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Turn-DM

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Turner: Ein Wunsch, zwei Wege

Die Cottbuser Turner Robert Juckel und Philipp Boy trainieren im gleichen Verein, und haben bei der Kunstturn-DM punktgleich den zweiten Platz belegt. Aber sie haben nur das WM-Ziel gemeinsam.

Es war ein Bild voller Emotionen: Als der Hallensprecher bei der deutschen Kunstturn-Meisterschaft in Gießen die Zweitplatzierten des Mehrkampfs ins Mikrofon brüllte, nahmen sich die Cottbuser Robert Juckel und Philipp Boy in den Arm. Dann stiegen sie aufs Treppchen mit der „2“ und strahlten. Zwei Mann nach sechs Geräten mit der exakt gleichen Punktezahl, zwei Zweitplazierte, die zudem noch vom selben Verein, dem SC Cottbus, kommen – das ist nun wirklich nicht alltäglich.

Zum Happy End hat schließlich nur gefehlt, dass der 25 Jahre alte Juckel und der fast sechs Jahre jüngere Boy vom Chefbundestrainer Andreas Hirsch schon fest für die WM Anfang September in Stuttgart nominiert werden. Das aber passierte nicht: Neben dem überragenden Mehrkampfmeister Fabian Hambüchen (Niedergirmes) hat Hirsch nur Juckel, Thomas Andergassen (Stuttgart) und Eugen Spiridonov (Bous) das Ticket zugesichert, die Anwärter auf die übrigen drei WM-Plätze trainieren in der Warteschleife. Was Boy, den Mann mit dem sonnigen Gemüt, nicht ganz kalt ließ. Gefragt, ob er den Cheftrainer verstehe, ließ er den erfahrenen Juckel antworten. „Ist doch klar, dass der Trainer ihn anspitzen möchte“, sagte der Teamsprecher – also dazu motivieren, dass Boy im Wettkampf perfekte Übungen abliefert. Bei der Mehrkampf-Qualifikation hatte Boy zu oft gepatzt und war am Ende nur Neunter geworden. „Bei der WM muss er auch am Tag X Leistung bringen – und nicht einen Tag später“, sagte Hirsch knapp.

Juckel dagegen bringt auf den Punkt Leistung. Am Sonntag gewann er seinen ersten Meistertitel am Seitpferd. Fabian Hambüchen dagegen verpasste gestern den fünften Titel in Folge am Boden. Er musste einmal die Fläche verlassen und verzichtete zudem auf den gestreckten Doppel-Tsukahara. Mit 14,75 Punkten belegte er nur Platz drei hinter Spiridonov (14,90), der Platz eins belegte, und Matthias Fahrig (Halle/14,80).

In Interviews gaben Boy und Juckel, die beide aus Cottbus stammen und sich als Freunde bezeichnen, ein perfektes Doppel ab. Ein gemischtes Doppel, denn eigentlich haben der impulsive Gymnasiast Boy und der ruhige Stabsunteroffizier Juckel nicht viele Gemeinsamkeiten. Schon ihr Weg zur WM unterscheidet sich extrem. Juckel ist schon Ende 2002 nach Stuttgart gewechselt. Boy schwört dagegen, dass er Cottbus nie verlassen wird. „Das Umfeld dort ist optimal“, sagt er. Schon die achtwöchige Rehabilitationszeit in Berlin nach einer Knöchelverletzung im März war fast unerträglich für ihn. Auch deshalb, weil die Berliner versucht haben sollen, ihn abzuwerben. Juckel sagt dagegen: „Meine Karriere werde ich in Stuttgart beenden.“

Juckel und Boy gehören zwei verschiedenen Turnergenerationen an. Was offensichtlich wird, wenn die Beiden über ihre Pläne neben dem Sport sprechen. „Nächstes Jahr mache ich Abitur“, sagt Boy, „danach eine Ausbildung.“ In die Sportfördergruppe der Bundeswehr zu wechseln, komme für ihn nicht in Frage. Die biete zu wenig intellektuelle Reize neben dem täglichen Training. Juckel, der Stabsunteroffizier und Zeitsoldat, nickt nachdenklich. „Manchmal ist es bei uns schon so, dass wir nach dem Training nur bis zum nächsten Training denken – und nicht weiter“, sagt er.

Der letzte Unterschied zwischen Juckel und Boy besteht in der Mentalität. „Er ist impulsiv und ungeduldig“, sagt Juckel über Boy. „Von ihm kann ich mir vor allem die Gelassenheit abschauen“, sagt Boy über Juckel. Mutmaßlich hängt das aber vom unterschiedlichen Alter der Cottbuser ab. Der 25-jährige Juckel hat schon Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften geturnt, während Boy, der heute seinen 20. Geburtstag feiert, richtige internationale Erfahrung erst einmal bei der WM 2006 gesammelt hat. „Man geht logischer ran und trainiert anders“, sagt Juckel. Und man weiß auch besser, welche Wettkämpfe wirklich wichtig sind. Obwohl erst Juckel sein Ticket sicher hat, sind sich Beide sicher, dass sie in der WM-Riege gemeinsam eine starke Cottbuser Achse bilden werden. „Wir wollen dorthin!“, sagen sie. Und das ist – ehrlich – ein gemeinsamer Wunsch.

Jürgen Roos[Gießen]

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