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Du bist raus. - Du aber auch! Nach Kevin-Prince Boateng (rechts) muss auch Roberto Di Matteo den FC Schalke verlassen.

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Update

Unser Blog zum Bundesliga-Wochenende: FC Schalke 04: Wer wird Nachfolger von Di Matteo?

Und wieder einmal geht ein Fußballjahr zu Ende. Ein Rück- und Ausblick auf den Hamburger SV, Darmstadt 98, Hertha BSC, die TSG Hoffenheim und Stuttgarts neuen Trainer Alexander Zorniger.

16:50 Uhr: Es gibt neue Nachrichten vom FC Schalke 04. Um 15:30 Uhr hat die Deutschen Presseagentur vermeldet, dass es nichts Neues von Roberto Di Matteo gibt. Der inoffiziell entlassene Trainer ist offiziell weiter im Amt. In Hoffenheim werden sie jetzt wahrscheinlich sagen: Lieber keine Seele als Schalker Verhältnisse.

Obwohl es noch nicht einmal eine Bestätigung von Di Matteos Abgang gibt (ehrlich gesagt aber auch wenig dafür spricht, dass er im Amt bleiben darf), wird längst munter über seinen möglichen Nachfolger spekuliert. Es hat schon etwas Tragikomisches, das ausgerechnet der Trainer, der jahrelang als Wunschkandidat des Klubs galt, jetzt nicht mehr auf dem Markt ist. In Schalke haben sie ja, auch wenn sie das nie zugeben würden, immer ein wenig neidisch nach Dortmund geschaut, wo Jürgen Klopp einen ruinierten Traditionsverein mit einer klaren Idee und einer schlüssigen Spielphilosophie wieder nach oben geführt hat.

Ein Trainer, dem man Ähnliches auch in Schalke zugetraut hätte, wäre Thomas Tuchel gewesen. Um ihn hat der Klub in der Vergangenheit wohl auch schon mehrmals gebuhlt. Bis vor ein paar Wochen war Tuchel sogar noch auf dem Markt, aber die Schalker hatten ja keinen Bedarf, weil sie den Trainerposten mit dem früheren Champions-League-Sieger Di Matteo erstklassig besetzt wähnten. Jetzt aber, da sie plötzlich doch wieder Bedarf haben, ist Tuchel leider schon vergeben. Und dass er zu Borussia Dortmund wechselt, macht die Sache auch nicht besser.

Auf der Liste der möglichen Di-Matteo-Nachfolger stehen vor allem die üblichen Verdächtigen von Mike Büskens (Ex-Schalker) bis Armin Veh (Kumpel von Manager Horst Heldt). Am interessantesten erscheint mir in diesem Zusammenhang noch der Name Sascha Lewandowski, der bei Bayer Leverkusen zweimal als Chefcoach gearbeitet hat und zuletzt für den Nachwuchs verantwortlich war. Lewandowski hat offiziell verkündet, dass er wieder Lust verspürt an einem Posten in der Bundesliga und entsprechende Bewerbungen gerne entgegennimmt. Seine Bilanz mit Leverkusen kann sich durchaus sehen lassen, dazu kennt er sich mit jungen Spielern aus, was für das Anforderungsprofil eines Cheftrainers bei der Schalke keine ganz unwichtige Rolle spielen sollte.

Die Frage ist, ob es bei den Schalkern überhaupt darauf ankommt, wer bei ihnen Trainer ist. Dass in der Personalie Di Matteo offenbar so schnell gehandelt wurde, lässt darauf schließen, dass jemand mit aller Macht von eigenen Fehlern ablenken möchte.

TSG Hoffenheim: Sie nennen es Bundesliga

16:05 Uhr: Von Leipzig nach Hoffenheim ist es nur ein kleiner Schritt. Die Konstellation im Abstiegskampf hat mir am Wochenende eine Dienstreise nach Sinsheim beschert. Wegen der latenten Gefahr für Hertha BSC ließ sich das leider nicht länger verhindern.

Es war für mich das erste Mal, dass ich ein Heimspiel der TSG Hoffenheim besucht habe. Ich durfte meine Vorurteile sozusagen an der Realität messen und kann jetzt sagen: Meine Vorurteile gegen die TSG haben den Realitätscheck mit Bravour bestanden.

