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Sport: Triumph durch Beständigkeit

Kim Clijsters führt jetzt die Tennis-Weltrangliste an – obwohl sie noch kein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat

Los Angeles. Kim Clijsters riss die Arme in die Höhe, eilte zum Netz und nahm die Glückwünsche ihrer unterlegenen Finalgegnerin Lindsay Davenport entgegen. Dann spürte die Belgierin plötzlich eine emotionale Zugabe. „Ich hatte richtig Schmetterlinge im Bauch und eine Gänsehaut“, sagte die 20-Jährige später. Im größten Moment ihrer Tennis-Karriere fiel es der Belgierin schwer, ihre Gedanken zu ordnen. Es war schließlich nicht bloß der Sieg im Finale, den Clijsters beim mit 635 000 Dollar dotierten Hartplatzturnier in Los Angeles feierte, sondern ein historischer, bedeutender Erfolg: Seit Sonntag ist Kim Clijsters die Weltranglistenerste bei den Damen. Das hat zuvor noch kein weiblicher Tennisprofi aus Belgien geschafft.

Auf dem Centre Court in Los Angeles skandierte ein Dutzend belgischer Fans: „Nummer eins, Nummer eins“. Die Zuschauer applaudierten, und die Geschenke an Kim Clijsters wollten kein Ende nehmen. Mit Clijsters’ 6:1, 3:6, 6:1-Sieg im Finale gegen Davenport war die Ablösung von Serena Williams an der Spitze der Weltrangliste beendet, die US-Amerikanerin hatte sie für 57 Wochen angeführt. „Dies ist ein unglaublicher Augenblick“, meinte Clijsters. „Mein Traum ist wahr geworden.“ Es spielte bei den Lobeshymnen auf dem Centre Court von Los Angeles keine Rolle, dass Clijsters’ Aufstieg durch eine Verletzung von Serena Williams begünstigt worden war.

Auch wenn nur gut 2000 Zuschauer das Finale im „Home Depot Center“ verfolgten, in Belgien waren die Einschaltquoten im Fernsehen hoch. In Clijsters’ Heimatort Bree blieben bei einem Konzert die Zuhörer weg, weil der Auftritt von Clijsters live in die Wohnstuben flimmerte. Die Eltern von Clijsters gehörten nach dem Triumph auch zu den ersten Gratulanten – per Telefon. „Das Handy klingelte ununterbrochen“, sagte Kim Clijsters. „Ich wusste bisher noch gar nicht, dass so viele Menschen meine Telefonnummer haben.“

Glückwünsche kamen auch von der Kontrahentin im Finale. „Kim hat sich das redlich verdient“, sagte Lindsay Davenport, 1998 selbst einmal Weltranglistenerste. „Sie ist sowohl in der Defensive als auch Offensive großartig und spielt von allen am beständigsten.“ Das stimmt: In diesem Jahr hat Clijsters bei ihren 14 Turnierteilnahmen jeweils mindestens das Halbfinale erreicht und sechsmal – so häufig wie keine andere Spielerin – gewonnen.

Doch es ist schon erstaunlich, wie der „überaus positive Mensch“ (Clijsters über Clijsters) nach einer Schulteroperation am Anfang vergangenen Jahres die Weltrangliste hinaufkletterte. Im November gewann die 1,74 Meter große Spielerin überraschend das Masters im Staples Center von Los Angeles. Seit Einführung der Computer-Weltrangliste 1975 ist die Belgierin erst die zwölfte Spielerin auf dem ersten Platz. Am Ziel angekommen sieht sich Clijsters allerdings noch nicht. Denn die zweimalige French-Open-Finalistin hat immer noch ein Problem, trotz der Position als Weltranglistenerste: Clijsters hat noch kein Grand-Slam-Turnier gewonnen. Sie weiß um diesen Makel, den ihr laut Davenport „ihre Kritiker vorhalten werden“. „Ich werde noch härter trainieren und mich weiter verbessern“, sagt Clijsters. Dann sollte es auch irgendwann bei einem Grand-Slam-Turnier klappen.

Als Kind hatte Clijsters einst in ihrem Zimmer Poster ihres Idols Steffi Graf an den Wänden hängen. Kurioserweise hatte Graf vor exakt 16 Jahren, im August 1987, ebenfalls in Los Angeles erstmals die Weltranglisten-Führung übernommen. Die Deutsche sprang damals vor Freude in den Pazifik.  Clijsters wollte ihr in diesem Punkt aber nicht nacheifern. „Ich werde mit meinem Trainer und Physiotherapeuten beim Abendessen ein wenig feiern“, sagte sie. Allerdings ging es dabei dann recht gesittet zu. Den vom Turnierveranstalter aufgezwungenen Schluck Champagner wollte die Abstinenzlerin jedenfalls nicht so recht genießen. Aber natürlich brauchte Kim Clijsters keinen Alkohol, um sich zu freuen. Auch noch lange nach dem Turniersieg strahlte die Belgierin und sagte schließlich: „Diesen Tag werde ich mein Leben lang nicht vergessen.“

Stefan Liwocha

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