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Ein Herthaner in Köpenick. Sascha Grützner fällt mit seinem blauen Schal im Berliner Südosten auf. Die Sympathien gehören hier eindeutig dem 1. FC Union. Foto: Darmer

© DAVIDS/Darmer

Vor dem Stadtderby Hertha gegen Union: Der Feind in meinem Viertel

Sascha Grützner wohnt in Köpenick und ist Fan von Hertha. Die Charlottenburgerin Ewa Firley dagegen hält zu Union – zwei Ortstermine mit Berliner Fans, die es in den falschen Kiez verschlagen hat.

Ein Häuserblock in Berlin-Köpenick: Der Wind bläst eiskalt um die Ecken, Sascha Grützner zieht den Reißverschluss seiner Jacke nach oben. Sein blau-weißer Schal ist nun komplett verdeckt. „Ist besser so“, murmelt er. Blau und Weiß, das sind die Farben des Berliner Zweitligisten Hertha BSC und für Sascha Grützner eine Lebenseinstellung.

Der 28-Jährige ist Hertha-Fan, wohnt aber in Köpenick, mitten im Hoheitsgebiet des Rivalen 1. FC Union. Am Sonnabend treffen beide Mannschaften im Olympiastadion aufeinander, seit Tagen elektrisiert das Spiel die ganze Stadt . Vor allem in Köpenick wird über nichts anderes geredet. An einer Imbissbude besprechen zwei Rentner schon einmal vorsorglich die Aufstellung des 1. FC Union, ein Graffiti am S-Bahnhof Köpenick macht klar, wem hier die Sympathien gehören: dem „FCU“. In Köpenick kommt man als Union-Fan zur Welt oder wird es im Laufe seines Lebens. Wer hier als Anhänger von Hertha BSC durch die Straßen läuft, fällt auf. So wie Sascha Grützner. Als er seine Jacke wieder einen Spalt breit öffnet, schaut ein Passant verdutzt auf den blau hervorlukenden Schal. Bis zur Alten Försterei sind es nur noch wenige Fußminuten.

Am Stadion des 1. FC Union angekommen spielt Grützner ein entsetztes Schaudern, dann fällt die Maskerade. Er muss lachen: „Mal ganz ehrlich“, hebt Grützner an. „Dieses ganze Gerede von Hass und Abneigung ist doch Blödsinn. Ich habe überhaupt nichts gegen Union. Ich bin Hertha-Fan durch und durch, aber deshalb muss ich Union doch nicht gleich hassen.“

Union-Fan aus Charlottenburg: Ewa Firley
Union-Fan aus Charlottenburg: Ewa Firley

© Thilo Rückeis

Worte, die so ähnlich auch von Ewa Firley stammen könnten. Sie ist Fan des 1.FC Union, wohnt aber in Charlottenburg – einem Stadtteil, in dem das Olympiastadion steht und dessen Bewohner traditionell Hertha BSC zugewandt sind. Ewa Firley ist in gewisser Weise das Pendant zu Sascha Grützner. Beide wohnen in Gegenden, in denen sie mit ihrer Liebe zum „falschen Verein“ auffallen. „Ein Problem ist das nicht“, sagt Firley. „Mich hat noch niemand schief angeguckt, wenn ich mit meinem Union-Schal durch die Gegend gefahren bin. Ich habe auch überhaupt nichts gegen Hertha, ich freue mich sogar für die, sollten sie aufsteigen. Nur am Sonnabend drücke ich natürlich Union die Daumen.“ Ewa Firley ist 26 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Aus Fußball hat sie sich lange nichts gemacht, bis ein Arbeitskollege die junge Frau mit ins Stadion An der Alten Försterei nahm. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Firley. „Die Atmosphäre im Stadion und das Miteinander der Fans haben mich nicht mehr losgelassen.“

Wann immer es die Zeit erlaubt, fährt Ewa Firley mit ihrem Vater ins Stadion nach Köpenick. Bei Union hat sie Gleichgesinnte getroffen und Freundschaften geschlossen. Ihre Liebe zum Verein konnte auch der Umzug nach Charlottenburg auf keine Probe stellen. Die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte die gebürtige Polin, deren akzentfreies Deutsch sogar ohne gerolltes R auskommt, in Neukölln. Dann zog sie nach Charlottenburg, in den Einzugsbereich von Hertha und fühlt sich dort rundum wohl.