Sie können auch Choreos. Die Fans der TSG Hoffenheim.
Sie können auch Choreos. Die Fans der TSG Hoffenheim.

© Imago

Ich will gar nichts gegen die Menschen im Kraichgau sagen. Die sind, soweit sie im Stadion für die TSG arbeiten, alle sehr nett, hilfsbereit und auskunftsfreudig, auch die Arbeitsbedingungen für Journalisten sind hervorragend (was den Normalbürger allerdings zu Recht nicht besonders interessiert). Und trotzdem bleibt ein gewisses Unbehagen.

In Soap Operas wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" oder "Verbotene Liebe" gibt (oder gab es zumindest, als ich mir das vor Jahrzehnten noch angeschaut habe) es gelegentlich Szenen, die in Kneipen spielen. Da simulieren dann irgendwelche Statisten tiefsinnige Gespräche, vom Band wird Gläserklirren eingespielt, in Wirklichkeit aber wirkt die angebliche Kneipe wie das eigene Wohnzimmer. So ungefähr bin ich mir in Sinsheim im Stadion vorgekommen. Sie nennen es Bundesliga, tatsächlich aber ist das nur die Simulation von Bundesliga.

Vor dem Spiel gegen Hertha verbreitete sich auf der Pressetribüne die Nachricht, dass Kevin Volland seinen Vertrag bei der TSG bis 2019 verlängert hat. Auf den Rängen brach großer Jubel aus, unter den Kollegen aus Berlin großes Unverständnis. Was hält einen jungen, ambitionierten Fußballer mit überdurchschnittlichen Qualitäten in Hoffenheim? Welche persönlichen Ziele verfolgt er eigentlich in den nächsten vier Jahren? In Wolfsburg, Leverkusen, Mönchengladbach oder Dortmund, denen alle ein Interesse an Volland nachgesagt wurde, hätte er im Europapokal spielen können. Hoffenheim hat die internationalen Plätze wieder einmal verpasst. Seit sieben Jahren spielt die TSG jetzt in der Bundesliga. Nie haben sie es in dieser Zeit in den Europapokal geschafft. Das ist im selben Zeitraum von den aktuellen Bundesligisten (ohne Ab- und Aufsteiger) nur noch dem 1. FC Köln passiert.

Die TSG mag vieles richtig machen: eine stringente Idee vom Fußball haben, eine erfolgreiche Jugendarbeit betreiben, ein gutes Auge haben für Talente überall auf der Welt – und trotzdem: Irgendetwas fehlt. Man kann es Leidenschaft nennen. Oder Seele.

Alexander Zorniger zeigt RB Leipzig die lange Nase

14:15 Uhr: Der VfB Stuttgart ist, was die neue Saison angeht, jetzt schon mal mindestens anderthalb Schritte weiter als der FC Schalke 04. Während es die Schalker noch nicht einmal geschafft haben, ihren alten Trainer Roberto Di Matteo offiziell zu entlassen, haben die Stuttgarter schon den Nachfolger von Jahrhundertretter Huub Stevens vorgestellt. Es handelt sich – Überraschung! – um Alexander Zorniger. Ob er mit dem VfB Titel holen wird, wird sich zeigen. Einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde sollte er allerdings schon jetzt sicher haben. Nie zuvor wurde die Verpflichtung eines neuen Trainer so oft als perfekt vermeldet wie im Fall Zorniger. Und anschließend jedes Mal aufs Neue vom Verein dementiert. (Nur am Rande: Darf Hansi Müller beim VfB jetzt eigentlich auch wieder zurück in den Aufsichtsrat?)

Und er wird es doch. Alexander Zorniger ist neuer Trainer beim VfB Stuttgart.
Und er wird es doch. Alexander Zorniger ist neuer Trainer beim VfB Stuttgart.

