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Sport: Trübe Aussichten

Netz und Fackel: Durch Inkonsequenz gegenüber China hat Jacques Rogge sich und Olympia beschädigt

Am Freitagmittag wartet eine Überraschung auf Mo Yee Ng. Die Reporterin der „Hongkong Economics Times“ sitzt im Pressezentrum der Olympischen Spiele vor ihrem Laptop und versucht, die Seite der Hongkonger Zeitung „Apple Daily“ aufzurufen. Chinesische Schriftzeichen leuchten auf, die Seite erscheint. „Wow“, sagt Mo Yee Ng, „das hat es in China noch nie gegeben.“ Gestern hat die chinesische Regierung die Zensur gelockert. Mindestens in Peking waren überraschend Internetseiten chinakritischer Organisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International oder Reporter ohne Grenzen frei zugänglich. Nach der Empörung über die Zensur im Pressezentrum hatte es am Donnerstag Gespräche zwischen dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dem Pekinger Olympiaorganisationskomitee (Bocog) gegeben. Anschließend erklärte die IOC-Vizepräsidentin Gunilla Lindberg: „Das Problem ist gelöst, der Internetzugang wird wie sonst bei den Olympischen Spielen sein.“ Doch das stimmt nicht.

Weiterhin sind Internetseiten von Organisationen nicht zu erreichen, die von der chinesischen Regierung als „heikel“ eingestuft werden. Dabei handelt es sich um chinesische Tabuthemen wie die sektenähnliche Meditationsgruppe Falun Gong, das Tiananmen-Massaker 1989, die Free-Tibet- oder Demokratiebewegungen. Ob diese Webseiten auch noch zugänglich sein werden, wollte Bocog-Sprecher Sun Weide nicht beantworten. „Der Internetzugang in China ist vollkommen offen“, sagte er, „als Organisatoren der Olympischen Spiele haben wir ausreichenden und passenden Internetzugang zur Verfügung gestellt.“ Das aber hatten die Bocog-Verantwortlichen auch vor den gestrigen Öffnungen behauptet. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wollte sich damit auch nicht zufriedengeben. Er „empfahl“ der Pekinger Regierung, die Maßnahmen zu „überdenken“. Er habe im Telefonat mit seinem Amtskollegen Yang Jiechi seine Überzeugung „unterstrichen“, dass eine umgehende Lösung „im Interesse Chinas und einer unbeeinträchtigten Berichterstattung“ liege. Chinas Präsident Hu Jintao warnte dagegen vor einer „Politisierung der Spiele“.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur ddp wollen die chinesischen Behörden offenbar auch verbieten, dass im „Deutschen Haus“ deutsche Zeitungen ausliegen. Mit „Fassungslosigkeit“ reagierte darauf der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, in einem Brief an den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach. Lammert schreibt: Ein „Deutsches Haus“, in dem nicht auch die Meinungs- und Informationsfreiheit der freien Welt gelte, könne diesen Namen wohl kaum für sich in Anspruch nehmen.

Klar ist, dass IOC-Präsident Jacques Rogge stark beschädigt aus der Zensur-Affäre geht. Er hatte im Vorfeld betont, dass der Internetzugang frei zugänglich sein werde. Offenbar hat er es versäumt, sich das auch vertraglich zusichern zu lassen. In der Kontroverse um den verkürzten Fackellauf sah die IOC-Führung ebenfalls nicht gut aus. Im kommenden Jahr wählt das IOC einen neuen Präsidenten – Rogge hat mehrfach erklärt, eine erneute Kandidatur vom Verlauf der Olympischen Spiele in Peking abhängig zu machen. Diese fingen nun mehr als schlecht an.

Rogge wird auch intern angegriffen. Der für die Medien zuständige Vizepräsident Kevan Gosper warf der IOC-Führung vor, ohne sein Wissen eine Vereinbarung mit Bocog getroffen zu haben, die China die Internetzensur ermöglicht habe. Er könne sich nicht vorstellen, dass so etwas passiert sei, ohne Rogge zu informieren. Das IOC erklärte hingegen: „Das IOC möchte betonen, dass es keine Vereinbarung mit den chinesischen Behörden eingegangen ist, das Internet in irgendeiner Weise zu zensieren.“

Die neue Internetfreiheit schien viele chinesische Journalisten im Pressezentrum nicht zu berühren. Einige wussten nichts davon. „Ich konnte hier auch vorher ganz normal arbeiten und fühle mich nicht eingeschränkt“, sagt eine chinesische Journalistin, die ihren Namen und Arbeitgeber nicht nennen will. Offiziell gibt es im Reich der Mitte keine Zensur, es schützt seine Bürger lediglich vor „schädlichen Inhalten“. In der Vergangenheit hat China immer wieder Seiten zugänglich gemacht und später geblockt. Auch für die jetzt frei zugänglichen Internetseiten dürfte die neue Öffentlichkeit begrenzt sein. Mo Yee Ng sagt: „Ich bezweifle, dass diese Seiten auch nach den Spielen noch offen sind.“Meinungsseite

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