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Der Beste des Spiels.

© dpa

Sport: Überkandidelt im Raum

Ein steril agierendes Spanien muss erkennen, dass Italien seine Spielweise entschlüsselt hat.

Andres Iniesta stand mit seinen knapp Einssiebzig Körpergröße etwas verloren im Raum. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, ehe der Uefa-Offizielle seine Lobhudelei über einen der besten Fußballer des Planeten im Allgemeinen, und den besten Spieler des Abends im Besonderen beendet und Iniesta die beinhohe, aber reichlich belanglose Trophäe überreicht hatte. Der 28-Jährige war zum Spieler des Spiels ausgerufen worden. Aber nun begannen die wahren Probleme: Wohin mit dem überkandidelten Ding aus Chrom?

Iniesta schob ihn erst einmal unter die mächtige Verkleidung des Podiums, auf das er sich setzte. „Wir hatten ein paar Fehler im Spiel, aber Italien hat gezeigt, dass sie nicht nur gut verteidigen können“, sagte der kleine, freundliche Spanier nach einem aufregenden 1:1. Auf das nächste Spiel angesprochen, dass der Welt- und Europameister am Donnerstag in Danzig gegen Irland zu bestreiten hat, sagte er: „Es geht nicht so sehr um den Gegner. Der Schlüssel zum Sieg liegt bei uns.“

Inzwischen hatte ein Presseoffizier der Uefa die riesige Trophäe irgendwie unter der Verkleidung hervorgeholt und Iniesta vor die Nase gehievt. Der Spanier lächelte. Ein bisschen war es so, wie zuvor auf dem Rasen des Danziger EM-Stadions. Es ist meist hübsch anzuschauen, was sie mit den Ball anstellen. Und auch diesmal kombinierten sie gekonnt, hatten mehr Ballbesitz, aber am Ende durften sich die Italiener wie Sieger fühlen. Sie hatten Iniesta und Co. ein schlaues System entgegengesetzt.

Es war ein herrlich intensives und taktisch anspruchsvolles Spiel, was die beiden letzten Weltmeister der Jahre 2006 und 2010 den knapp 40 000 Zuschauern boten. Antonio Di Natale hatte nach gut einer Stunde und einem Traumpass von Andrea Pirlo die Führung für die Italiener erzielt, drei Minuten später traf Cesc Fabregas nach einem wunderschönem Pass von David Silva zum 1:1.

Spaniens Trainer Vicente del Bosque hatte erstmals seit seiner Amtsübernahme vor vier Jahren mit einer Null-Stürmer-Taktik überrascht. Vom FC Barcelona kennt man dieses System. Anstelle von Fernando Torres bot der 61-Jährige in Fabregas einen sechsten Mittelfeldspieler auf. „Fabregas ist zwar Mittelfeldspieler, aber ein sehr spezieller. Ich wollte seine Vorteile ganz vorne ausprobieren“, sagte del Bosque. Drei der sechs Mittelfeldspieler stießen wechselseitig immer mal wieder in die Spitze, jedoch vorzugsweise Fabregas. Ob das aber der letzte Schrei ist, darüber ließe sich streiten. Jose Mourinho etwa, der Trainer von Real Madrid, sagte: „Die Mittelfeldspieler waren sehr gut. Aber das Spiel ohne Stürmer wirkte steril.“

Für die letzten zwanzig Minuten kam dann Fernando Torres für Fabregas ins Spiel. Und mit ihm mehr Variabilität und Wucht. Und da auch die Iniestas und Xavis bewiesen, dass sie neben einem gepflegten Kurzpassspiel den langen Ball über 20, 30 Meter in den Füßen haben, erspielten sich die Spanier deutliche Chancen. Bis dahin hatten die Italiener ein Rezept gefunden, gegen die sonst so erdrückende Dominanz der Spanier. Italiens Trainer Cesare Prandelli ließ mit einer Dreier-Kette in der Abwehr verteidigen gegen den Null-Mann-Sturm. Und gewann so einen Mann für das Mittelfeld hinzu. Wenn die Spanier in Ballbesitz waren, zogen sich die beiden Außenspieler Italiens, Christian Maggio und Emanuele Giacherini, zurück und formten eine Fünfer-Abwehrreihe, in deren Zentrum Daniele De Rossi als freier, quasi zusätzlicher Absicherer agierte. Der Römer ist gelernter Mittelfeldspieler, aber stark in der Balleroberung. In Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci hatte der 28-Jährige zwei kompromisslose Innenverteidiger herkömmlicher Prägung an seiner Seite. Wann immer die Italiener in Ballbesitz waren, schwärmten die beiden Außenspieler Maggio und Giacherini aus und boten weitere Anspielpunkte, die Spanien oft in Not brachten.

„Es hat mich geärgert, dass wir so schnell den Ausgleich hinnehmen mussten“, sagte Prandelli. Sein Team hat bewiesen, dass es trotz aller Verletzungssorgen, Wettskandal und dreier zum Teil heftiger Testspiel-Niederlagen rechtzeitig in Tritt gekommen ist. „Wir sind geistig und körperlich gewachsen“, sagte Prandelli. Er hatte das Amt 2010 übernommen, nachdem eine überalterte Squadra Azzurra bei der WM förmlich überrannt worden war. Für Joachim Löw kommt die Entwicklung nicht überraschend. Das runderneuerte Team habe wieder eine „ganz andere Kraft“, sagte der Bundestrainer gestern und stand damit gar nicht verloren da.

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