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Olympische Sommerspiele 2008

© AFP

Turnen: Die Liebe einer Mutter

Oksana Tschussowitina holt sensationell Silber für Deutschland beim Pferdsprung – ein Triumph nach einem Schicksalsschlag. Porträt einer Gewinnerin.

Oksana Tschussowitina wurde fast ein wenig übermütig. Als eine amerikanische Reporterin wissen wollte, wie alt sie denn sei, fragte sie zurück: „Wie alt sehe ich den aus?" Und als sie sagen sollte, wie alt sie sich fühle, antwortete sie „Wie mit 18".

Der Erfolg machte sie wohl einfach jünger. Tschussowitina, die 33 Jahre alte Turnerin aus Köln, hatte im Sprung die Silbermedaille gewonnen. Es ist ihre zweite Olympiamedaille, und vielleicht fühlte sie sich an diesem Abend im Pekinger National Indoor Stadium an ihre erste erinnert. Eine goldene und die hatte sie mit der Mannschaft der GUS gewonnen – vor 16 Jahren in Barcelona.

Damals hatten die meisten ihrer heutigen Konkurrentinnen noch nicht einmal mit dem Turnen angefangen. Siegerin Hong Un Jong aus Nordkorea ist 19 Jahre alt, die Drittplatzierte Cheng Fei aus China 20 Jahre. Tschussowitina ist die älteste Teilnehmerin bei diesen Turnfinals. Und sie hat schon einen Sohn, Alisher, er geht bereits in die dritte Klasse.

Sie widmet die Medaille ihrem Sohn Alisher, der an Leukämie erkrankt ist

Ihr Sohn ist auch der Grund, warum sie inzwischen in Köln wohnt und für Deutschland startet. Vor sechs Jahren erkrankte er an Leukämie. Tschussowitina fehlte das Geld für eine gute Behandlung. Ihre Turnfreunde in Köln unterstützten sie damals, dort wurde ihrem Sohn schließlich geholfen und sie entschied sich, fortan für Deutschland zu turnen. „Es geht ihm sehr gut", sagt Tschussowitina. „Ihm widme ich meine Medaille", sagt sie. Alisher turnt auch, und nur als sie gefragt wird, wie gut er turnt, verzieht sie ein wenig das Gesicht.

Der Sprung ist Oksana Tschussowitinas Spezialgerät, 2003 wurde sie in Anaheim sogar noch einmal Weltmeisterin. Mit ihren 43 Kilo und einer Größe von 1,53 Meter springt sie hoch und dreht sich schnell um sich selbst. Als sie ihren zweiten Sprung sicher zur Landung bringt, breitet sich ein Strahlen auf dem ansonsten oft ernst schauenden Gesicht aus. Sie rennt zu ihrer Trainerin Shanna Poljakowa und fällt ihr in die Arme. „Es ist unglaublich", sagt Poljakowa, „das ist mehr als wir erwartet haben".

Die Chinesin Cheng Fei hatte zwei schwierigere Sprünge im Angebot, doch beim zweiten landet sie auf den Knien und bekommt größere Abzüge. Nach ihrem ersten Sprung war sie in Führung gegangen, doch als sie den zweiten ein wenig verpatzt, versteckt sie ihr weinendes Gesicht an der Schulter ihres Trainers. So kommt ausgerechnet im Land der Turnkinder eine Mutter auf den zweiten Platz und gewinnt Silber. Gerade einige der Chinesinnen im Turnwettbewerb sehen deutlich jünger aus als ihr angegebenes Alter. „Wenn sie 16 sind dürfen sie starten und wenn sie gesagt haben, dass sie 16 sind, starten sie eben. Aber ihr Alter glauben ihnen nicht alle", sagt Tschussowitina.

Sie hat mit sieben Jahren in Usbekistan angefangen, 26 Jahre ist sie nun dabei. Für ihre Trainerin Poljakowa ist Tschussowitina immer noch eine junge Turnerin: „Sie ist ein Mädchen hier wie jedes andere auch. Sie sitzt mit ihnen zusammen, sie erzählt mit ihnen, sie muss sich dabei auch nicht verstellen."

Nach den Spielen von Athen hatte Tschussowitina überlegt, ob sie noch weitermachen sollte. „Ich habe gedacht, wenn ich die Chance auf eine Medaille habe, versuche ich es noch einmal." Am Turnen habe sie jedenfalls immer noch viel Spaß. „Ich liebe diesen Sport und ich gehe gerne zum Training", sagt sie. Ob sie 2012 noch einmal mitturnt bei ihren dann sechsten Olympischen Spielen? „Ja natürlich."

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