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UNSERE Experten: Tiefer kann es nicht mehr gehen

Bitte keine Fragen. Bitte nicht, ich habe keine Antworten.

Bitte keine Fragen. Bitte nicht, ich habe keine Antworten. Ich weiß nicht, warum die deutsche Mannschaft nahezu in Gänze so schlecht gespielt hat in ihrem Halbfinale. Gute Güte, hat denen niemand gesagt, dass Halbfinale ist, dass sie ins Finale kommen können, dass dieses Spiel gegen die Türken kein Punktspiel ist, kein freundschaftlicher Kick? Gespielt haben sie aber so.

Doch, eine Antwort habe ich. Gestern habe ich den allgemeinen Tenor wiedergegeben, wonach die Türken, dieses letzte Aufgebot der Türken, keine Chance hätten. Und ich habe mich diesem Tenor angeschlossen. Heute, neunzig bange Minuten später, bin ich schlauer. Ich ziehe den Hut vor dieser türkischen Mannschaft, die war mutig, die war offensiv, die hat alles versucht, und wenn es eine Gerechtigkeit gäbe im Fußball…

Aber nun stehen die Deutschen im Finale. Und wenn man in den Kaffeesatz schaut, werden sie sogar gewinnen. Denn sie waren nie zweimal hintereinander so schlecht, so faul, so – ja – arrogant. Zudem sind sie jetzt kein Favorit mehr, wahrlich nicht nach diesem Kick. Das ist das Positive dieses Spiels, und man soll ja jetzt das Positive sehen, wir stehen im Finale, juchee, das Positive ist, wir haben das Tal durchschritten, tiefer kann es nicht mehr gehen, nur noch aufwärts. Noch mehr Positives? Bitteschön, Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger, die Latte des Tors, in dem Jens Lehmann stand, der Abpfiff. Der Rest? Nehmen wir Philipp Lahm, der doch eigentlich eine glänzende EM spielt. Der hat sich gestern vorführen lassen, einmal, zweimal, mehrere Male – und unmittelbar nach der letzten Blamage schießt er den Siegtreffer. Oder Arne Friedrich, der gegen Portugal und Cristiano Ronaldo hat vergessen lassen, dass er Arne Friedrich ist. Gestern war er wieder Arne, stand zu weit weg vom Gegenspieler, trabte, als es zu rennen galt, und stand, als ein wenig Vorwärtsdrang benötigt wurde. Wir können mit Ausnahme von Podolski und Schweinsteiger die Mannschaft durchgehen. Aber möglicherweise liest Jens Lehmann, was zu seiner Leistung zu sagen wäre, und dann flattert er noch mehr, was sich wiederum kontraproduktiv fürs Finale auswirkt. Und was soll ich zu Michael Ballack sagen, der vor dem Spiel von Arsene Wenger zum Spieler des Turniers gekürt wurde? Ich kann zu ihm nichts sagen, ich habe ihn nicht gesehen.

Wahrscheinlich waren die Trillerpfeifen schuld, die ständig zu hören waren und die deutschen Spieler irritierten. Doch ja, in so einem Stadion ist es laut, eine zuschauerfreie Zone wäre sicher das Beste gewesen, was dieses Spiel verdient hätte. Aber halt, positiv denken: Die deutsche Mannschaft steht im Finale, super, Wahnsinn, ein Sommermärchen.

Hier kommentieren Marcel Reif, Mirko Slomka, Fredi Bobic, Nadine Angerer und Lars Ricken im Wechsel die EM. Alle Kolumnen unter www.tagesspiegel.de/em2008.

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