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Sport: Unmotiviert glücklich

Australiens Schwimmstar Ian Thorpe beendet mit 24 Jahren seine Karriere und fühlt sich frei

Die Erleichterung war ihm anzusehen: Ian Thorpe scherzte, er lachte, grinste, schmunzelte und kniff vergnügt die Augen zu. Sieht so ein Mensch aus, der gerade eine der schwersten Entscheidungen seines Lebens gefällt und sich gegen das Gewohnte und für das Unbekannte entschieden hat? Offenbar ja. Der australische Schwimmstar gab gestern fünf Wochen nach seinem 24. Geburtstag in Sydney seinen Rücktritt bekannt. Als „boy in the bubble“ ist er einmal bezeichnet worden, ein Vergleich mit hochallergischen Kindern, die aus Angst vor äußeren Einflüssen in einer klimatisierten Blase leben, zwar mit Blick aufs richtige Leben, aber ohne echten Kontakt. Jetzt hat der Junge die Blase platzen lassen und gibt sich den Berührungen von außen preis.

Thorpe ist froh darüber und ein bisschen aufgeregt. „Es war eine schwierige Entscheidung, aber eine, auf die ich sehr stolz bin“, sagte Thorpe vor rund 200 Journalisten. „Glücklich“ sei er, „zufrieden“ und „gespannt“, jetzt, wo alles vorbei sei und gleichzeitig neu anfange. Am Sonntag sei die endgültige Entscheidung gefallen, berichtete der fünfmalige Olympiasieger. Zunächst habe er nur vorgehabt, die australischen WM-Ausscheidungskämpfe Anfang Dezember in Brisbane und damit auch die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Melbourne im März abzusagen. Immer mehr aber sei ihm klar geworden, dass Schwimmen nicht mehr an der Spitze seiner Prioritätenliste gestanden habe, und das sei noch nie so gewesen.

Im Gegenteil, Thorpe wurde von frühestem Alter an eine manchmal geradezu unheimliche Professionalität nachgesagt, zur Verblüffung seiner Eltern, die nie Druck auf ihn ausübten. 1998 wurde er als 15-Jähriger zum jüngsten Weltmeister der Schwimmgeschichte über 400 Meter Freistil. Im Jahr 2000 hielt er bei den Olympischen Spielen in Sydney vor heimischen Publikum den Erwartungen seiner Landsleute stand, wenn er sich auch über 200 Meter Freistil dem Holländer Pieter van den Hoogenband beugen musste. Obwohl er nach Olympia 2004 in Athen mit insgesamt neun Medaillen der erfolgreichste australische Olympionike war, wurde er in Australien nie zu einem wirklich volkstümlichen Helden. Während die Schwimmlegende der fünfziger und sechziger Jahre, Dawn Fraser, immer schon liebevoll „unsere Dawn“ genannt wurde, blieb der Hüne im schwarzen Rennanzug stets „Thorpedo“.

Nicht zuletzt die Tatsache, dass Thorpe fast zu makellos war, ließ dem Respekt für ihn stets ein bisschen an Wärme fehlen. Nie hätte er wie Fraser seinerzeit im betrunkenen Zustand eine Olympiafahne gestohlen oder sich vehement mit den Funktionären angelegt. Thorpe war immer auch ein schwimmender Schöngeist, jettete schon mal erster Klasse neben Angelina Jolie sitzend um die Welt, machte den Botschafter für Edelschneider Armani, gab seine eigene Perlenschmuckkollektion für Männer heraus und trug ständig wechselnde, manchmal bizarre Frisuren. Dass er damit im sonst eher rauen australischen Sportgeschäft schnell als schwul galt, störte ihn kaum. Das ehre ihn, so konterte Thorpe geschickt, zwar sei er nicht homosexuell, aber schließlich sei ja bekannt, dass Schwule meist einen besonders guten Geschmack hätten. Bei Sponsoren war Thorpe jederzeit beliebt, nach Insiderinformationen hat er im Jahr umgerechnet rund drei Millionen Euro verdient.

Um Thorpe hatten sich in den letzten Monaten immer mehr Gerüchte gerankt. Nach einer einjährigen Pause nach den Olympischen Spielen in Athen war er nie wieder in die tägliche Routine eingetaucht, die sein Leben seit frühester Jugend ausgemacht hatte, Erkrankung und Verletzungen taten ein Übriges. Als letzten Versuch entfloh er in die Hügel von Hollywood und versuchte, seinen Schwimmstil umzustellen. Dick und nachlässig sei er geworden, zu diversen Trainingseinheiten gar nicht erst erschienen, berichteten Reporter, die extra aus Australien losgeschickt worden waren, um ihn in Kalifornien aufzuspüren. Alles Lüge, entgegnete Thorpe in einem seiner seltenen Interviews.

Aber tatsächlich war ihm die Motivation abhanden gekommen. Thorpe war ein Sportler gewesen, dem man stets glaubte, dass nur er selbst sich Ziele setzte und die Erwartungen anderer keine Rolle spielten. Nun sei er an dem Punkt angekommen, an dem andere es mehr wollen als er selbst, und dies sei der Moment zum Aufhören. „Dies ist zwar nicht die beste Zeit für einen Rücktritt, aber meine Zeit“, sagte er.

Alexander Hofmann[Sydney]

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