© dpa

Meine heimliche Genugtuung ob dieser Personalie kann ich übrigens nur schwer verbergen. Durch den Klassenerhalt des VfB arbeitet Alexander Zorniger jetzt also in der kommenden Saison in der Ersten Liga, während sein Ex-Klub Rasenballsport Leipzig sich weiterhin mit zweitklassigen Gegnern abquälen muss. Ist das nicht schön? Ralf Rangnick, dem Sportdirektor der Leipziger, konnte es gar nicht schnell genug gehen, weshalb er den eher bedächtigen Zorniger im Winter aus dem Amt geekelt hat – und jetzt muss er tatenlos mit ansehen, wie ihn sein ehemaliger Trainer mal eben rechts überholt.

Nach den bisherigen Eindrücken hat der VfB einen richtig guten Trainer verpflichtet. Zorniger hat in erheblichem Maße zum sportlichen Aufschwung der Leipziger beigetragen. Anders als seine Vorgänger, die trotz viel Geld reihenweise daran gescheitert sind, hat er Rasenballsport aus dem Verlies namens Regionalliga befreit und gleich im Jahr darauf den Durchmarsch in die Zweite Liga geschafft.

Ralf Rangnick war das aber noch nicht genug. Er wollte die dritte Stufe auch gleich noch mitnehmen, während Zorniger dafür plädiert hat, erst einmal durchzuschnaufen und vor dem Angriff auf die Bundesliga noch einmal Luft zu holen. Er wollte die Spieler, die den Aufstieg in die Zweite Liga geschafft hatten, nicht einfach kalt abservieren, um Platz zu schaffen für neue Millionenstars. Daran ist die Zusammenarbeit mit Rangnick letztlich gescheitert.
Und was haben die Leipziger jetzt davon? In der Zweiten Liga sind sie immer noch, und einen neuen Trainer haben sie auch noch nicht gefunden. Markus Gisdol ist lieber in Hoffenheim geblieben, Thomas Tuchel hat sich für Borussia Dortmund entschieden. Viel mehr gibt es nicht, die Rangnicks Gegenpressingfußball in Reinkultur spielen lassen könnte. Aber davon abgesehen: Welcher Trainer mit eigenem Profil will sich das überhaupt antun, nur ausführendes Organ des Sportdirektors Rangnick zu sein?

Die verlorene Saison von Hertha BSC

13:35 Uhr: Für die Spieler von Hertha BSC geht die Saison am Dienstagabend mit dem traditionellen Besuch der Mitgliederversammlung gewissermaßen offziell zu Ende. Danach beginnt der Urlaub. In der Vergangenheit war die Mitgliederversammlung für Herthas Vereinsführung immer eine beliebte Plattform, um erfreuliche Nachrichten unters Volk zu bringen. (Erinnere mich noch daran, wie Dieter Hoeneß unter allgemeinem Jubel verkündete, dass Hertha für die neue Saison Fredi Bobic und Artur Wichniarek verpflichtet habe.) Da liegt die Vermutung nahe, dass Manager Michael Preetz die Gelegenheit nutzen wird, um eine finale Entscheidung in der Trainerfrage bekannt zu geben und Pal Dardai, den Liebling des Volkes, offiziell zum neuen Cheftrainer zu ernennen. Dass Hertha die Absicht hat, mit dem 39 Jahre alten Ungarn weiterzumachen, hat Preetz ja schon unmittelbar nach dem Schlusspfiff in Hoffenheim verkündet. Ein offizieller Vollzug in dieser Angelegenheit ist am Dienstag allerdings noch nicht zu erwarten.

Dardai hat sich zumindest öffentlich noch nicht klar und konkret geäußert, aber ich glaube nicht, dass man daraus schließen sollte, dass er noch einen Rückzieher macht. Dardai will diesen Job, er ist ehrgeizig, er hat seine Karriereplanung immer darauf abgerichtet, eines Tages die Profis von Hertha BSC zu trainieren. Jetzt hat er diese Möglichkeit schneller bekommen als erwartet. Wieso also sollte er das Amt wieder hergeben.

