenkratzers Taipei 101 stürmte er 2008 in 10:53 Minuten nach oben. Bekannt wurde er aber vor allem durch eines: Von 2006 bis 2012 gewann er siebenmal hintereinander den Lauf auf das Empire State Building in New York. In diesem Februar musste er für das Rennen in Manhattan wegen Krankheit absagen. Sein nächstes Ziel sind die 2041 Stufen im World Summit Wing Hotel in Peking sein. Dort steigt am 3. August der nächste große Treppenlauf mit Thomas Dold.

Ein paar Sekunden sehe ich noch Dolds Rücken, dann ist er weg, entschwunden auf dem Weg nach oben. Eine Weile länger höre ich seinen Atem, dann ist es wieder ruhig. Das Treppenhaus in Deutschlands vierthöchstem Wolkenkratzer überbrückt bis zum 52. Stock etwa 190 Höhenmeter. Thomas Dold hatte die Idee, den Reporter einmal spüren zu lassen, wie sich die Hatz nach oben so anfühlt. Wir laufen gemeinsam los, so sein Plan, und er wird versuchen mich zu überrunden. Ich muss „nur“ 1026 Stufen packen, er 2052 und eine Liftfahrt nach unten.

Am Telefon habe ich spontan ja gesagt, jetzt bin ich im 11. Stock und denke an Dolds Frage vor ein paar Minuten. „Ihre Pumpe ist okay, oder?“ Ich hoffe es inständig, denn die Oberschenkel brennen, die Atmung rasselt und der Puls hämmert im Hals. Noch 41 Stockwerke.

Thomas Dold war nicht immer Treppenläufer. In seiner südbadischen Heimat rannte er auf die Berge des Schwarzwaldes, war Mitglied der Nationalmannschaft. Die Treppen aber reizten sein Naturell. Der Mann sucht gerne seine Grenze. „Die Treppe ist eben der steilste Berg“, sagt er. Und dann schwärmt er von dem Gefühl, sozusagen „nach oben zu fliegen“. In New York quält er seit 2006 damit nicht nur sich, sondern auch die Konkurrenz, die er auf den 1576 Stufen regelmäßig hinter sich ließ. „Für den Sport brauchst du Leidenschaft“, sagt er. Die Betonung liegt auf Leiden.

Das mit dem Leiden verstehe ich gut, sehr gut. 24. Stock. Dold dürfte jetzt fast oben sein, aber das ist mir egal. Ich habe einen Rhythmus entwickelt: Einatmen, Stufe, Ausatmen, Stufe. Und wieder von vorn. Wenn Dold nach oben fliegt, ist das hier eher ein Stampfen.

Plötzlich tritt eine Frau mit zwei Aktenordnern unterm Arm in das Treppenhaus, ihrem Blick nach sehe ich merkwürdig aus, vorsichtig gesagt. Einen Kerl mit kollapsrotem Kopf in Sportklamotten hat die Frau im Anwalts- und Bankenturm sicher noch nicht oft gesehen. Dold ist schließlich der Einzige, der in dem nicht öffentlichen Treppenhaus mit einer Sondergenehmigung trainieren darf. Mittlerweile ist es mir piepegal, ob Dold mich überrundet. Aber es wird schwer für ihn, da ich vor dem Start so gejammert habe (doppelt so alt, Form eines Schuhkartons, Knieprobleme), dass mir Dold die ersten sieben Stockwerke zusätzlich vorgegeben hat.

Das Laufen von Stufen hat auch etwas mit Struktur zu tun. So eine Treppe ist ein klar definiertes Ding und Dold ein Typ, der so etwas mag, weil er seine Zeit so effektiv wie möglich nutzen will. Treppenlaufen ist kurz, aber heftig. „Du bist schneller am Ziel als beim Berglauf, der Schmerz ist also kürzer, aber deutlich intensiver“, sagt er. Thomas Dold bezeichnet sich selbst als „Impulsgeber“, er gibt sein Wissen als Referent bei Vorträgen, als Trainer, Motivator und Team Manager weiter. Er hat auch den Verein Run2Sky.com gegründet, unter dessen Dach sich Leichtathleten sammeln sollen, deren Ziel die Teilnahme an Olympischen Spielen ist und die Dold in Sachen Mentaltraining und Lauftechnik unterstützt.

Hilfe könnte ich jetzt auch brauchen. 44. Stock. Gleich platzen meine Oberschenkel, meine Herzkranzgefäße oder beides. 48. Stock, der Schweiß brennt in den Augen, den Pulsmesser habe ich ausgeschaltet. Und plötzlich steht sie da die 52. GESCHAFFT – und Dold ist nicht da. Er kommt 40 Sekunden später angeflogen. Kurz danach sitzen wir beide auf der letzten Stufe und schnaufen um die Wette. Klar, ohne die sieben Stockwerke Vorsprung hätte ich verloren. Aber egal, ich fühle mich als Sieger, weil ich meine persönliche Bestmarke von 72 Stufen (Tiefgarage bis dritter Stock) auf 1026 gesteigert habe. Und nach einer Minute spüre ich ein Faszinosum des Sports. Wirklich schön, wenn der Schmerz nachlässt. Als ich mit zuckenden Beinmuskeln den Main Tower verlasse, hetzt Thomas Dold zum dritten Mal nach oben. „Sonst lohnt sich der Aufwand nicht“, sagt er.

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