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Mentaltrainer Steffen Kirchner meint, dass Bayern-Trainer Jupp Heynckes derzeit motiviert durch sein baldiges Karriereende an seinem persönlichen Limit arbeitet.

© Reuters

Über Bayern-Trainer Jupp Heynckes: „Wer ist Pep Guardiola?“

Vor dem Pokalendspiel zwischen dem FC Bayern München und dem VfB Stuttgart erklärt der Mentaltrainer Steffen Kirchner im Interview mit dem Tagesspiegel die größten Stärken von Bayern-Trainer Jupp Heynckes.

Von Christian Hönicke

Herr Kirchner, was ist die größte Stärke des Motivators Jupp Heynckes?

Eine seiner größten Stärken, und das teilt er mit allen großen Trainern, ist eine unglaubliche Empathie und Kommunikationsfähigkeit. Heynckes steht spätestens jetzt auf einem Level mit Franz Beckenbauer und Ottmar Hitzfeld. Die zeichnet aus, dass sie nicht nur fachlich gut sind, sondern auch gute Persönlichkeiten. Auf der Welt gibt es höchstens eine Handvoll Trainer, die für den FC Bayern München infrage kommen und diese Persönlichkeit haben. Jürgen Klinsmann hatte sie zumindest damals noch nicht, Louis van Gaal wird sie vielleicht nie haben und von Felix Magath müssen wir nicht reden.

Die Empathie unterscheidet einen guten Trainer von einem herausragenden Trainer?

Ja. Du musst es menschlich auf die Reihe kriegen. Es gibt Grundbedürfnisse, die alle Menschen haben. Eines davon ist, dass sie dazugehören wollen. Den vielen Spielern, die nicht spielen können in einer so guten Mannschaft, muss ich mit wahnsinnig viel Empathie begegnen. Ich brauche viel Zeit fürs Gespräch, einfach eine gute Kommunikationskompetenz. Dann stellen sie sich trotzdem in den Dienst der Mannschaft, wie der Arjen Robben. Matthias Sammer hat das gut erklärt: Individualisten schreien nach Liebe. Stars sind häufig Individualisten, trotzdem brauchen die ein Verbundenheitsgefühl.

Kommt Heynckes mit dem Typus des Individualisten besonders gut klar?

Diese Einzelgänger sind Menschen, die frei sein wollen, Unabhängigkeit brauchen. Das sind Einzelsportler in einer Teamsportart, Oliver Kahn ist ein Paradebeispiel. Diesen Sportlern kann ich aber trotzdem eine Teamfähigkeit antrainieren, denn kein Mensch will einsam sein. Ein Individualist hat seine eigenen Ziele, und ich muss ihm erklären, wie er die erreicht, indem er sich in das Teamziel investiert.

Und wie kann man das erreichen?

Wenn ich ihn dabei emotional ansteuere und ihn nicht nur belehre, dann habe ich diese Chance. Da muss man sehr strategisch vorgehen, ihn auch immer gleich loben und begünstigen, wenn er das richtig macht. Arjen Robben ist egoistischer als andere, und der muss auch so spielen, Gleichmacherei hilft da nicht. Aber er muss auch dazulernen, dass er noch viel mehr Anerkennung kriegt als für seine Alleingänge, wenn er auch im Defensivbereich für die Mannschaft arbeitet.

Auch Heynckes scheint die Anerkennung sehr wichtig zu sein. Er hat pikiert reagiert, als man ihn fragte, ob er sich Tipps bei seinem Nachfolger Pep Guardiola holen würde.

Jupp Heynckes erwartet absoluten Respekt, weil er selbst auch wahnsinnig respektvoll mit Menschen umgeht. Das ist auch ein Grund, warum er da sehr stark die Stacheln ausgefahren hat. Wer ist denn Pep Guardiola im Vergleich zu Jupp Heynckes? Das ist ein junger Trainer mit hohem Potenzial, der aber bisher in einem einzigen Klub Erfolge hatte, in dem das fast ein Selbstläufer war. Jupp Heynckes hat das über Jahrzehnte in vielen Ländern und Klubs gezeigt. Er sieht sich dort zu Recht auf Grund seiner Erfahrung auf einem anderen Level. Dass er da jetzt hingestellt wird, als ob er sich Tipps holen muss, das ging ein bisschen gegen sein Ego, aber vor allem gegen sein Respekts- und Wertschätzungsgefühl.