Ob das eine gute Entscheidung für Hertha und für Dardai ist, habe ich hier beschrieben. Es hat zu diesem Text einige interessante Kommentare, die ich hier kurz zitieren möchte. Anders, als man vermuten könnte, entsprechen sie nicht dem Bild, das Dardai bei den Hertha-Fans wegen seiner Verdienste als Spieler sakrosankt ist. Attenborough-bln schreibt: „Pal Dardai hat der Profi-Mannschaft nur in sehr begrenzten Maße neuen Spielwitz beibringen können. Er würde sich und dem Verein mit einer zustimmenden Chef-Trainer-Entscheidung einen Bärendienst erweisen.“ Ähnlich sieht es Simps11: „Letztendlich war der Klassenerhalt so knapp, die spielerische Armut so groß, dass eigentlich nicht viel für eine Weiterbeschäftigung spricht.“

Tomax wendet ein: „Bei aller Wertschätzung für das sympathische Hertha-Urgestein Pal Dardai, aber unter dem Strich war das zu wenig, um einen Cheftrainer-Vertrag zu rechtfertigen. Er selbst sollte sich im eigenen Interesse nicht verheizen lassen.“ Und der BerlinerimExil schreibt: „Pal Dardai ist sympathisch, er redet Klartext und er hat Hertha (zusammen mit Rainer Widmayer) vor dem Abstieg gerettet. Chapeau!“ Allerdings gibt er zu bedenken, dass seine Bilanz die drittschlechteste aller während der Saison geholten Ersatztrainer in der Bundesliga ist (nur Zinnbauer und Knäbel beim HSV haben weniger Punkte pro Spiel geholt).

Jubel über den Klassenerhalt. Valentin Stocker (rechts) feiert Roy Beerens für seinen entscheidenden Treffer in Hoffenheim.
Jubel über den Klassenerhalt. Valentin Stocker (rechts) feiert Roy Beerens für seinen entscheidenden Treffer in Hoffenheim.

© dpa

13:30 Uhr: Hansi Müller ist rehabilitiert. Völlig überraschend wird jetzt doch Alexander Zorniger neuer Trainer beim VfB Stuttgart.

13:00 Uhr: Was soll man bloß von Herthas Saison halten? Hat der Klub sein offiziell ausgegebenes Ziel „Etablierung in der Bundesliga“ erreicht, weil er besser als Platz 16 abgeschnitten hat? Reicht das bloße Drinbleiben, egal wie? Oder impliziert „Etablierung“, dass man halbwegs sorgenfrei durch die Saison gekommen sein muss?

Ich habe vor der Saison getippt, dass Hertha Neunter wird. Wie ich dazu gekommen bin, weiß ich heute genauso wenig wie, warum der VfB Stuttgart nach meinen Tipps auf Platz vier der Bundesliga gelandet wäre? Der positive Eindruck aus der Rückrunde der vergangenen Saison kann es eigentlich nicht gewesen sein, denn den hat es bekanntlich nicht gegeben. Der Absturz hat sich auch nach der Sommerpause fortgesetzt. Habe ich mich also wie so viele von den prominenten Namen der Neuzugänge blenden lassen?

Auch wenn Herthas Manager Michael Preetz das Saisonziel auffallend defensiv formuliert hat: Ich glaube, dass man bei Hertha insgeheim von mehr ausgegangen ist. Wer sich einen Spieler wie Salomon Kalou (im Wortsinne) leistet, geht zumindest nicht zwingend davon aus, fett im Abstiegskampf zu landen.

Hertha ist in der vergangenen Saison keinen Schritt weiter gekommen. Im Gegenteil: Die Mannschaft hat tabellarisch sogar schlechter abgeschnitten als unter Trainer Jos Luhukay im Jahr nach dem Aufstieg. Und die von Preetz so sehr herbeigesehnte Konstanz auf der Position des Trainers ist auch ein Wunsch geblieben. Ob der Trainerwechsel richtig war oder falsch, ist erst einmal unerheblich. Tatsache ist, es hat wieder einmal einen Trainerwechsel geben müssen.

Wenn Hertha ehrlich wäre, müssten die Verantwortlichen zugeben: Das war nicht das, was wir uns unter Etablierung vorgestellt haben. Etablierung heißt ja eigentlich, dass man ein bisschen festeren Grund unter die Füße bekommt. Davon kann keine Rede sein. 17 Spiele hat Hertha BSC in dieser Saison verloren - genauso viele wie der Hamburger SV und der SC Paderborn. Der HSV spielt jetzt in der Relegation, Paderborn ist als Letzter in die Zweite Liga abgestiegen. Das zeigt noch einmal, wie knapp es für die Berliner war.

