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Willi Lemke, 68, ist seit 2008 UN-Sonderberater für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung. Zuvor war er Senator in Bremen und Manager des Fußballklubs Werder Bremen.

© dpa

UN-Sonderberater Willi Lemke: „Einen Boykott muss man genau prüfen“

UN-Sonderberater Willi Lemke spricht im Interview über mögliche Maßnahmen der EU gegen die Fußball-WM 2018 in Russland.

Von Christian Hönicke

Herr Lemke, die Europäische Union hat laut der Zeitung „El País“ intern über darüber diskutiert, ihren Mitgliedsländern einen Boykott der WM 2018 in Russland zu empfehlen. Was halten Sie davon?

Ich denke, dass das nicht empfehlenswert ist. Die Politik sollte sich nicht in die Belange des Sports einmischen. Das ist auch noch vier Jahre hin, man weiß gar nicht, was bis dahin passiert. Sonst loben wir immer die Unabhängigkeit der Sportgremien, und so eine Frage sollte nicht die EU ohne die Verbände entscheiden.

Ist ein Sport-Boykott ein generelles Tabu?

Nein, das ist kein Tabu. Die Frage ist, wann ein Boykott angemessen ist. Ich finde, zum jetzigen Zeitpunkt ist er nicht angemessen.

Gibt es ein Szenario, in dem ein Boykott aus Ihrer Sicht Sinn machen würde?

Das muss man genau prüfen. Aber ich kann nicht drei oder vier Jahre im Voraus Empfehlungen aus der Politik annehmen, eine WM zu boykottieren. Zunächst sollte die weitere Entwicklung abgewartet werden.

Der deutsche Bundespräsident Gauck hat in Richtung Russland gesagt: „Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen.“

Zählt dazu nicht auch der Sport?

Ich sehe dabei nicht den Bereich der Kultur oder des Sports konkret angesprochen.

Aber deutsche Olympiateilnehmer zum Beispiel sind beim Innenministerium angesiedelt und werden mit Steuermitteln bezahlt. Kann der Sport da wirklich immer darauf verweisen, unpolitisch zu sein?

Einerseits können wir dankbar sein für die hervorragende Unterstützung unserer Spitzenathleten, andererseits sollten wir die Sportler nicht dafür in Geiselhaft nehmen. Ich finde es nicht angemessen, wenn Politiker jetzt den Sport auffordern, sich politisch zu positionieren. Das geht nicht.

Setzt es die Sportverbände nicht zumindest moralisch unter Druck, wenn der Bundespräsident den Präsidenten des Ausrichterlandes indirekt als „Aggressor“ bezeichnet?

Dem Bundespräsidenten stehen solche politischen Aussagen zu, er kann Putin als Aggressor bezeichnen. Das heißt aber nicht, dass er gleichzeitig gefordert hat, dass zum Beispiel die deutsche Mannschaft nicht zur Fußball-WM fahren soll.

Der Sport sollte sich also aus solchen Konflikten einfach heraushalten?

Ich finde, man sollte unbedingt versuchen, weiterhin Kommunikation und Begegnung stattfinden zu lassen. Dafür bieten sich besonders die Bereiche der Wissenschaft, der Kultur und des Sports an. Ich bin ganz froh, dass Bundespräsident Gauck das nicht von vornherein ausgeschlossen hat. Ich sage: Wir müssen deeskalieren und nicht weiter eskalieren. Der Sport kann vielleicht nicht Panzer aufhalten, aber er hat die Kraft, Menschen zusammenzubringen. Ich kann mit Boykotten nichts anfangen. Sie können ja nachlesen, wie der Boykott von 1980 in Moskau heute von Sportlern und Politikern bewertet wird. Man muss diesen Fehler nicht wiederholen.

Teilen Sie nicht dennoch die Befürchtungen, dass Putin die Fußball-WM 2018 zu seinen Zwecken inszeniert?

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Fifa-Präsident Joseph Blatter überreichte dem russischen Regierungschef Wladimir Putin 2011 eine Miniatur des WM-Pokals.
Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Fifa-Präsident Joseph Blatter überreichte dem russischen Regierungschef Wladimir Putin 2011 eine Miniatur des WM-Pokals.

© AFP

Grundsätzlich nutzt jede Regierung in ihrem Land stattfindende internationale Sportgroßveranstaltungen auch für ihre politischen Absichten. Und das geschieht auf unterschiedliche Weise. In welcher Form das in vier Jahren in Russland der Fall sein wird, kann ich heute noch nicht abschätzen. Jetzt bereits massive Kritik an einer in vier Jahren stattfindenden WM zu üben, erinnert mich stark an die vielen kritischen Stimmen vor den Fußball-Weltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien. Letztendlich haben diese Turniere eine weltweit positive Resonanz erfahren.

Das Gespräch führte Christian Hönicke

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