Hat es Heynckes mit der Mannschaft zusammengeschweißt, dass er quasi zum Aufhören gezwungen wurde?

Man kann in solchen Situationen immer zwei Entscheidungen treffen. Man kann ein bisschen abschenken im Kopf und sagen: Ist eh wurscht. Auf der anderen Seite, und das zeigt seine unheimliche Klasse und Persönlichkeit, kann man das als Anreiz nehmen und sagen: Jetzt erst recht. Und noch konsequenter arbeiten. Er wollte seine Karriere krönen, das hat bestimmt noch mal die letzten zwei, drei Prozent freigesetzt, bei den Spielern auch. Ich glaube, dass er dabei auch deutlich über seine eigenen Grenzen gegangen ist, zumindest war er am Limit.

Heynckes sagt, er hört auch aktuelle Musik wie Lady Gaga, um den Kontakt zu den Spielern nicht zu verlieren. Warum ist das so wichtig?

Heynckes will eine Mischung aus Trainer, Vaterfigur und so etwas wie einem großen Bruder sein. Väterlicher Freund ist vielleicht der richtige Begriff. Dazu muss er verstehen, was bei den jungen Leuten abgeht. Da muss ich mich schon ein bisschen auf das Niveau der Leute begeben, auf das Sprachniveau, auf die Art und Weise, wie sie denken und fühlen. Ansonsten erreiche ich die teilweise nicht mehr. Das macht auch Jürgen Klopp so erfolgreich. Er sieht sich fast schon als Teil des Teams. Auch Heynckes versucht da die Nähe zu halten, um modern und frisch zu bleiben im Kopf.

Das Gegenbeispiel wäre Felix Magath, der seit jeher Autorität über alles stellt.

Ja, Magath und Louis van Gaal sind der Gegenentwurf zu Heynckes und Klopp. Magath sieht sich nicht als Teil des Teams, der regiert von außen, mit vielen Spielern spricht er überhaupt nicht. Ich glaube, dass dieser Führungsstil am Ende ist. Die neue Generation ist kommunikativer und schätzt Verbundenheit und Nähe sehr viel mehr. Das ist ein Erfolgsgeheimnis vor allem in Mannschaften mit vielen Stars, die schon viel erreicht haben und denen man nicht mehr alles erzählen kann. 18-Jährige hängen an deinen Lippen, die kannst du schnell verbrennen. Aber Nachhaltigkeit sieht anders aus, das sieht man ja an Magaths Karriere.

Der FC Bayern München ist aber auch nicht unbedingt empathisch mit Jupp Heynckes umgegangen, nachdem feststand, dass Guardiola kommt. Heynckes regte sich darüber auf, dass ihm Posten angeboten wurden, von denen er noch nie gehört hatte.

Ja, in dem Bereich kann auch der Klub noch was lernen. Aber auch bei Bayern setzt sich die Erkenntnis durch, dass es nur über Beziehungen, Empathie, Verbundenheit und Kommunikation geht und nicht über knallharte Hierarchien und Leistungsziele. Lustigerweise ist gerade der neue Sportdirektor Matthias Sammer, der als der ganz harte Motzki, Nörgler, Optimierer gilt, einer, der das schon länger verstanden hat. Und der das auch in die Köpfe der Münchner Spieler gebracht hat. Das ist einer seiner größten Erfolge.

Steffen Kirchner, 31, betreute als Mentaltrainer die deutsche Turner-Nationalmannschaft sowie diverse Profisportler. Als Manager wurde er 2008 Volleyball-Meister mit Vilsbiburg.

Das Interview führte Christian Hönicke.

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