12:15 Uhr: Wenn die Saison zu Ende ist, ist die Zeit gekommen, um Bilanz zu ziehen. Ich kann und muss diesmal mit meiner Saison zufrieden sein. Im Tagesspiegel-Tippspiel bin ich im gesicherten Mittelfeld gelandet, mit deutlichem Abstand sowohl zu den Abstiegsplätzen als auch zur Spitze. Platz 13 (von 42, von denen nur 3 ungefähr zu der Zeit aufgehört haben zu tippen, als Michael Preetz den Vertrag mit Jos Luhukay noch verlängern wollte) entspricht genau meinem Leistungsvermögen. Die Etablierung im oberen Drittel ist gelungen, ein Platz unter den Top Ten war diesmal im Bereich des Möglichen, das lässt für die kommende Saison hoffen. Ganz wichtig übrigens: Der Ressortleiter hat zehn Plätze schlechter abgeschnitten.

Wenn die Klubs endlich mal so gespielt hätten, wie ich getippt habe, wäre übrigens Borussia Dortmund Deutscher Meister geworden. Bei keinem Klub war die Abweichung zwischen meinen Tipps und der Realität so groß wie beim BVB. Die Bayern hätten übrigens als Dritter immerhin die direkte Champions-League-Qualifikation geschafft. Auf Platz vier wäre der VfB Stuttgart gelandet. Keine Ahnung, wie es dazu kommen konnte. Offensichtlich habe ich dieser Mannschaft einiges zugetraut. Immerhin weiß ich jetzt, warum ich nie am Klassenerhalt des VfB gezweifelt habe (bin übrigens kein Fan dieses Vereins).

Der Klub, mit dem ich mich von Berufs wegen am besten auskennen sollte, ist Hertha BSC. Immerhin spiegelt sich das auch in meinen Tipps halbwegs wider. Bei mir wäre Hertha auf dem Relegationsrang gelandet. Viel hat dazu nicht gefehlt. Auf den ersten Blick sind es neun Tore; auf den zweiten Blick eigentlich nur zwei. Eins für Freiburg in Hannover und ein weiteres für die TSG Hoffenheim gegen Hertha. So aber konnte Pal Dardai nach der 1:2-Niederlage in Sinsheim voller Überzeugung verkünden: „Wir haben es aus eigener Kraft geschafft.“

SV Darmstadt 98: Willkommen in unserem Bundesliga-Blog

11:25 Uhr: Ingolstadt und Darmstadt also. Ein Retortenklub, der das Gründungsjahr 04 im Namen trägt und nicht seit 1904 existiert, und ein ... Ja, was eigentlich? Ein Traditionsverein natürlich! Darmstadt 98 ist immerhin ein Jahr vor der TSG Hoffenheim gegründet worden.

Nein, kleiner Scherz. Für Menschen unter 40 mag Darmstadt einen ähnlich dumpfen Klang besitzen wie, sagen wir, Sandhausen, Aalen, Ingolstadt oder Hoffenheim. Da das (mit den unter 40) für mich leider nicht mehr zutrifft, ist Darmstadt für mich kein weiterer Dorfverein, der sich jetzt in der Bundesliga breitmacht. Für mich ist Darmstadt immer ein gefühlter Bundesligist geblieben.

Der Beweis: Darmstadt 98 war schon mal in der Bundesliga.
Der Beweis: Darmstadt 98 war schon mal in der Bundesliga.

© Jörg Leopold

In den ersten sechs Jahren, in denen ich die Bundesliga bewusst verfolgt habe, ist Darmstadt immerhin zwei Spielzeiten lang Erstligist gewesen: 1978/79 und 1981/82. Der Name ist mir also bestens vertraut, auch in dieser für viele ungewohnten Umgebung. Peter Cestonaro, der Stürmer, Lothar Buchmann, der Aufstiegstrainer, und das Böllenfalltor – für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. In meiner - nicht besonders großen Eintrittskartensammlung - habe ich sogar eine Eintrittskarte von einem Bundesligaspiel mit Darmstädter Beteiligung gefunden. Es ist die älteste Karte, die ich noch besitze, für neun D-Mark von meinem Vater erstanden. Ich selbst war damals noch so klein, dass ich mich, ohne zu bezahlen, ins Stadion schmuggeln konnte. Ich kann also behaupten, dass ich Darmstadt schon einmal in der Bundesliga gesehen habe. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, endete die Begegnung mit einem 3:1 für die Heimmannschaft. (Aber fragen Sie mich nicht, wie Hertha vorige Saison gegen Hannover gespielt hat!)