Ein Umzug war es auch, der Sascha Grützner nach Köpenick verschlug. Der gebürtige Steglitzer lebte einige Jahre in Lübeck, ehe er eine Frau kennenlernte und der Liebe wegen im Berliner Südosten heimisch wurde. „Zuerst war mir bei dem Gedanken, nach Köpenick zu ziehen, nicht wohl“, erzählt Grützner. Der schmächtige junge Mann entstammt einer richtigen Hertha-Familie, seine Mutter geht seit über 40 Jahren regelmäßig ins Olympiastadion. Sie war es auch, die ihren Sohn das erste Mal mit ins Stadion nahm. 1992 war das, Hertha verlor gegen Bayer Uerdingen 0:5, doch das Ergebnis war Sascha Grützner egal. „Das Erlebnis Livefußball hat mich so fasziniert, dass ich immer wieder zu den Hertha-Spielen wollte.“

Heute findet Sascha Grützner es schade, dass er nicht schon zwei Jahre früher mit ins Stadion genommen wurde. Am 27. Januar 1990 trafen sich Hertha BSC und der 1. FC Union zu einem historischen Freundschaftsspiel im Olympiastadion. 51 270 Zuschauer waren an diesen grauen Januartag gekommen, um das Spiel zwischen dem Bundesligisten und dem DDR-Klub zu sehen. Beide Fanlager waren sich in Sympathie, ja Freundschaft verbunden. Unter dem Motto „Hertha und Union – eine Nation“, versuchten die Menschen im lange geteilten Berlin eine Annäherung über den Sport. Doch genau wie die Wendeeuphorie verlor sich auch die Fanfreundschaft zwischen Hertha und Union im Nichts. Aus Sympathie wurde Ablehnung, aus Liebe Hass.

„Das finde ich sehr schade“, sagt Sascha Grützner, der als Vorsitzender des Fanklubs „Die treuen Herthaner“ auch einen guten Kontakt zu Anhängern des 1. FC Union pflegt. Er war im Stadion, als die Alte Försterei nach ihrem Umbau mit einem Freundschaftsspiel gegen Hertha eingeweiht wurde. Zuvor hatten Unions Fans bei der Renovierung des Stadions fleißig mitgeholfen. „Dafür habe ich größten Respekt übrig“, sagt Grützner.

Später nippt er an einer Cola im „Hauptmann von Köpenick“. Die Kiezkneipe ist bei Union-Fans beliebt, an Spieltagen ist die Lokalität immer voll, anstatt Cola wird dann hauptsächlich Bier geordert. Grützner hat seine Jacke abgelegt, der blau-weiße Herthaschal ist gut sichtbar. Vier Jugendliche kommen zur Tür rein, zwei von ihnen tragen Fanutensilien des 1. FC Union. Sie werfen Grützner einen verächtlichen Blick zu, dann ziehen sie weiter. „Diese gekünstelte Abneigung kommt hauptsächlich von den jungen Fans“, sagt Grützner. „Dabei haben die eigentlich keinen Grund, den anderen Verein zu hassen. Unter vielen Älteren herrscht lediglich eine gesunde Rivalität, ansonsten ist das Verhältnis zwischen Herthanern und Unionern intakt.“

Sascha Grützner und Ewa Firley werden beide am Sonnabend im Olympiastadion das Spiel verfolgen. Sie kennen sich nicht und doch ähneln sich ihre Geschichten. „Hertha und Union – eine Nation“, dieser Spruch gehört inzwischen der Vergangenheit an. Ganz vergessen ist er anscheinend nicht.

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