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Männergespräch. Kevin Großkreutz (rechts) im feinsinnigen Dialog mit Gerald Asamoah. Foto: dpa

© dapd

Sport: Unflätiges Nachtgebet

Nach Dortmunds hitzigem Pokalsieg in Fürth geraten Spieler beider Mannschaften aneinander.

Der tragische Held des Abends trägt Orange, es leuchtet so grell in die fränkische Nacht, dass es der Gegner schon als optische Provokation wahrnehmen kann. Eine Minute ist noch zu spielen in der Verlängerung dieses Halbfinaldramas im DFB-Pokal zwischen der SpVgg Fürth und Borussia Dortmund. Eine Minute, an deren Ende alles anders sein wird und nach der niemand mehr sprechen wird vom vorherigen 119-minütigen Kampf des Zweitligisten gegen den Deutschen Meister.

Es wird in den späteren Rezensionen nur noch um Provokationen gehen. Um die späte Einwechslung des Fürther Ersatztorhüters, das noch spätere und von eben diesem Ersatztorhüter begünstigte Dortmunder 1:0-Siegtor und eine sich anschließende rhetorische Auseinandersetzung auf dem Rasen. Auf Seiten der Fürther fallen Worte wie „beschämend“ und „peinlich“, sie sprechen von rassistischen Ausfällen des Dortmunders Kevin Großkreutz und fehlendem Charakter. Die Dortmunder wiegeln ab und nutzen doch die nächstbeste Gelegenheit, den Gegner zu provozieren. Später, im Kabinentrakt, als sie den Einzug ins Berliner Finale feiern und dazu laut und lange grölen: „Torwartwechsel, Torwartwechsel!“

Mit dieser Rochade in den finalen Sekunden der Verlängerung nimmt das Drama seinen Lauf. Eine Wechseloption hat Mike Büskens noch. Der Fürther Trainer nutzt sie nicht zur Verstärkung seiner Abwehr, die in den letzten Minuten doch bedenklich wackelt und die Bälle nur noch unkontrolliert nach vorn drischt. Der Fürther Trainer denkt weiter, an das fest eingeplante Elfmeterschießen, in dem Jasmin Fejzic die Hauptrolle spielen soll. Der Nürnberger Trainer Hans Meyer hat das mal so gemacht – mit dem Effekt, dass sein Ersatztorhüter Daniel Klewer zwei Elfmeter gegen Hannover hielt und der Club ein paar Monate später den Pokal gewann. Doch Büskens wird in dieser Nacht kein Meyer und Fejzic kein Klewer. Der Fürther Ersatztorhüter blickt zurück auf die Erfahrung eines Zweitligaspiels, „aber im Training hält er sensationell beim Elfmeterschießen“, sagt Büskens. Also schickt er ihn in Minute 119 auf den Platz. Einen leuchtend orangenen Bosnier, von dem die Dortmunder wahrscheinlich noch nie gehört haben. Wie viel fußballtechnisches Kalkül steckt hinter diesem Zug? Oder soll er den Gegner nur verunsichern, ihn lächerlich machen?

Gedankenspiele im theoretischen Raum, über die sich die Wirklichkeit nicht schert. Weit nach vorn drischt Torhüter Roman Weidenfeller den Ball, er flitzt hin und her wie eine fliegende Flipperkugel, denn die entkräfteten Fürther haben die Kontrolle verloren. Noch ein Querschläger, er fliegt Großkreutz vor die Füße. Der lange Dortmunder dribbelt am linken Strafraumeck und sieht in der Mitte Ilkay Gündogan. Pass, Annahme, Schuss. Fejzic fliegt, aber er bekommt die Hand nicht mehr an den Ball, der erst gegen den Pfosten und von dort an den Hinterkopf des orangenen Fliegers prallt. In einer letzten Volte trudelt der Ball aufreizend langsam über die Torlinie. 15 500 in ihrer überwiegenden Mehrheit den Fürthern zugeneigte Zuschauer verstummen, nur im Dortmunder Fanblock, weit hinten an der anderen Seite des Platzes, brennt ein einsames bengalisches Feuerchen.

Dann ist Schluss, jedenfalls mit dem sportlichen Teil, und es beginnt die rhetorische Aufbereitung. Kevin Großkreutz flitzt über den Platz, er feiert seine siegbringende Vorlage, nicht ohne den Fürther Gerald Asamoah in sein Nachtgebet einzuschließen. Fürths Verteidiger Mergim Mavraj will dabei als Ohrenzeuge rassistische Beschimpfungen gehört haben. Asamoah sagt, dass er lieber schweigt, „zu dem Typen fällt mir nichts mehr ein“.

Dazu muss man wissen, dass der in Ghana geborene Asamoah sein halbes Leben lang für den Dortmunder Erzfeind Schalke 04 gekickt und in dieser Zeit mal angekündigt hat, im Falle einer in Dortmund gewonnen Meisterschaft würde er gern zu Fuß zurück nach Gelsenkirchen laufen. „Das kann er jetzt gern wieder machen“, sagt Großkreutz, er ist Dortmunder von Geburt und stand zu Asamoahs Schalker Zeiten auf der Südtribüne des Westfalenstadions. Und was ist mit dem von Mavraj angeführten Rassismus-Vorwurf? Blödsinn, „wer mich kennt, der weiß, dass ich so etwas nie sagen würde“.

Unausgesprochen und doch allgegenwärtig schwebt über allem eine vier Jahre alte Fehde zwischen Gerald Asamoah und Roman Weidenfeller. Der Dortmunder Torhüter soll den Schalker Stürmer als „schwarze Sau“ beschimpft haben, was er bis heute bestreitet, ihm damals aber in einem Indizienprozess eine Sperre von drei Spielen einbrachte.

Fürths Trainer Büskens, auch er mit Schalker Vergangenheit behaftet, schlägt sich jedenfalls sofort auf Asamoahs Seite. „Ich finde das beschämend“, sagt Büskens. „Derjenige ist bekannt dafür, dem wird das egal sein. Man muss auch in der Niederlage Größe zeigen, aber sollte das auch im Siegesfall machen.“ Worauf sein siegreicher Kollege Jürgen Klopp erwidert, es möge doch bitte niemand „über Kevins Charakter urteilen, der ihn gar nicht persönlich kennen gelernt hat“.

Das hätte ein staatsmännisches Schlusswort sein können. Doch auch Klopp liebt das Spiel mit der rhetorischen Zuspitzung, also hat auch er etwas für den Kollegen Büskens parat, und es geht dabei, natürlich, um die vom Fürther Trainer erhoffte Angst der Dortmunder vorm Elfmeter: „Die haben sich zu früh auf das Elfmeterschießen eingestellt.“ Und: „Ich fand es schon lässig, dass wir da nochmal aufs Tor geschossen haben und der Ball auch noch reingegangen ist.“

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