Ich freue mich - auch aus nostalgischen Gründen - auf Darmstadt in der Bundesliga. Ich freue mich vor allem auf einen Besuch am baufälligen Böllenfalltor, solange es noch steht, auf eine Reise in den Fußball meiner Kindheit sozusagen. Und ich freue mich, dass eine solche Geschichte überhaupt noch möglich ist, dass Darmstadt das geschafft hat, was die neunmalklugen Leipziger trotz ihrer finanziellen Möglichkeiten eben nicht geschafft haben.

„Zeit online“ nennt den Aufstieg der Darmstädter einen "Feiertag für Fußballromantiker" (und ich fühle mich durchaus angesprochen): "Ein bröckelndes Stadion, schnörkelloser Fußball und elf Verstoßene: Der Aufstieg des SV Darmstadt ist die wohl ungewöhnlichste Aschenputtel-Story der Ligageschichte." Das Schöne ist, dass sich seit dem ersten Aufstieg vor 37 Jahren offensichtlich nicht allzu viel geändert hat. Schon damals, in der vorkommerziellen Zeit des Fußballs, waren die Hessen der totale Außenseiter. Vor ein paar Monaten habe ich im Internet mal eine sehr schöne Langzeitreportage des legendären ZDF-Sportspiegels über das erste Jahr der Darmstädter in der Bundesliga entdeckt. Wer am Feiertag nichts Besseres zu tun hat, bitte, hier entlang. (Die erste Frage an den Präsidenten in diesem Film: "Haben Sie nicht ein bisschen Bedenken, wenn sie an die Finanzen denken?")

Für alle, die Darmstadt in jüngerer Vergangenheit nicht so intensiv verfolgt haben: Im Sommer 2013 war der Klub sportlich aus der Dritten Liga in die Regionalliga abgestiegen. Nur weil der hessische Lokalrivale Kickers Offenbach Insolvenz anmelden musste, blieben die Darmstädter drittklassig. Im Jahr darauf schafften sie - im Grunde mit einer Viertligamannschaft - den Aufstieg in die Zweite Liga (zusammen mit den Leipzigern, die allerdings in der Dritten Liga mindestens eine Zweitligamannschaft hatten). Und jetzt, wiederum nur ein Jahr später, stehen die Lilien (anders als die Leipziger) sogar in der Bundesliga. Eigentlich kann man sich unserem Online-User „peeka“ nur anschließen: "Damit gibt es dann doch einen Verein in der ersten Liga, dem ich die Daumen drücken kann."

Darf man dem Hamburger SV eigentlich den Klassenerhalt gönnen?

10:30 Uhr: Um es einmal mit einem leicht abgewandelten Zitat aus Goethes Faust zu umschreiben: Vorbei - ein dummes Gefühl. Die Saison 2014/15 der Fußball-Bundesliga ist Geschichte (so man nicht mit dem Schicksal geschlagen ist, HSV-Fan zu sein); die Entscheidungen sind gefallen (so man nicht mit dem Schicksal geschlagen ist, HSV-Fan zu sein), eine Zeit der Leere steht uns bevor (und das liegt nicht in erster Linie daran, dass es diesen Blog montags nicht mehr geben wird).

Wirklich unabsteigbar? Der HSV muss sich erst noch gegen den Karlsruher SC in der Relegation durchsetzen.
Wirklich unabsteigbar? Der HSV muss sich erst noch gegen den Karlsruher SC in der Relegation durchsetzen.

