zum Hauptinhalt

Sport: Tschetnik-Fahnen im Marakana

Serbien schafft WM-Qualifikation – Randale am Rand des Spiels gegen Bosnien

Seine Trophäe aus Belgrad hat der Bosnier unter den Arm geklemmt: einen roten Schalensitz. Dutzende Hartplastikteile rissen bosnische und serbische Fußballfans am Abend zuvor aus dem „Marakana“ genannten Crvena-Zvezda-Stadion und funktionierten sie zu Wurfgeschossen um. Außersportliche Bilanz des letzten Qualifikationsspiels in der WM-Gruppe 7: 17 Verletzte, sechs davon schwer. Sarajevo am Morgen nach der Niederlage der bosnischen Elf gegen Serbien-Montenegro: Nicht die 90 Minuten auf dem Rasen sind das Thema in den Cafés rund um den Taubenbrunnen der türkischen Altstadt, sondern die Randale unter den Fans. „Feige Attacken gegen unsere Fans“, titelt die bosnische Zeitung „Dnevni Avaz“. Im Radio machen Hörer ihrem Ärger Luft, der Tenor: „Bosnische Opfer, serbische Täter.“

Aber das stimmt nur sportlich. 0:1 unterlag das Team um Kapitän Sergej Barbarez vom HSV gegen die über weite Strecken überlegene Heimmannschaft. Mit seinem Treffer in der siebten Minute bescherte Stürmer Mateja Kezman (Atletico Madrid) dem Team von Trainer Ilija Petkovic die erste WM-Teilnahme überhaupt. 1990 war in Italien noch die Auswahl der sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien am Start. Der kriegerische Zerfall des von Josip Broz Tito gegründeten südslawischen Reichs begann erst ein Jahr später. Zunächst erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von Belgrad, bald folgten Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Bei der WM in Deutschland im kommenden Jahr dabei ist neben Serbien auch Kroatien. Ebenfalls ein brisantes Bruderduell.

Denn auch ein Jahrzehnt nach Ende des Bosnien-Krieges im Dezember 1995 sind Spiele zwischen den früheren jugoslawischen Teilrepubliken mehr als nur Sport. Überall im Marakana-Stadion flatterten am Mittwoch Fahnen mit dem Wappen der nationalistischen Tschetniks. Bei seiner Auswechslung kurz vor Schluss spreizte Torschütze Kezman Daumen, Zeige- und Ringfinger beider Hände zum Gruß der serbischen Patrioten – für Bosnier wie für Kroaten eine Provokation.

Wenig zimperlich sind auch die bosnischen Fans. Im Hinspiel im Kosevo-Stadion von Sarajevo hissten Fans in Anspielung auf die – übertriebene – Zahl der Toten im letzten Krieg ein Transparent mit der Aufschrift „Wir haben 250000 Gründe, euch zu hassen“. „500 Jahre osmanische Herrschaft über Belgrad“ war an anderer Stelle zu lesen. Die forsche Geschichtsklitterung zu unsportlichen Zwecken kann den Klassenunterschied zwischen den Teams nicht überdecken: Während Bosnien lediglich mit guten Resultaten gegen Belgien und Spanien aufwartete, startete Serbien-Montenegro in Gruppe 7 souverän durch. Nur einen Treffer in zehn Spielen kassierte Torwart Dragoslav Jevric. Die stärkste Abwehr Europas: keine schlechte Empfehlung für das Turnier im kommenden Sommer.

Markus Bickel[Sarajevo]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false