© dpa

Die ersten Wochen danach sind immer noch halbwegs erträglich. Man wird gewissermaßen schonend auf Entzug gesetzt. Heute gibt es das Finale um die deutsche A-Jugend-Meisterschaft (20.15 Uhr, live bei Sport1), anschließend folgen in dieser Woche noch die Play-offs für die Dritte Liga, die Relegationsspiele zwischen dem HSV und Karlsruhe, 1860 und Holstein Kiel und am Samstag das Pokalfinale. Nächste Woche gibt es die Rückspiele, dazu das Champions-League-Finale in Berlin, im Anschluss noch ein bisschen EM-Qualifikation (unter anderem mit dem Kracher Gibraltar gegen Deutschland), am 10. Juni die Auslosung zur ersten Runde des DFB-Pokals, die U-21-EM in Tschechien und irgendwann, als erster Höhepunkt in dieser staden Zeit, wird dann auch der Spielplan

Aber das ist eben alles nichts gegen die Regelmäßigkeit der Bundesliga, den verlässlichen Fluss der Nachrichten, der spätestens Mitte Juni versiegen wird. Dann wird es erst richtig zäh - zumal nicht einmal die Hälfte geschafft ist. Es gibt vielleicht mal ein Transfergerücht, bestenfalls sogar die Vollzugsmeldung einer Verpflichtung, danach Trainingslagerprosa, Startelfspekulationen, Europa-League-Qualifikationsspiele jenseits des Urals ... Am 14. August geht es übrigens wieder los.

Vertreiben wir uns die Zeit ein wenig mit dem HSV, der ja immer für Unterhaltung gut ist, und der es jetzt also doch wieder geschafft hat (zumindest in die Relegation). Wo man sich auch umhört, es herrscht allgemeines Unverständnis: Das kann doch nicht sein! Ausgerechnet diese Blinden! Wenn es jemand verdient hätte, dann doch wohl der HSV!

Stimmt alles, und trotzdem ist es eine schizophrene Situation: Der Sportler in uns sagt: Wer es mit dem sechsthöchsten Spieleretat der Liga schafft, unter den letzten drei zu landen, wer fast 35 Millionen Euro ausgibt, um wie im Jahr zuvor, wieder auf Platz 16 zu landen, der hat es nicht anders verdient. Der HSV gehört wegen fordauernder Verletzung des Leistungsprinzips, wegen chronischer Inkompetenz jetzt aber wirklich mal in die Zweite Liga - und wegen dieser blöden Uhr schon mal sowieso. Der Eventi in uns aber denkt: Wir brauchen den HSV doch. Mit seinem großen Namen, seinem großen Stadion, der großen Fanbasis. Das dörfliche Milieu ist in der Bundesliga längst überrepräsentiert. Und auch wenn der HSV nicht Fußball spielen kann: Es ist wenigstens lustig.

Philipp Köster hat in der aktuellen 11-Freunde-Ausgabe die Frage gestellt: "Warum schaue ich mir das alles an?" Die Bundesliga bestehe inzwischen zu größeren Teilen aus Klubs, "deren bundesweite Strahlkraft sich gefühlt im Promillebereich bewegt. Was dazu führt, dass Partien des VfL Wolfsburg gegen den FC Augsburg oder Paderborn gegen die TSG Hoffenheim allenfalls bei den bedauernswerten Sky-Shoutern am Spielfeldrand für erhöhten Ruhepuls sorgen. Wohlgemerkt, niemand bestreitet die sportliche Daseinsberechtigung dieser Klubs. Die fachliche Arbeit an all diesen Standorten ist ja schon oft gepriesen worden. Für die Vermarktung, zumal die internationale, ist die Ballung von beschaulichen Marktflecken mit überschaubarer Anhängerzahl in der Eliteklasse aber definitiv abträglich."

Ich bin im Zweifel für die Tradition (so, liebe "Fans" von Hoffenheim oder Leipzig, jetzt könnt ihr mich wieder beschimpfen), aber ob ich am Donnerstag für den HSV sein werde? Oder werde ich mich am Ende doch wieder auf die Seite des Kleinen schlagen, der ja auch ein Traditionsverein ist (wenn auch nicht mit der gleichen Strahlkraft wie der HSV)? Keine Ahnung. Ich werde mein Gefühl entscheiden lassen. Anders geht es auch nicht.

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